

Wie seine Protagonisten fraß er aus dem Blechnapf, war der Trinker, erlebte das Glück, ein Morphinist zu sein, und starb für sich allein. Am 21. Juli wäre der Autor des Kleinen Mannes 125 Jahre alt geworden.
Sie sind ein Künstler: Ich erkenne das Licht, das in Ihren Augen leuchtet.“ (1) Diese ermutigenden Worte schreibt Romain Rolland, späterer Literaturnobelpreisträger, 1912 an einen jungen Patienten der thüringischen Nervenheilanstalt Tannenfeld. Noch ahnt niemand, dass der wegen Mordes angeklagte, jedoch nach psychiatrischem Gutachten – „Gemütsdepression mit ausgesprochenen Zwangsvorstellungen“ (2) – für strafunmündig erklärte, eingewiesene Schüler Rudolf Ditzen einmal zum Weltbestsellerautor avancieren wird.
Was sich jedoch bereits bei dem pubertierenden Jungen abzeichnet, dessen schriftstellerischen Ambitionen man „ebenso viel Talent wie überspannte Phantasie“ (3) bescheinigt, ist ein Verschwimmen zweier Welten. Schon lange kann er keinen Trennstrich mehr zwischen literarischer Fiktion und Lebenswirklichkeit ziehen, fasst vielmehr „das ganze Leben nur als Stoff für lyrische und dramatische Versuche auf“ (4). Ditzen mutiert zu Oskar Wildes gebildetem Dandy Harry, pflegt mit Hofmannsthal den Schönheitskult des Verfalls und bei Nietzsche liest er sich in die ästhetische Überhöhung der Selbsttötung ein. Gemeinsam mit dem Mitschüler Hanns Dietrich von Necker entwickelt er 1911 das Szenario für einen als Duell inszenierten Doppelselbstmord (5). Während von Necker „beim zweiten Schuss (…) so getroffen (wird), dass dieser umgefallen sei und ihn um noch einen Schuss gebeten habe“, trägt Ditzen, der „Neckers Revolver zweimal gegen sich“ feuert, „auf der linken Brustseite in der Herzgegend zwei Schussverletzungen“ (6) davon.
„Unbekannter Dingsda“
Neun Jahre später wird er sich das erste Mal Hans Fallada nennen. Hinter ihm liegen eineinhalb Jahre geschlossene Anstalt inklusive weiterer schriftstellerischer Versuche „als unbekannter Dingsda in Deutschland“ (7); eine als Therapienachbehandlung verordnete landwirtschaftliche Lehre sowie Anstellungen bei der Landwirtschaftskammer Stettin und der Kartoffelbaugesellschaft in Berlin. Sein literarisches Debüt „Der junge Goedeschal“, in der Tradition des Adoleszenzromans der Jahrhundertwende, thematisiert ebenso wie die Liebesgeschichte von dem jungen Dichter und der älteren Prostituierten „Anton und Gerda“ (1923) juvenile Erfahrungen.
Sein Pseudonym – der arglos-fröhliche Held im Glück und das Wahrheit sprechende Pferd der Grimmschen Gänsemagd – ermöglicht ihm fortan, sich und sein Leben in literarischen Fiktionen zu betrachten, von seinen Bedrängnissen im Leben „in künstlerischer Aufmachung (zu) erzählen“ (8). Der erhoffte berufliche Erfolg stellt sich jedoch erst einmal nicht ein; stattdessen bleibt „der ewige Kampf, Geld zu schaffen für den Dämon Gift“ (9).
„Benzin, wie wir das Gift unter uns nannten“ (10), ist die Droge Nummer eins in Berlin nach dem 1. Weltkrieg. „Es ist so sanft, ein glücklicher Strom wallt durch meine Glieder dahin, in seinen Strömen bewegen sich alle kleinen Nerven zart und sacht wie Wasserpflanzen in einem klaren See“ (11), schwärmt der Ich-Erzähler „über das Glück, ein Morphinist zu sein“. Doch nicht nur von der Euphorie des Rausches erzählt er in jenem „Sachlichen Bericht“, sondern auch mit schonungsloser Offenheit von den verzweifelten Versuchen, in Arztpraxen und Apotheken Stoff zu beschaffen, sowie dem zunehmenden Zwang; als „ich dem Nichts gegenüberstand, wusste ich, ich musste Morphium bekommen, um jeden Preis“ (12).
Falladas Erstkontakt mit der Droge fällt in sein Leben als bürgerlicher Ditzen. Nach einem Fahrradunfall wird der schwer verletzte Sechzehnjährige zur Schmerzlinderung ein Vierteljahr lang mit Morphium behandelt. Zehn Jahre später eröffnet es ihm eine Sphäre abgeschlossen vom „wirklichen Leben“ und immer mehr fühlt er „ätzend den Durst nach Genüssen, die vergessen machen“ (13). Im Sommer 1919, nach einem erneuten Selbstmordversuch, ist für ihn – wie es der Sanitätsrat seinem fiktiven Alter Ego in der Erzählung prophezeit – „dies Leben ganz unerträglich, so dass Sie sich freiwillig entschließen, in eine Anstalt zu gehen“ (14).
Die Entziehungskur beginnt im bereits bekannten Sanatorium Tannenfeld, wird danach in Carlsfeld, ab August 1920 in Rinteln (Weser) fortgesetzt und zu Beginn des folgenden Jahres in der Heilanstalt Stralsund beendet. Nach seiner Entlassung ist er „körperlich ganz wieder auf dem Damm“, aber sich bewusst, „dass ich ungeachtet all der nicht übertriebenen Qualen heute wieder M. nehmen würde, falls (…) ich es direkt vor der Nase hätte“ (15). Es folgen Anstellungen auf Gütern in Pommern, Westpreußen, Mecklenburg, Schlesien und Brandenburg. Erweckt Fallada nach außen den Anschein, als sei er „ganz frei“ (16) von jeglicher Abhängigkeit, so offenbart seine Kurzgeschichte „Zwei Jahre kein Mensch“ stattdessen, „eine löste nur die andere ab. (…) mal Morphium, mal Kokain, mal Äther, mal Alkohol“ (17). Zur Finanzierung seiner Sucht unterschlägt er Geld und wird 1925 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
„Es gibt ein Haus in Hamburg, da können Sie hingehen, da werden stellungslose Kaufleute aufgenommen, auch strafentlassene (…).“ Dem Rat des Gefängnisdirektors an Willi Kufalt im Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ (1934) kommt sein Autor nach, als er selbst 1928 in die Freiheit zurückkehrt.
Schreiben wie im Rausch
In einer von dem „Deutschen Hilfsverein für entlassene Gefangene“ betriebenen Einrichtung bestreitet er zunächst seinen Unterhalt mit dem Schreiben von Adressen, arbeitet dann als Abonnenten- und Annoncenwerber beim „Generalanzeiger“ in Neumünster, avanciert zum Lokalreporter. Die miterlebten Proteste der schleswig-holsteinischen Landvolkbewegung 1929 liefern den Stoff für seinen ersten Roman im Stil der Neuen Sachlichkeit: „Bauern, Bonzen und Bomben“, der 1931 erscheint. Zu diesem Zeitpunkt lebt Fallada bereits in Berlin, ist verheiratet mit seinem „Lämmchen Suse“, arbeitet für den Rowohlt-Verlag und in jeder freien Minute „gehe ich in mein Zimmer, und schreibe, schreibe, schreibe (…) es ist wie ein Rausch“ (18).
Im Februar 1932 liegt bei Rowohlt das Manuskript auf dem Schreibtisch, das kurz darauf zum Weltbestseller avanciert – „Kleiner Mann – was nun“. Die Geschichte des Angestellten Pinneberg trifft den Nerv der Zeit, gibt den sechs Millionen Arbeitslosen, der selbsterlittenen Armut und Demütigung, den Abstiegsängsten ein Gesicht. Mit dem Erfolg des Buches wächst auch die Popularität Falladas.
Absacken in leichte Unterhaltung
Doch das Jahr seines Durchbruches ist zugleich auch das der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Fallada kann nicht mehr „die Bücher, die mir am Herzen lagen,“ schreiben und „sackt in die seichte Unterhaltung“ (19) ab. Lediglich mit der Trauerarbeit „Wir hatten mal ein Kind“ (1934), die er selbst als sein „schönstes, reifstes und reichstes“ Buch (20) bezeichnet, und „Wolf unter Wölfen“ (1937), ein Gesellschaftsroman zur Zeit der Inflation, knüpft er an sein früheres Niveau an.
Doch trotz aller Kompromisse wird Fallada denunziert, verhaftet, gilt als „unerwünschter Autor“. Die Folgen: Existenzängste, Depressionen, Selbsthass, nach jahrelanger Abstinenz Rückfall in Alkohol-, Morphium- und Schlafmittelexzesse, Aufenthalte in Nervenkliniken und Sanatorien. 1944 wird er wegen des Verdachts auf versuchten Mord an seiner Ehefrau zwangsweise in die Heil- und Pflegeanstalt Alt-Strelitz eingewiesen. Lebendig, tief und zugleich komisch schildert der dort binnen zwei Wochen entstandene Roman „Der Trinker“ die Abgründe der Sucht, der Fallada verfallen bleiben wird, bis zu seinem Tod am 5. Februar 1947. Zuvor jedoch entsteht binnen 24 Tagen noch einmal ein „richtige(r) Fallada“ (21), sein literarisches Vermächtnis – der 600 Seiten umfassende Roman „Jeder stirbt für sich allein“. Ein letztes Mal dieses berauschende Gefühl, „wenn die erdachten, erfundenen Gestalten (...) zu wirklichen Menschen für mich werden“ (22, 23). Sandra Krämer, M.A.
Sandra.Kraemer@studium.uni-hamburg.de
Literatur im Internet:
http://daebl.de/TB41
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