MEDIZIN: Originalarbeit
Antibiotikaresistenz von E. coli bei ambulant erworbener unkomplizierter Harnwegsinfektion
Eine prospektive Kohortenstudie der Jahre 2015/2016 (SARHA-Studie) im Vergleich mit Daten der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS)
Antibiotic-resistant E. coli in uncomplicated community-acquired urinary tract infection—a prospective cohort study from 2015/16 (the SARHA study) compared with data from the Antimicrobial Resistance Surveillance System (ARS)
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Hintergrund: Da bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen (HWI) keine mikrobiologische Diagnostik empfohlen wird, wird die Resistenzsituation in Bezug auf HWI in Routinedaten nicht angemessen abgebildet. Es wurde die Empfindlichkeit von Escherichia coli (E. coli) gegenüber Trimethoprim (TMP) und Cotrimoxazol (Trimethoprim/Sulfamethoxazol, [TMP/ SMX]) bei ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen untersucht und mit den Resistenzdaten der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) verglichen.
Methode: Niedergelassene Allgemeinmediziner und Internisten rekrutierten prospektiv alle volljährigen Patienten mit Symptomen einer Harnwegsinfektion. Von Mai 2015 bis Februar 2016 wurde von jedem Studienteilnehmer eine Urinprobe mikrobiologisch untersucht und dokumentiert, ob es sich um eine komplizierte oder unkomplizierte HWI handelte.
Ergebnisse: 1 245 Studienteilnehmer aus 58 Arztpraxen wurden in die Studie eingeschlossen. Bei 877 Teilnehmern waren Erreger in der Urinkultur nachweisbar (davon 74,5 % E. coli). Bei den E.-coli-positiven HWI wurden 52,4 % als unkompliziert und 47,6 % als kompliziert eingestuft. Der Anteil resistenter E. coli gegenüber TMP und TMP/SMX bei unkomplizierten HWI lag bei 15,2 % beziehungsweise 13,0 %. Die entsprechenden Daten der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS; HWI nicht differenziert) von 2015 belaufen sich auf 25,3 % beziehungsweise 24,4 %. Studienteilnehmer mit vorangegangener Antibiotikagabe hatten mit 30,9 % die höchsten Resistenzanteile, gefolgt von Patienten, die an mindestens zwei HWI innerhalb von sechs Monaten (28,9 %) erkrankt waren.
Schlussfolgerung: Die Resistenz von E. coli gegenüber TMP war bei unkomplizierten HWI in der Studienstichprobe signifikant niedriger als in den Routinedaten von ARS. Entsprechend kann TMP zur kalkulierten Therapie der unkomplizierten HWI eingesetzt werden. TMP/SMX gilt aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils als zweite Wahl. Surveillance-Systeme, die auf Routinedaten basieren, stellen keine repräsentative Datengrundlage für die Beurteilung der Resistenzlage bei unkomplizierten HWI dar.


Harnwegsinfektionen (HWI) sind im ambulanten Bereich eine der häufigsten bakteriellen Infektionen und somit einer der häufigsten Gründe für die Verschreibung eines Antibiotikums (1–3). Im Jahr 2013 lag die Prävalenz der Diagnose Harnwegsinfektion (N39.0) beziehungsweise akute Zystitis (N30.0) bei 7,3 /1,7 % aller weiblichen Versicherten im Alter ab 12 Jahre der Barmer GEK (4). Die Mehrheit der ambulant erworbenen HWI manifestiert sich in Form einer akuten Zystitis, der Begriff unkomplizierte HWI repräsentiert in dieser Studie daher primär die akute unkomplizierte Zystitis (5). Der häufigste Erreger mit 70–80 % ist Escherichia coli (E. coli) (6–8). Bei komplizierten Harnwegsinfektionen, die durch das Vorliegen von Risikofaktoren für einen schweren Verlauf, Folgeschäden oder ein Therapieversagen definiert sind, wird vor Therapiebeginn eine mikrobiologische Diagnostik des Urins empfohlen, ebenso bei Schwangeren und Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen, wovon insbesondere junge gesunde Frauen betroffen sind, findet man ein schmales Spektrum an Erregern, für die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die antibiotische Empfindlichkeit vorhersagen lässt. (9). Die routinemäßige Durchführung einer Urinkultur wird aus praktikablen und ökonomischen Gründen nicht empfohlen, stattdessen erfolgt eine kalkulierte antibiotische Therapie (6, 10).
Grundlage der Erstellung von Therapieempfehlungen für die kalkulierte Antibiotikatherapie sind Resistenzdaten aus epidemiologischen Studien oder aus Surveillance-Systemen wie beispielsweise der Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS). ARS ist ein am Robert Koch-Institut etabliertes laborgestütztes Surveillance-System, das zum Ziel hat, Referenzdaten zur Resistenzlage in der ambulanten sowie stationären Versorgung bereitzustellen (11, 12).
Antibiotikaresistenzen unterliegen zeitlichen und regionalen Unterschieden (13). Durch die Möglichkeit, regelmäßig aktuelle Daten zu liefern, stellt ARS eine essenzielle Grundlage für die Auswahl eines geeigneten Antibiotikums bei der kalkulierten Therapie dar. Im Fall von unkomplizierten Harnwegsinfektionen ist dies problematisch. Da routinemäßig keine mikrobiologische Diagnostik durchgeführt wird, sind unkomplizierte HWI in den Surveillance-Routinedaten unterrepräsentiert. Vielmehr bilden die Referenzdaten zur Resistenz von Erregern aus Urinkulturen aus der ambulanten Versorgung überwiegend die Situation bei komplizierten HWI ab. Weil bei dieser Form – im Gegensatz zu den unkomplizierten HWI – ein breiteres Erregerspektrum sowie höhere Resistenzanteile zu erwarten sind, wird die Resistenzlage im Hinblick auf unkomplizierte Harnwegsinfektionen überschätzt (14–17). Die vermeintlich hohen Resistenzanteile können zur Folge haben, dass eigentlich geeignete Antibiotika nicht mehr als erste Wahl bei unkomplizierten HWI empfohlen werden und anstelle dessen vermehrt auf Reserveantibiotika mit einem breiteren Spektrum zurückgegriffen wird.
Trimethoprim (TMP) und Cotrimoxazol (TMP/SMX) sind überwiegend gut verträgliche und kostengünstige Präparate, die in der Vergangenheit in der empirischen Therapie der unkomplizierten Harnwegsinfektion als Mittel der Wahl galten. Zur Gewährleistung eines optimalen Nutzens dieser Antibiotika bei der kalkulierten Therapie sollten die Resistenzanteile unter 20 % liegen (6, 13, 18). Aufgrund von Resistenzanteilen deutlich über 20 % galten TMP und TMP/SMX entsprechend der Empfehlung der S3-Leitlinie von 2010 nicht mehr als Substanz der ersten Wahl zur Therapie unkomplizierter Harnwegsinfektionen (6, 8, 19). Dennoch zählten sie in Deutschland weiterhin zu den am häufigsten verordneten Antibiotika bei Harnwegsinfektionen (4). In der 2017 herausgebrachten überarbeiteten Fassung der klinischen Leitlinie wird TMP wieder als erste Wahl empfohlen (6, 20).
Die Zielsetzung der Studie ist zum einen, aktuelle Daten zur Antibiotikaempfindlichkeit von E. coli bei ambulant erworbenen unkomplizierten HWI zur Verfügung zu stellen. Zum anderen sollte untersucht werden, ob und in welchem Ausmaß die Resistenzanteile bei unkomplizierten HWI in ARS-Daten überschätzt werden. Die Ergebnisse sollen helfen, die Frage zu klären, in welcher Form ARS-Routinedaten von Urinkulturen für die Therapie ambulant erworbener unkomplizierter HWI künftig genutzt werden können.
Methode
In der SARHA-Studie (Surveillance der Antibiotikaresistenz von Harnwegsinfektionen, die ambulant erworben wurden) wurde der aktuelle Resistenzanteil von E. coli gegenüber TMP, TMP/SMX und weiteren Antibiotika bei ambulant erworbenen unkomplizierten Harnwegsinfektionen ermittelt. Das Resultat wurde mit der Resistenzsituation bei komplizierten HWI, in den teilnehmenden Praxen im Jahr vor dem Studienzeitraum sowie den ARS-Resistenzdaten aus Urinkulturen von internistischen/allgemeinmedizinischen Praxen verglichen.
Stichprobe
Aus der Gesamtheit der 40 im Jahr 2015 an ARS teilnehmenden mikrobiologischen Labore wurden vier Labore nach folgenden Kriterien für die Studie rekrutiert:
- regelmäßige Übermittlung von Daten aus der ambulanten Versorgung zu Erreger und Resistenz von Urinproben verschiedener Regionen Deutschlands
- Interesse an der Studienteilnahme.
Von Mai 2015 bis Februar 2016 wurden über die teilnehmenden Labore niedergelassene internistisch und hausärztlich tätige Ärzte, die von den Laboren versorgt werden, rekrutiert. Alle in den Praxen vorstelligen Patienten ab 18 Jahren mit der klinischen Symptomatik einer Harnwegsinfektion (Dysurie, häufiger Harndrang) wurden bei vorliegender Einverständniserklärung in die Studie eingeschlossen. Von jedem Studienteilnehmer wurde eine Urinprobe abgegeben. Eine mikrobiologische Diagnostik wurde bei allen Urinproben, unabhängig von der Empfehlung in der S3-Leitlinie, durchgeführt.
Mikrobiologie
Erregeridentifizierung und Resistenztestung erfolgten mit automatisierten Systemen. Der Nachweis einer Keimzahl von ≥ 10³ Kolonienbildenden Einheiten (KBE)/mL wurde als positive Urinkultur gewertet (21, 22). Neben TMP und TMP/SMX waren folgende Antibiotika Bestandteil der Empfindlichkeitsprüfung: Fosfomycin, Nitrofurantoin, Ampicillin, Amoxicillin/Clavulansäure und Ciprofloxacin. Die Ergebnisse wurden nach den Vorgaben des European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing (EUCAST) interpretiert.
Erhebungsbogen
Im Erhebungsbogen wurden Geburtsjahr und -monat, Geschlecht und folgende Faktoren erfasst:
- Schwangerschaft
- Diabetes mellitus
- Dauerkatheter
- Immunsuppression
- funktionelle/anatomische Besonderheiten
- urologische/renale Erkrankungen
- Antibiotikatherapie in den zurückliegenden zwei Wochen
- Häufigkeit des Auftretens von Harnwegsinfektionen innerhalb der letzten sechs Monate.
Zusätzlich wurde von den behandelnden Ärzten angegeben, ob sie eine Urinkultur auch unter Routinebedingungen angefordert hätten oder dies nur im Rahmen der Studie der Fall war.
Statistische Methoden
Die Datenanalyse wurde mit R 3.3.1 durchgeführt (23). Konfidenzintervalle (95 %) für Proportionen wurden mit der Clopper-Pearson-Methode berechnet (24).
In einer univariablen Analyse und multivariablen Analyse wurde mithilfe von logistischer Regression die Assoziation unterschiedlicher Faktoren mit der Resistenz gegenüber TMP beziehungsweise TMP/SMX bei Studienteilnehmern mit Nachweis von E. coli überprüft. Mit pcorr werden für multiples Testen korrigierte p-Werte bezeichnet. Unkorrigierte p-Werte sind als deskriptiv zu verstehen.
Eine detaillierte Beschreibung des Surveillance-Systems ARS, der Vergleichsgruppen sowie weitere Details der verwendeten statistischen Methoden sind im eMethodenteil zu finden.
Ethikantrag
Ein Ethikvotum der Ethikkommission der Charité Universitätsmedizin Berlin zur Studiendurchführung liegt vor (Nummer EA2/008/15).
Ergebnisse
Stichprobe
Vier Labore aus verschiedenen Regionen Deutschlands (Norden, Osten, Westen, Südwesten) nahmen an der Studie teil (eGrafik 1). In 58 Praxen wurden insgesamt 1 309 Patienten rekrutiert. 1 245 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen und deren Daten ausgewertet. Gründe für einen Ausschluss waren fehlendes Einverständnis, Minderjährigkeit oder fehlende Übereinstimmung von Probe und Patientendaten.
Bei 877 (70,4 % von 1 245) aller eingeschlossenen Studienteilnehmer (800 [91,2 %] Frauen/77 [8,8 %] Männer) lag eine positiv getestete Urinkultur vor. Das durchschnittliche Alter von Frauen mit Nachweis eines HWI lag bei 57,5 Jahren (Standardabweichung [SD] 16,1; Range 18–95), bei Männern bei 68,3 Jahren (SD 20,9; Range 25–96).
Bei 749 Proben (85,4 % der Proben mit positiver Urinkultur) war nur ein Erreger nachweisbar, bei 128 (14,6 %) mehr als ein Erreger. E. coli war in 653 Proben (74,5 %) der häufigste nachgewiesene Erreger (Tabelle 1). Die Häufigkeit des Auftretens weiterer Angaben sind in eTabelle 1 zu finden. Bei 342 (52,4 %) der Proben mit E.-coli-Nachweis wurde die Harnwegsinfektion als unkompliziert gewertet, bei 311 (47,6 %) als kompliziert (Grafik 1).
Ergebnisse der Empfindlichkeitsprüfung
Bei der Empfindlichkeitsprüfung wurden zum Teil nicht alle Antibiotika untersucht. Bei Amoxicillin/Clavulansäure und Ampicillin lag der Anteil getesteter Isolate unter 50 %, bei allen anderen Antibiotika bei über 90 %. Die nachfolgenden Prozentzahlen beziehen sich jeweils auf die Gesamtzahl der für das jeweilige Antibiotikum getesteten Isolate.
Der Resistenzanteil von E. coli gegenüber TMP und TMP/SMX lag bei unkomplizierten HWI bei 15,2 % beziehungsweise 13,0 % und bei komplizierten HWI bei 26,1 % beziehungsweise 23,3 %, mit entsprechenden Resistenzanteilen von 25,3 % beziehungsweise 24,4 % in den ARS-Routinedaten von Urinproben aus dem Jahr 2015 (Tabelle 2).
Die höchsten Resistenzanteile bezogen auf die Zusatzangaben waren bei Studienteilnehmern mit vorangegangener Antibiotikaeinnahme mit 30,9 % gegenüber TMP (95-%-Konfidenzintervall [95-%-KI]: [20,2; 43,3]) beziehungsweise 27,1 % gegenüber TMP/SMX (95-%-KI: [17,2; 39,1]) sowie mit Auftreten von mindestens zwei HWI innerhalb der letzten sechs Monate mit 28,9 % (95-%-KI: [22,7; 35,6]) beziehungsweise 25,0 % (95-%-KI: [19,3; 31,4]) zu finden.
In der univariablen Analyse war der Resistenzanteil von E. coli gegenüber TMP und TMP/SMX mit dem Auftreten ≥ 2 HWI innerhalb der letzten sechs Monate statistisch signifikant assoziiert (TMP: Odds Ratio [OR] = 2,09; 95-%-KI: [1,39; 3,13], pcorr = 0,0035, TMP/SMX: OR = 1,97, 95-%-KI: [1,3; 2,98], pcorr = 0,013). Bei den weiteren untersuchten Faktoren ergab sich keine statistisch signifikante Assoziation (eTabelle 2). Die Ergebnisse der multivariablen Analyse sind in eTabelle 3 dargestellt.
Die nach Laboren beziehungsweise Regionen stratifizierten Resistenzanteile von E. coli gegenüber TMP zeigten geringe Unterschiede in Bezug auf unkomplizierte HWI, während die Resistenzanteile der komplizierten HWI zwischen den verschiedenen Regionen stärker variierten (Tabelle 3). Die Unterschiede waren nicht statistisch signifikant.
Die Empfindlichkeitsprüfung weiterer Antibiotika bei unkomplizierten HWI ergab niedrige Resistenzanteile für Nitrofurantoin (0,6 %), Fosfomycin (0,6 %) und Ciprofloxacin (4,5 %) sowie hohe Resistenzanteile für Amoxicillin/Clavulansäure (27,3 %) und Ampicillin (29,3 %) (eTabelle 4). Im zeitlichen Verlauf 2013–2016 blieben die Resistenzanteile in Bezug auf TMP und Fosfomycin in den ARS-Routinedaten konstant, gegenüber TMP/SMX und Nitrofurantoin war ein rückläufiger Trend erkennbar (eTabelle 5).
Anfordern von Urinkulturen
Bei insgesamt 649 (52,1 %) der Studienteilnehmer wäre basierend auf den Empfehlungen der Leitlinie eine Urinkultur indiziert gewesen. Bei 409 (63,0 %) dieser Personengruppe wäre dies nach Selbstaussage der Ärzte tatsächlich routinemäßig durchgeführt worden. Bei 251 (42,1 %) der 596 Patienten, bei denen entsprechend der Empfehlung eine Urinkultur nicht notwendig gewesen wäre, wurde diese dennoch angefordert (eTabelle 6). Die Entscheidung der Ärzte für oder gegen die Anforderung einer Urinkultur korrelierte nur zum Teil mit der Leitlinienempfehlung (Phi-Koeffizient φ = 0,21).
Diskussion
In der vorliegenden Studie wurde der Resistenzanteil von E. coli bei ambulant erworbenen unkomplizierten HWI in 58 Arztpraxen niedergelassener Internisten und Allgemeinmediziner in verschiedenen Regionen Deutschlands untersucht und mit entsprechenden Daten aus dem ARS-System verglichen.
Nach unserem Wissen ist die vorliegende Studie die erste, in die alle Patienten mit klinischer Diagnose eines HWI einbezogen wurden, und bei denen erst im Rahmen der Auswertung anhand der zusätzlichen Angaben in den Erhebungsbögen die Einteilung in unkomplizierte und komplizierte HWI vorgenommen wurde. So wurde sichergestellt, dass die Einteilung nach den vorgegebenen Kriterien erfolgte. Im Rahmen der Studie wurden zudem die Kosten für alle mikrobiologischen Untersuchungen übernommen. Auf diese Weise wurde ein möglicher Einschlussbias weitgehend minimiert.
Die Resistenzanteile von E. coli gegenüber TMP und TMP/SMX bei unkomplizierten HWI waren deutlich niedriger als die entsprechenden Werte der Antibiotika-Resistenz-Surveillance aus demselben Zeitraum. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Nutzung der in ARS bereitgestellten Routinedaten im Hinblick auf die Auswahl eines Antibiotikums für die kalkulierte Therapie unkomplizierter HWI nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Eine Option zur optimalen Nutzung von ARS stellt die Auswahl von Sentinelpraxen dar, die regelmäßig Urinproben aller Patienten mit Verdacht auf HWI zur mikrobiologischen Diagnostik einsenden und eine Einteilung der Patienten in die Gruppen „unkompliziert“ und „kompliziert“ ermöglichen, um auf diese Weise komplette Daten höherer Qualität ohne Bias zu erhalten (25). Eine Alternative wäre die regelmäßige Durchführung von Validierungsstudien.
Die niedrigen Resistenzanteile von Fosfomycin, Nitrofurantoin und TMP unterstützen die aktuelle Empfehlung als erste Wahl für die kalkulierte Therapie unkomplizierter HWI in der S3-Leitlinie (6, 20). TMP/SMX und Ciprofloxacin zeichneten sich in dieser Studie ebenfalls durch niedrige Resistenzanteile aus, sollen aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsspektrums jedoch nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Ciprofloxacin sollte aufgrund seines breiten Wirkspektrums zudem schweren Infektionen vorbehalten bleiben.
In aktuellen Studien aus Deutschland sind ähnliche Resistenzanteile von 17,5 % (TMP) beziehungsweise 15,0 % (TMP/SMX) bei unkomplizierten HWI zu finden, ebenso in Studien aus Nachbarländern: Österreich 15,8 % (TMP)/14,4 % (TMP/SMX), Frankreich 17,5 % (TMP) (7, 26–28). Da die Gabe von TMP mit einer Zunahme der TMP-Resistenz assoziiert ist, sollte unter dem Aspekt, dass TMP wieder als erste Wahl empfohlen wird, die Entwicklung der Resistenzsituation beobachtet werden (29).
Die Resistenzanteile der Studienpraxen aus dem Vorjahr (Mai 2014 bis Februar 2015) unterschieden sich nicht statistisch signifikant von denen aller allgemeinmedizinischen und internistischen Praxen (ARS 2014 und 2015) (Tabelle 2). Daher erscheint ein Selektionsbias in Bezug auf die teilnehmenden Ärzte unwahrscheinlich.
Die Resistenzanteile von E. coli gegenüber TMP und TMP/SMX waren nach multipler Testkorrektur in den univariablen Analysen nur mit dem Faktor „ ≥ 2 HWI in den letzten sechs Monaten“ statistisch signifikant assoziiert. Ein weiterer zu erwähnender Faktor ist die Antibiotikaeinnahme innerhalb der letzten zwei Wochen. Wir schätzen diesen Faktor als grundsätzlich prädiktiv für die Resistenzanteile ein. Ohne Korrektur für multiples Testen ist der p-Wert grenzwertig signifikant und somit in eine andere Kategorie einzuordnen als die weiteren untersuchten Faktoren, für die auch unkorrigiert die p-Werte deutlich über 0,05 lagen. Dies kann zum Teil auch an der geringen Zahl von Teilnehmern in den einzelnen Kategorien liegen (zum Beispiel nur drei Schwangere). Bei Patienten mit HWI und vorangegangener Antibiotikaeinnahme oder rezidivierendem HWI sollte aufgrund hoher Resistenzanteile primär der Wechsel auf ein anderes Antibiotikum erwogen werden und gegebenenfalls zusätzlich eine mikrobiologische Diagnostik erfolgen. Im Einzelfall ist dann auch eine Behandlung nach mikrobiologischer Diagnostik möglich.
Bei Orientierung an den Leitlinienempfehlungen werden routinemäßig überwiegend bei komplizierten HWI Urinproben zur mikrobiologischen Diagnostik eingesandt.
Zwischen der Leitlinienempfehlung und der Entscheidung der Ärzte hinsichtlich des Anforderns einer Urinkultur ergab sich in der Studie jedoch nur ein schwacher Zusammenhang. So wurde einerseits trotz vorhandener Empfehlung keine Urinkultur angefordert und andererseits bei nicht vorhandener Empfehlung eine mikrobiologische Diagnostik durchgeführt. Variierende Vorgehensweisen in der ambulanten Versorgung in Bezug auf Diagnostik und auch Therapie von Harnwegsinfektionen sind nicht unbekannt und konnten bereits in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden (25, 30, 31). Die Ursache hierfür liegt weniger in fehlendem Wissen hinsichtlich vorhandener Empfehlungen als vielmehr in Einstellungen und gewohnten Verhaltensweisen, aber auch äußeren Barrieren (32, 33).
Limitationen
Vorherige Krankenhausaufenthalte wurden nicht erfragt. Dementsprechend kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei einem geringen Teil der HWI nicht um ambulant erworbene HWI handelt.
Die Gruppe der Patienten, die mit Symptomen eines HWI in die Praxis kamen und nicht an der Studie teilnahmen, ist nicht bekannt, daher ist ein Selektionsbias möglich.
Fazit
Die aktuelle Datenlage unterstützt die Empfehlung der S3-Leitlinie von TMP, Fosfomycin und Nitrofurantoin für die kalkulierte Therapie bei ambulant erworbenen unkomplizierten HWI. Bei Patienten mit rezidivierenden HWI oder nach Einnahme eines Antibiotikums innerhalb der letzten zwei Wochen ist aufgrund hoher Resistenzanteile eine mikrobiologische Diagnostik mit der auf dieser Basis erfolgenden Auswahl eines geeigneten Antibiotikums empfehlenswert.
Von Surveillance-Systemen bereitgestellte Routinedaten zu Resistenzen von Harnwegsinfektionen, die insbesondere Daten von komplizierten Infektionen mit hohen Resistenzanteilen beinhalten, eignen sich ohne zusätzliche klinische Informationen nur eingeschränkt für die Therapieplanung unkomplizierter HWI. Validierungsstudien oder die intensivierte Surveillance mithilfe von Sentinelpraxen sind Möglichkeiten, die Datengrundlage zu verbessern.
Die Entscheidung für eine mikrobiologische Diagnostik erfolgte nur zum Teil entsprechend den Vorgaben der Leitlinie.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 24. 11. 2017, revidierte Fassung angenommen: 11. 4. 2018
Anschrift für die Verfasser
Anja Klingeberg
Robert Koch-Institut
Abteilung für Infektionsepidemiologie
Nosokomiale Infektionen, Surveillance von
Antibiotikaresistenz und -verbrauch
Seestraße 10, 13353 Berlin
klingeberga@rki.de
Zitierweise
Klingeberg A, Noll I, Willrich N, Feig M, Emrich D, Zill E, Krenz-Weinreich A, Kalka-Moll W, Oberdorfer K, Schmiemann G, Eckmanns T:
Antibiotic-resistant E. coli in uncomplicated community-acquired urinary tract infection—a prospective cohort study from 2015/16
(the SARHA study) compared with data from the Antimicrobial Resistance Surveillance System (ARS). Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 494–500. DOI: 10.3238/arztebl.2018.0494
►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
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Zusatzmaterial
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
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eMethodenteil, eGrafiken, eTabellen:
www.aerzteblatt.de/18m0494 oder über QR-Code
Charité – Universitätsmedizin Berlin: Anja Klingeberg
LADR GmbH, Medizinisches Versorgungszentrum Plön: Dr. med. Annegret Krenz-Weinreich
MVZ Dr. Stein und Kollegen GbR, Mönchengladbach: Prof. Dr. med. Wiltrud Kalka-Moll
MVZ Labor Dr. Limbach & Kollegen GbR, Heidelberg: Dr. med. Klaus Oberdorfer
Medizinisches Versorgungszentrum, Labor 28 GmbH, Berlin: Dr. med. Edith Zill, Dagmar Emrich
Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Abteilung 1: Versorgungsforschung, Bremen: PD Dr. med. Guido Schmiemann
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