MEDIEN
Lungenheilkunde: Tuberkulosebekämpfung in der NS-Zeit


Das ist weniger die Geschichte eines medizinischen Spezialfachs, der Lungenheilkunde, und ihrer prominenten Vertreter, sondern vielmehr die des ärztlichen Umgangs mit der Tuberkulose (TB) in der NS-Zeit. Das ist gut – kann sich der Leser doch so in vielfältiger Hinsicht mit einer menschenverachtenden Ideologie auseinandersetzen, der die Gesund- und Reinerhaltung des Volkskörpers bei Weitem wichtiger erschien als das individuelle Wohlergehen der Kranken.
Lange Zeit war die TB-Behandlung der fast ausschließliche Tätigkeitsschwerpunkt der Lungenheilkunde; bis zur Einführung der Antibiotika war der Heilungserfolg allerdings sehr beschränkt. Bereits in den 1920er-Jahren wurde die Zwangsunterbringung von schwer TB-Kranken diskutiert; diese wurde nach 1933 unter „rassehygienischen“ Vorzeichen in konkretes Handeln überführt. Der Leiter
der Münchener TB-Fürsorgestelle brachte den Geist der neuen Zeit auf den Punkt: „Das bisher herrschende System der Tuberkulosebekämpfung […] muß einem straffen zentralen Willen weichen, der rücksichtslos dem Gedanken zum Durchbruch verhilft, daß die Tuberkulose als Volksseuche nur durch staatsautoritative Maßnahmen besiegt werden kann.“
Aus der Deutschen Tuberkulose-Gesellschaft kam der Vorschlag, die Zwangssterilisation auf Grundlage des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses auch auf schwere TB-Fälle auszuweiten. Dies wurde zwar nicht in die Tat umgesetzt; doch verschärfte sich nach 1933 kontinuierlich der Umgang mit den für die Volksgemeinschaft als wertlos angesehenen TB-Kranken. Unter den Kriegsbedingungen geriet das Wohl der Kranken vollends aus dem Blick. Die Überlebensdauer nach TB-Ausbruch ging in den Kriegsjahren stetig zurück, die Ansteckungsgefahr in den beengten Wohnverhältnissen der Großstädte, in den Konzentrationslagern und in den von den Deutschen besetzten Ländern nahm zu.
Der im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin herausgegebene, aufwendig gestaltete Sammelband deckt mit einer Reihe fachkundiger Autorinnen und Autoren ein breites Themenspektrum ab. Einzelbeiträge widmen sich beispielsweise der Rolle des öffentlichen Gesundheitswesens, der Wehrmacht und insbesondere deren Umgang mit TB-Kranken in den besetzten Ostgebieten, dem Schicksal tuberkulosekranker KZ-Häftlinge, den Krankenmordaktionen gegen Ende des Krieges, den vergeblichen Forschungsbemühungen um einen TB-Impfstoff, der Entwicklung der Tuberkulose-Organisationen oder den Biografien führender TB-Ärzte in der NS-Zeit. Das Buch liefert profunde Information in einem lesefreundlichen Format. Thomas Gerst
Robert Loddenkemper, Nikolaus Konietzko, Vera Seehausen (Hrsg.) (unter Mitarbeit von Florian Bruns und Astrid Ley): Die Lungenheilkunde im Nationalsozialismus. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin, Berlin 2018, 308 Seiten, gebunden, 39,90 Euro