MEDIZINREPORT
Tabakentwöhnung: Raucher schaffen es nicht allein


Deutschland ist Entwicklungsland in Sachen professioneller, medizinisch unterstützter Suchttherapie für Raucher. Für ambulante wie für stationäre Maßnahmen verweigern die Krankenkassen beharrlich die Kostenerstattung. Unterstützende Pharmaka gelten zu Unrecht als Lifestyle-Medikation.
Mehr als 70 % derer, die mit dem Rauchen aufhören möchten, versuchen es zunächst allein, aber lediglich 3–7 % sind dann nach einem Jahr noch abstinent (1). Mit professioneller Unterstützung lässt sich die Erfolgsrate auf bis zu 40 % steigern.
Wer diese jedoch hierzulande in Anspruch nehmen will, hat es schwer. Zwar versprechen bei Google die Anbieter von Entwöhnungskursen vollmundig: „Alle Krankenkassen zahlen“ (2). Schaut man jedoch ins Kleingedruckte, bleibt am Ende doch das Meiste am Patienten hängen.
Nicht nur gesetzliche Krankenkassen verweigern die Kostenübernahme für entwöhnende Medikamente oder Nikotinersatzprodukte, auch die privaten sind restriktiv. Zwar brüsten sie sich, für Akupunktur und Hypnose zur Raucherentwöhnung zu zahlen, just diese werden in den aktuellen Leitlinien aber nicht empfohlen (3).
Auch wissenschaftlich ist verbrieft, dass die Tabakentwöhnung in Deutschland von den Kostenträgern stiefmütterlich behandelt wird (4). Dies steht aller Evidenz entgegen, erst kürzlich bestätigte ein Cochrane Review, dass die Kostenerstattung große Bedeutung für die Effektivität der Tabakentwöhnung hat (5). Hiesige Ärzte sind gleich in 2-facher Hinsicht ausgebremst: Weder stationär noch ambulant zählt Tabakentwöhnung zum Leistungsspektrum der Krankenkassen.
Daher hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) den OPS „Tabakentwöhnung“ auf den Weg gebracht (6). Solch ein Operationen- und Prozeduren-Schlüssel ist notwendig, um im Fallpauschalensystem (DRG) abrechnen zu können. Der OPS 9-501 soll künftig die Kostenübernahme ermöglichen, wenn Kliniken in einem standardisierten Verfahren die Tabakentwöhnung während eines stationären Aufenthaltes beginnen und dann den Patienten weiter in ambulante Strukturen überführen (Kasten). Dies gilt für alle stationär behandelten Raucher, ob sie wegen einer COPD, eines Infarktes oder einer Gelenkoperation eingewiesen worden sind.
Rauchstopp in der Klinik starten
„Wir wissen, dass Patienten in der Klinik sehr empfänglich dafür sind, mit dem Rauchen aufzuhören“, sagt Prof. Dr. med. Stefan Andreas, Chefarzt der Lungenfachklinik Immenhausen. Insbesondere, wenn das motivierende Interview (Kasten) von einem Arzt vorgenommen wird (7).
„Wir haben mitunter die paradoxe Situation, dass wir aufwendige und kostenintensive Therapien bei Rauchern vornehmen – etwa Gefäßbypässe anlegen –, dass wir jedoch den ‚teachable moment‘ verpassen, um während dieser Zeit in der Klinik eine Entwöhnung anzuregen“, kritisiert der Pneumologe. Insbesondere Patienten, die wegen einer durch Rauchen verursachten Erkrankung behandelt werden, sind eine lohnende Zielgruppe. Aber im Prinzip fallen alle Raucher unter das Programm.
Das könnten – je nach Klinik – bis zu 40 % der stationär behandelten Patienten sein. Kostenschätzungen zufolge wären für das multimodale Programm ungefähr 400 Euro je Fall zu veranschlagen (8). Mehrere pneumologische Kliniken und Fachpraxen haben mit dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) rund ein Jahrzehnt lang auf die Umsetzung hingearbeitet. Erste Beobachtungen nach Probephasen zeigen, dass das Verfahren praktikabel ist und gute Entwöhnungsraten erzielt.
Sollte es zur Implementierung des OPS 9-501 kommen, ist die Finanzierung der nachfolgenden Entwöhnungstherapie in der ambulanten Praxis jedoch noch immer nicht gelöst.
Die Evidenz, so die einschlägigen Leitlinien, spricht für eine Kombination aus Verhaltenstherapie und medikamentöser Unterstützung (9, 1). Bezahlt wird beides nicht. So müssen die Betroffenen zum Beispiel Pharmaka zur Unterstützung der Entwöhnung selbst zahlen: Das sind vor allem die verschiedenen Nikotinersatztherapien (NRT als Nikotin-Pflaster, -Kaugummis, -Tabletten, -Mundspray und -Inhaler), dann Vareniclin als partieller Agonist des nikotinischen Acetylcholinrezeptors α4β2 und schließlich das Antidepressivum Bupropion.
Entwöhnungstherapie einklagen
Diese Medikamente würden zu Unrecht vom Gesetzgeber als Lifestyle-Medikation herabgewürdigt und so von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen, kritisieren die „Lungenfachärzte im Netz“ (10). Alle 3 pharmakologischen Ansätze sind effektiv, eine Kombination mehrerer Applikationsformen kann die Wirksamkeit der NRT ebenso steigern wie deren Kombination mit Vareniclin oder Bupropion.
Die Tabakentwöhnung gilt zudem als entscheidende Unterstützung bei der Behandlung von Patienten mit COPD, Lungenkrebs, Asthma und Tuberkulose (11). So senkt beispielsweise der Rauchstopp die Komplikationsrate nach pulmonalen Resektionen, verbessert die Prognose und das Ansprechen der Chemotherapie (12). Und besser als Statine, Betablocker oder ACE-Hemmer senkt dies die Mortalität der Koronaren Herzkrankheit (13).
„Aus diesem Grund haben wir bereits vor Jahren eine Klageinitiative zur Gleichbehandlung der Tabakabhängigkeit als Suchterkrankung in die Wege geleitet“, erklärt Prof. Dr. med. Anil Batra, Leiter der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Tübingen und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Aktionskreises Tabakentwöhnung (WAT). Die Begrenzung von Erstattungsleistungen auf Low-cost-Präventionsangebote (§ 20 SGBV) müsse dringend aufgehoben werden (14).
Diese Klage liegt derzeit auf Eis, weil zwischenzeitlich ein Verfahren mit dem gleichen Ziel beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. In Deutschland sind Raucher somit gezwungen, für die Erstattung ihrer Therapie vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
Wenngleich vermutlich das Rauchen von E-Zigaretten für den individuellen Raucher weniger Schadenspotenzial birgt als Tabakrauch, ist es kein Mittel zur Raucherentwöhnung, wie dies zurzeit promotet wird. Andreas erteilt solchen Ansätzen eine klare Absage. Vor Kurzem zeigte eine Untersuchung aus 28 europäischen Staaten, dass der Griff zur E-Zigarette die Raucherentwöhnung womöglich sogar behindert (15). „Oft rauchen die Patienten dann beides parallel“, so Andreas. Die Studie belegt ebenfalls, dass am Ende in der Bevölkerung eher mehr als weniger geraucht wurde.
Unlängst brachte in einer Debatte Prof. Dr. Paul Aveyard von der Universität Oxford sogar den Vorschlag, E-Zigaretten so wie Nikotinersatztherapie zu verschreiben. Prof. Dr. Kenneth C. Johnson von der Universität Ottawa hielt dagegen, dass in einer Langzeitbeobachtung von 11–18 Jahre alten Schülern, der Einstieg über die E-Zigarette das Risiko, als Tabakraucher zu enden, verzwölffacht hatte (16).
Er verwies zudem darauf, dass fast die Hälfte aller mit Rauchen assoziierten Todesfälle auf das Konto von Herzerkrankungen geht. Die Gefäße würden nach wie vor vom Nikotin geschädigt. E-Zigaretten-Konsum ginge daher ebenfalls mit einem erheblichen kardialen und zerebralen Infarktrisiko einher. Sie als Entwöhnungshilfe zu empfehlen, sei „unverantwortlich“, resümiert Johnson.
Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3118
oder über QR-Code.
Multimodale stationäre Therapie zur Tabakentwöhnung
- Standardisierte Erfassung der Raucheranamnese mit einem ausführlichen Fragebogen und standardisierte Erfassung der Nikotinabhängigkeit (Fagerström-Test)
- Durchführung und Dokumentation von Motivationsgesprächen zur Beendigung des Tabakkonsums von insgesamt mindestens 60 Minuten durch einen Arzt mit der Qualifikation zur Tabakentwöhnung (Voraussetzung ist eine zertifizierte Befähigung zur Tabakentwöhnung, z. B. über das Curriculum der Bundesärztekammer der DGP und BDP)
- Durchführung und Dokumentation von Motivationsgesprächen individuell oder in Gruppen von insgesamt mindestens 120 Minuten durch Personal mit der Qualifikation zur Tabakentwöhnung (Psychologen, Pädagogen, Sozialpädagogen, Sozialwissenschaftler, Gesundheitswissenschaftler, Pflegefachkräfte oder medizinische Fachangestellte)
- Aufklärung über Einsatz und Wirkungsweise von nikotinhaltigen Präparaten und anderen medikamentösen Hilfen zur Tabakentwöhnung
- Mindestens 2 Kohlenmonoxidbestimmungen in der Ausatemluft oder im Blut (CO-Hb-Wert in der Blutgasanalyse) zur Verlaufsdokumentation
- Dokumentierte Anmeldung (unterzeichnet von meldendem Krankenhaus und gemeldetem Patienten) an ein ambulantes, von den Krankenkassen anerkanntes Tabakentwöhnungsprogramm
02.pdf (last accessed on 13 June 2018).
Heinlein, Hartmut
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.am Freitag, 28. September 2018, 21:20
Tabakentwöhnung: Politisches Geheimnis
MfG