SUPPLEMENT: Perspektiven der Infektiologie
Methylenblau-Kombinationstherapie: Wieder eine Schlüsselrolle bei Malaria
;


Der von Paul Ehrlich vor 125 Jahren gegen die Malaria eingesetzte Farbstoff Methylenblau erlebt eine Renaissance bei der Prävention und Therapie der Malaria tropica und tertiana.
Die Malaria ist weiterhin die wichtigste parasitäre Tropenkrankheit (1). Aufgrund deutlich verbesserter Finanzierung internationaler Maßnahmen zur Kontrolle und Elimination der Erkrankung ist die Inzidenz und die Anzahl der Todesfälle seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts signifikant gesunken (2, 3). 2016 erkrankten aber immer noch 216 Millionen Menschen in 91 Ländern an der Malaria, von denen 445 000 starben (3). Die überwiegende Anzahl der schweren Krankheitsverläufe und der Todesfälle werden durch die Malaria tropica verursacht und treten bei Kindern im Afrika südlich der Sahara auf (3, 4). Ein unter Public-Health-Bedingungen sicherer und nachhaltig wirksamer Impfstoff ist weiterhin nicht verfügbar (5).
Neben den Interventionen zur Bekämpfung der Anopheles-Überträgermücken (Einsatz von Mosquitonetzen, die mit Insektiziden behandelt sind) ist die frühzeitige Behandlung mit Artemisinin-Kombinationsmedikamenten (ACT) die wichtigste Maßnahme zur Verringerung der weiterhin hohen Morbidität und Mortalität der Malaria tropica (3, 4). In Analogie zu anderen Infektionskrankheiten (Tuberkulose, HIV-Infektion) ist seit einigen Jahren auch bei der Malaria die Kombination mehrerer Medikamente (insbesondere ACT) zur Verhinderung von Resistenzentwicklung internationaler Standard (1).
Methylenblau ist ein wasserlöslicher Farbstoff, der bereits seit langer Zeit industriell und medizinisch eingesetzt wird (6). Er wird bei oraler Aufnahme gut resorbiert, hat eine Plasmahalbwertszeit von 20 Stunden und wird hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden (7). Der Farbstoff ist in vielen Ländern für unterschiedliche Indikationen zugelassen (Methämoglobinämie, milde bakterielle Urogenital-infektionen, Prävention der ifosfamidinduzierten Enzephalopathie und diagnostische Zwecke) (8).
Als erstes synthetisches Malariamedikament wurde Methylenblau bereits vor 125 Jahren von Paul Ehrlich in einem deutschen Krankenhaus eingesetzt (9). Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war es in Endemiegebieten erfolgreich gegen alle Formen der Malaria, bis es von neueren synthetischen Medikamenten (z. B. Chloroquin) vom Markt verdrängt wurde (10, 11). Erst die Entwicklung von Resistenzen gegen praktisch alle verfügbaren Malariapräparate gegen Ende des 20. Jahrhunderts führte zu einem Neuinteresse und einer verbesserten Charakterisierung von Methylenblau in der Malariatherapie (6).
Der Farbstoff ist ein spezifischer Inhibitor der Glutathionreduktase von Plasmodium falciparum und interagiert in Analogie zum Wirkmechanismus der 4-Aminoquinoline (z. B. Chloroquin) auch mit dem Hämoglobinstoffwechsel des Parasiten (6). In den vergangenen Jahren konnte in mehreren klinischen Studien an über 1 000 Patienten in Westafrika gezeigt werden, dass eine 3-tägige Methylenblau-Gabe in Kombination mit wirksamen Partnermedikamenten (insbesondere mit ACT) sicher, effektiv und synergistisch bei der Behandlung der Malaria tropica wirkt (12–20).
ACT-Resistenz in Indien und Afrika
Diese Kombinationstherapien waren mit nur leichten Nebenwirkungen assoziiert, wie einer blaugrünen Verfärbung des Urins und selbstlimitierenden gastro-intestinalen und urogenitalen Irritationen; eine klinisch relevante Hämolyse war auch bei Patienten mit G6PD-Defizienz nicht zu beobachten (12, 18). Bemerkenswert ist auch die ausgeprägte Wirksamkeit von Methylenblau gegen alle Formen der Gametozyten und damit seine Kapazität zur Prävention der Malaria tropica (16, 19, 20) (Tabelle). Als pleiotroper Wirkstoff weist er ein nur sehr geringes Potenzial zur Resistenzentwicklung bei Infektionen mit Plasmodien auf (8, 21).
Trotz globaler Akzeptanz verschiedener ACT-Regime als Standard der Behandlung der unkomplizierten Malaria tropica kam es in den letzten Jahren in Südostasien zu einer sich zunehmend ausbreitenden Resistenzentwicklung gegen die Artemisinin-Derivate und ihre Kombinationspartner, die eine große Gefahr für die bisherigen Erfolge in der Malariabekämpfung bedeutet (3, 22–24).
Die Hauptursachen sind die weiterhin verbreitete Gabe von Artemisinin-Monotherapien in privaten Apotheken, die unterschiedliche Halbwertszeit der ACT-Partnermedikamente und eine oftmals schlechte Compliance der Patienten (4, 25).
Falls sich die beobachteten Resistenzen gegen ACT auch in Indien und im Afrika südlich der Sahara etablieren sollten, könnte sich hieraus eine ähnliche Public-Health-Katastrophe entwickeln wie bei der Ausbreitung der Chloroquin-Resistenz in den 1990er-Jahren (26, 27).
Neben den Standardmaßnahmen zur Malariabekämpfung wird in Südostasien auch der umfassende Einsatz von Dreifach-Kombinationstherapien diskutiert (28). Die Dreifachtherapie ACT-Primaquin (mit niedrig dosierter Primaquin-Einzeldosis) ist von der WHO bereits seit 2012 für die Therapie der Malaria tropica (außer in der Schwangerschaft und bei Säuglingen) in Endemiegebieten empfohlen worden – insbesondere für Länder mit dem Risiko einer Resistenz von Plasmodium falciparum gegen Artemisinine und für Länder mit dem Ziel der Malaria-Elimination (28).
In Kambodscha war eine Therapie der gesamten Bevölkerung mit einer PQ-basierten Dreifachtherapie bereits erfolgreich gegen die Malaria tropica (29). Eine randomisierte und kontrollierte Studie zur Wirksamkeit einer methylenblaubasierten Dreifachtherapie bei der Plasmodium-vivax-Malaria ist für den Zeitraum 2018–2020 in Südostasien geplant.
Fazit
- Methylenblau ist eine weitere und hochwirksame Partnersubstanz für eine Dreifachkombination (z. B. Artesunat-Amodiaquin-MB oder Dihydroartemisinin-Piperaquin-Methylenblau) gegen die Malaria tropica (15, 20).
- Der Einsatz einer solchen Kombination hat nicht nur das Potenzial, die Übertragung der Malariaparasiten deutlich zu verringern, sondern auch eine Resistenzentwicklung gegen ACT zu verhindern (25).
- Mit der Entwicklung von ACT-Methylenblau steht somit ein weiteres Kombinationspräparat zur Bekämpfung der Malaria tropica zur Verfügung, das vor Zulassung in unterschiedlichen Populationen und Endemiegebieten getestet werden muss. ▄
DOI: 10.3238/PersInfek.2018.04.28.008
Prof. Dr. med. Olaf Müller
Institut für Public Health, Klinikum, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. med. Peter Meißner
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Ulm
Interessenkonflikt: Prof. Müller gibt finanzielle Unterstützung bei der Durchführung klinischer Studien durch BASF an. PD Dr. Meißner erhielt Reise- und Übernachtungskostenerstattungen von BASF.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit2718
1. | White N, Pukrittayakamee S, Hien TT, et al.: Malaria. Seminar. The Lancet 2014; 383: 723–35 CrossRef |
2. | Müller O: Internationale Gesundheit: Vision einer Welt ohne Malaria. Dtsch Ärztebl 2009; 106: 807–8 VOLLTEXT |
3. | WHO: World Malaria Report 2017. http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/259492/9789241565523-eng.pdf?sequence=1 (last accessed on 11 June 2018). |
4. | Müller O: Malaria in Africa: Challenges for Control and Elimination in the 21st Century. Frankfurt: Peter Lang Verlag 2011. |
5. | Müller O: Malariavakzine: Effektivität und Risiken. Dtsch Ärztebl 2016; 113 (42): C1561–2 VOLLTEXT |
6. | Schirmer H, Coulibaly B, Stich A, et al.: Methylene blue as an antimalarial agent – past and future. Redox Report 2003; 8: 272–6 CrossRef MEDLINE |
7. | Walter-Sack I, Rengelshausen J, Oberwittler H, et al.: High absolute bioavailability of methylene blue given as an aqueous oral formulation and interaction with chloroquine. Eur J Clin Pharmaco 2009; 65 (2): 179–89 CrossRef MEDLINE |
8. | Schirmer H, Adler H, Pickhardt M, Mandelkow E: Review: „Lest we forget you – Methylene blue...“. Neurobiol Aging 2011; 32 (12): 2325.e7–16 CrossRef MEDLINE |
9. | Guttmann P, Ehrlich P: Über die Wirkung des Methylenblau bei Malaria. Berliner Klinische Wochenschrift 1891; 28: 935–56. |
10. | Wood HC: The use of methylene blue in malarial fevers. Proceedings of the Philadelphia Medical Society 1904; 25: 281–6. |
11. | Marshall DG: Methylene blue against malaria. The Lancet 1920; 195 (5051): 1334 CrossRef |
12. | Mandi G, Witte S, Meissner P, et al.: Safety of the combination of chloroquine and methylene blue in healthy adult men with G6PD deficiency from rural Burkina Faso. TTrop Med Int Health 2005; 10 (1): 32–8 CrossRef MEDLINE |
13. | Meissner P, Mandi G, Witte S, et al.: Safety of the methylene blue plus chloroquine combination in the treatment of uncomplicated falciparum malaria in young children of Burkina Faso. Malaria Journal 2005; 4: 46 CrossRef CrossRef MEDLINE PubMed Central |
14. | Meissner P, Mandi G, Coulibaly B, et al.: Methylene blue for malaria in Africa: results from a dose-finding study in combination with chloroquine. Malaria Journal 2006; 5: 84 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
15. | Zoungrana A, Coulibaly B, Sié A, et al.: Safety and efficacy of methylene blue combined with artesunate or amodiaquine for uncomplicated falciparum malaria: a randomized controlled trial from Burkina Faso. PLoS One 2008; 3 (2): e1630 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
16. | Coulibaly B, Zoungrana A, Mockenhaupt F, et al.: Strong gametocytocidal effect of methylene blue-based combination therapy against falciparum malaria: a randomised controlled trial. PLoS One 2009; 4 (5): e5318 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
17. | Bountogo M, Zoungrana A, Coulibaly B, et al.: Short communication: Efficacy of methylene blue monotherapy in semi-immune adults with uncomplicated falciparum malaria: a controlled trial in Burkina Faso. Tropical Medicine & International Health 2010; 15: 713–17 CrossRef MEDLINE |
18. | Müller O, Mockenhaupt FP, Marks B, et al.: Haemolysis risk in methylene blue treatment of G6PD sufficient and G6PD deficient West-African children with uncomplicated falciparum malaria: a synopsis of four RCTs. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2013; 22 (4): 376–85 CrossRef MEDLINE |
19. | Coulibaly B, Pritsch M, Bountogo M, et al.: Efficacy and safety of triple combination therapy with artesunate-amodiaquine-methylene blue for falciparum malaria in children: a randomised controlled trial in Burkina Faso. J Infect Dis 2015; 211 (5): 689–97 CrossRef MEDLINE |
20. | Dicko A, Roh ME, Diawara H, et al.: Phase 2, single-blind randomised controlled trial of the efficacy and safety of primaquine and methylene blue for preventing Plasmodium falciparum transmission in Mali. Lancet Infect Dis 2018; 18 (6): 627–39 CrossRef |
21. | Wainwright M, Amaral L: The phenothiazinium chromophore and the evolution of antimalarial drugs. Tropical Medicine and International Health 2005; 10: 501–11 CrossRef MEDLINE |
22. | Noedl H, Se Y, Schaechner K, et al.: Evidence of artemisinin-resistant malaria in western Cambodia. N Engl J Med 2008; 359: 2619–20 CrossRef MEDLINE |
23. | Dondorp AM, Nosten F, Yi P, et al.: Artemisinin resistance in Plasmodium falciparum malaria. N Engl J Med 2009; 361: 455–67 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
24. | Phyo AP, Nkhoma S, Stepniewska K, et al.: Emergence of artemisinin-resistant malaria on the western border of Thailand: a longitudinal study. The Lancet 2012; 379: 1960–66 CrossRef |
25. | Müller O, Sié A, Meissner P, Schirmer RH, Kouyaté B: Artemisinin resistance on the Thai-Cambodian border. The Lancet 2009; 374: 1418–19 CrossRef |
26. | Marsh K: Malaria disaster in Africa. The Lancet 1998; 352: 924 CrossRef |
27. | White N, Nosten F, Hien TT, Watkins W, Olliaro P: Averting a malaria disaster. The Lancet 1999; 353: 1965–67 CrossRef |
28. | White N: Primaquine to prevent transmission of falciparum malaria. The Lancet Infectious Diseases 13: 175–81 (2013) CrossRef |
29. | Song J, Socheat D, Tan B, et al.: Rapid and eԀective malaria control in Cambodia through mass administration of artemisinin-piperaquine. Malaria Journal 2010; 9: e57 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.