ArchivDeutsches Ärzteblatt33-34/2018Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln: Sesam öffne dich

MANAGEMENT

Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln: Sesam öffne dich

Lenzen-Schulte, Martina

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Zahlen, weil es keinen freien Zugang gibt? Der Screenshot einer beliebigen Journal-Webseite zeigt, wie teuer einzelne Artikel sind (grüner Pfeil). Praktisch immer finden sich beim Abstract auf der Seite auch Kontaktdaten. In diesem Fall empfiehlt sich zum Beispiel eine E-Mail an den Hauptautor (roter Pfeil).
Zahlen, weil es keinen freien Zugang gibt? Der Screenshot einer beliebigen Journal-Webseite zeigt, wie teuer einzelne Artikel sind (grüner Pfeil). Praktisch immer finden sich beim Abstract auf der Seite auch Kontaktdaten. In diesem Fall empfiehlt sich zum Beispiel eine E-Mail an den Hauptautor (roter Pfeil).

Was tun, wenn die eigene Universitäts- oder Klinikbibliothek keinen Zugang zum vollständigen Text einer wichtigen Publikation hat? Oder wenn einem die Nutzung einer solchen Institution nicht offensteht? Für sie alle gibt es jede Menge Schleichwege, die auch ans Ziel – zum Fulltext – führen.

Zwar sind die Gedanken (der Forscher) frei, sind sie erst schriftlich fixiert, dann kostet es. Anfang Juli teilte die Hochschulrektorenkonferenz mit, dass die DEAL-Verhandlungen wegen Elsevier vorerst gescheitert sind. Der Verlagsriese hat nun die Zugänge abgeschaltet, Wissenschaftler und Ärzte kommen derzeit nicht mehr ohne Weiteres an aktuelle, von Elsevier publizierte Fachliteratur heran (1).

Das DEAL-Projekt sollte den Bibliotheken von Universitäten und Forschungseinrichtungen kostengünstigere Zugänge zu Publikationen verschaffen. Mit am Verhandlungstisch saßen außer Elsevier noch die Verlage SpringerNature und Wiley. An diese drei gehen rund 60 Prozent der jährlich erbrachten Lizenzgebühren. Die DEAL-Verhandlungen liegen nun auf Eis.

Diese akute Krise ist allerdings nur der Höhepunkt eines Problems, das seit Jahren schwelt und viele Mediziner tangiert, nicht nur Forscher an Universitätskliniken. Vor allem Ärzte in peripheren Krankenhäusern, die sich die Abonnements für ein breites Angebot medizinischer Fachjournale nicht leisten können, sind betroffen, außerdem Niedergelassene, für die eine Vielzahl von Abonnements erst recht utopisch ist. Sie alle haben zu den meisten Volltexten wissenschaftlicher Journale keinen Zugang.

Selbst Universitätsbibliotheken können nicht das gesamte verfügbare Wissen aus Fachzeitschriften bereitstellen. „Wir sind zwar recht gut sortiert und bieten rund 90 Prozent aller Priorität-A-Titel, die die Nutzer sich wünschen, aber alles eben doch nicht“, sagt Dr. med. Stefanus Schweizer, Leiter der Bereichsbibliothek Universitätsmedizin an der Universitätsbibliothek Mainz.

Publikationen vollständig lesen

In der aktuellen Krise versuchen er und viele andere Bibliothekare bundesweit, die Forscher und Leser so gut es geht zu unterstützen, etwa mithilfe eines kostenlosen Sofortbestellservice für einschlägige Titel. Die Universität Münster hat anlässlich der von Elsevier hochgezogenen Mauern sogar eine Liste mit Tipps zur Selbsthilfe veröffentlicht (2).

Solche Strategien ebnen ebenfalls all jenen einen direkten Weg zu Volltexten, die keine gut ausgestattete Einrichtung nutzen dürfen. Zwar kann jeder Arzt zum Beispiel in Mainz vor Ort recherchieren und hat dort auch freien Zugang zu den lizensierten Journalen. Wer jedoch aus einem Krankenhaus oder einer Praxis in der Eifel einen aktuellen Artikel zu lesen wünscht, fährt nicht mal eben in die Landeshauptstadt. Das ist nicht nur misslich für den Doktoranden, der im Praktischen Jahr bei einem Allgemeinmediziner seine Doktorarbeit fertigschreiben will. Das hilft auch dem Oberarzt einer Stroke-Unit nicht, der sich mit Originalliteratur weiterbilden möchte.

Ihnen bleibt allenfalls, für einen einzigen Artikel aus dem Netz 20 bis 40 Euro zu bezahlen, was sich bei einer Recherche rasch auf etliche 100 Euro belaufen kann. Zwar gibt es Sparangebote (Lancet Choice $ 49 für fünf Artikel) oder Kurzzeitzugänge (Cell Press Journals ab $ 3,99 für sechs Stunden), aber dies sind keine Dauerlösungen. Auch wissenschaftliche Teams, die spezielle Journale benötigen, wollen solche Preise nicht regelhaft aus ihren Budgets finanzieren.

Doch wem, wenn nicht findigen Forschern, sollte es gelingen, Schlupflöcher in den Paywalls zu finden. Für eine rasche Orientierung bieten sich einschlägige Suchmaschinen wie Google-Scholar oder Dienste an, die über die stets auch in den Abstracts zu findende DOI-Nummer zum Ziel führen (siehe Infokasten). PubMedCentral ist nicht nur eine Suchmaschine für wissenschaftliche Publikationen, sie bietet auch freien Zugang zu etlichen Zeitschriften – dies aber erst nach Ablauf einer gewissen Frist. Für brandaktuelle Publikationen stellt das mithin keine Lösung dar.

Das Forschernetzwerk ResearchGate gewährt ebenfalls freien Zugang zu den Artikeln, die die Mitglieder des Netzwerkes dort hochgeladen haben. Das vor einem Jahrzehnt von einem Arzt mitbegründete Berliner Start-up-Unternehmen hat zuletzt von Bill Gates eine Millionenspritze erhalten, schreibt allerdings Verluste (3). Ob es erlaubt ist, die eigenen Artikel in solchen Netzwerken frei zugänglich zu machen, ist umstritten. Manche Verlage gestatten es nach einer gewissen Frist, andere erlauben, eine Frühfassung zu veröffentlichen (4).

Einfach mal freundlich fragen

Wer auf all diesen Plattformen nicht fündig wird, sollte sich ohne Scheu aufraffen, dem Haupt- oder Erstautor einer Publikation eine Mail zu schreiben. Jahrzehntelange Artikelrecherche lehrt, dass dies ein durchaus einfach umzusetzendes Verfahren ist. Wissenschaftler sind nach wie vor von früh bis spät erreichbar und freuen sich über das Interesse an ihrer Arbeit. Oft dauert es nicht einmal eine Stunde, bis nicht nur das gewünschte PDF per E-Mail eingeht, sondern gleich noch einige dazu passende Reviews oder Arbeiten von Kollegen.

Die meisten Verlage erlauben es, solche Reprints zur Verfügung zu stellen, früher verfügten Forscher schließlich auch über Stapel von Sonderdrucken zur kostenlosen Verteilung. Die Kontaktdaten des Hauptautors findet man leicht in PubMed oder beim Abstract des Artikels auf der Journalseite (siehe Abbildung). Aber auch über die sozialen Netzwerke wie Twitter können Interessierte einen Schuss ins Blaue abgeben. Obwohl die Zeitschriften an den Artikeln verdienen, sollte man nicht unterschätzen, dass deren Presseabteilungen sich über die Verbreitung ihrer Publikationen freuen. Wer sein Interesse in ein paar freundlichen Zeilen kundtut und gleichzeitig verspricht, den Fachartikel korrekt zu zitieren, wird oft recht unkompliziert bedient, selbst wenn dies der offiziellen Linie widerspricht.

Der wissenschaftliche Streamingdienst „Kopernio“ wurde zwar zu einem anderen Zweck gegründet, hat sich jedoch zu einer Art automatischen Suchmaschine für die Volltextsuche gemausert. Sie sollte zu Beginn lediglich für Forscher und Studenten die Artikelsuche beschleunigen. Bereits eineinhalb Jahre nach dem Start der Plattform hat das Modell offenbar so überzeugt, dass die beiden Gründer „Kopernio“ vor Kurzem in einem Multi- Millionen-Dollar-Deal an das US-Unternehmen Clarivate Analytics verkaufen konnten (5).

Blieb das alles erfolglos, dann greifen nicht wenige (und viele auch schon vorher) zu Sci-Hub, einer Plattform, die lange als Guerilla-Open-Access bezeichnet worden ist. Diese illegale Schattenbibliothek wurde von Alexandra Elbakyan begründet, nachdem sie aus Freiburg nach Kasachstan zurückgekehrt kaum noch Zugang zu wissenschaftlicher Literatur fand (6).

Sie wollte den Forschern in Ländern mit wenig Ressourcen Zugänge eröffnen und wurde 2016 von Nature in die Top 10 der wichtigsten Wissenschaftspersönlichkeiten gewählt. Hauptnutzer von Sci-Hub sind China, Indien, Iran, Russland, USA und Europa, die meisten der heruntergeladenen PDFs stammen von Elsevier.

Die juristischen Auseinandersetzungen sind Teil der Debatte um den Open Access (7). Das geforderte Ideal – freier Zugang zu allen wissenschaftlichen Publikationen – ist in naher Zukunft nicht realisierbar. Bis dahin sind Forscher darauf angewiesen, sich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen.

Wie finde ich Volltexte im Internet ?

Suchmaschinen

  • Google Scholar https://scholar.google.de/
  • Digital Open Access Identifier http://doai.io/ (funktioniert über die DOI-Nr. des Artikels)
  • unpaywall http://unpaywall.org/data (ebenfalls über die DOI-Nr.)
  • ResearchGate: https://www.researchgate.net/ (besteht seit 2008; > als 15 Mio. Mitglieder/Forscher teilen dort ihre eigenen Publikationen)
  • PubMedCentral: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/ (listet > 2 000 Zeitschriften mit Volltextezugang, aber erst nach einer Frist)

Apps und andere Hilfen

  • Kopernio https://kopernio.com/: Die App zeigt zum Beispiel gekoppelt an PubMed an, ob und wo der Volltext einer Publikation verfügbar ist. Systematisch machen die Algorithmen unter anderem auch frühe Versionen von Artikeln ausfindig.
  • Sci-Hub https://sci-hub.com (Achtung: Die URL-Adressen wechseln öfters); gegründet 2011, bietet diese illegale Plattform rund 70 000 Nutzern pro Tag Zugriff auf 60 Mio. Aufsätze und damit auf über 85% aller Publikationen hinter einer Paywall;

Soziale Plattformen:

  • Twitterdienst: #icanhazpdf

Direkt nachfragen:

  • bei den Autoren des Artikels
  • bei der Verlagspressestelle
  • beim Journal direkt

Universitäts-/Instituts- homepage der Autoren:

  • Die meisten Institute und Kliniken stellen sich im Netz vor. Dabei listen nicht wenige Forscher ihre Publikationen nach Jahren geordnet und mitunter im vollen Wortlaut auf. Dies ist mit wenigen Klicks auf der betreffenden Homepage zu eruieren.
1.
Lauer S: Pressemitteilung HRK: Verhandlungen von DEAL und Elsevier: Elsevier-Forderungen sind für die Wissenschaft inakzeptabel. 5. Juli 2018 https://www.projekt-deal.de/verhandlungen-von-deal-und-elsevier-elsevier-forderungen-sind-fur-die-wissenschaft-inakzeptabel/ (last accessed on 25 July 2018).
2.
Jobst O: Acht Wege an Elsevier-Artikel zu kommen, die nicht in Münster verfügbar sind. 17. Juli 2018. https://www.uni-muenster.de/ZBMed/aktuelles/11880 (last accessed on 25 July 2018).
3.
Hüsing A: Researchgate: Verlust steigt um 73,3 % – auf 10,7 Millionen. deutsche-startups.de vom 12. Juli 2018. https://www.deutsche-startups.de/2018/06/12/researchgate-verlust-steigt-um-733-auf-107-millionen/ (last accessed on 25 July 2018).
4.
Voigt M: Blog der TU Berlin vom 10. August 2016. https://blogs.ub.tu-berlin.de/openaccess/2016/08/artikel-bei-researchgate-und-co-hochladen-welcher-verlag-erlaubt-was-und-wie-open-access-ist-das-eigentlich/ (last accessed on 25 July 2018).
5.
Hofmann A: Millionen-Exit nach nur eineinhalb Jahren. Gründerszene.de vom 10. April 2018. https://www.gruenderszene.de/business/kopernio-exit-nach-nur-eineinhalb-jahren (last accessed on 24 July 2018).
6.
Seer V: Von der Schattenbibliothek zum Forschungskorpus. Ein Gespräch über Sci-Hub und die Folgen für die Wissenschaft. LIBREAS. Library Ideas, 32 (2017). https://libreas.eu/ausgabe32/scihub/ (last accessed on 26 July 2018).
7.
Wege zu Open Access: Was kann jeder Einzelne von uns tun? Blog der TU Berlin vom 6. April 2018. https://blogs.ub.tu-berlin.de/openaccess/2018/04/wege-zu-open-access-was-kann-jeder-einzelne-von-uns-tun/ (last accessed on 26 July 2018).
1.Lauer S: Pressemitteilung HRK: Verhandlungen von DEAL und Elsevier: Elsevier-Forderungen sind für die Wissenschaft inakzeptabel. 5. Juli 2018 https://www.projekt-deal.de/verhandlungen-von-deal-und-elsevier-elsevier-forderungen-sind-fur-die-wissenschaft-inakzeptabel/ (last accessed on 25 July 2018).
2.Jobst O: Acht Wege an Elsevier-Artikel zu kommen, die nicht in Münster verfügbar sind. 17. Juli 2018. https://www.uni-muenster.de/ZBMed/aktuelles/11880 (last accessed on 25 July 2018).
3.Hüsing A: Researchgate: Verlust steigt um 73,3 % – auf 10,7 Millionen. deutsche-startups.de vom 12. Juli 2018. https://www.deutsche-startups.de/2018/06/12/researchgate-verlust-steigt-um-733-auf-107-millionen/ (last accessed on 25 July 2018).
4.Voigt M: Blog der TU Berlin vom 10. August 2016. https://blogs.ub.tu-berlin.de/openaccess/2016/08/artikel-bei-researchgate-und-co-hochladen-welcher-verlag-erlaubt-was-und-wie-open-access-ist-das-eigentlich/ (last accessed on 25 July 2018).
5.Hofmann A: Millionen-Exit nach nur eineinhalb Jahren. Gründerszene.de vom 10. April 2018. https://www.gruenderszene.de/business/kopernio-exit-nach-nur-eineinhalb-jahren (last accessed on 24 July 2018).
6.Seer V: Von der Schattenbibliothek zum Forschungskorpus. Ein Gespräch über Sci-Hub und die Folgen für die Wissenschaft. LIBREAS. Library Ideas, 32 (2017). https://libreas.eu/ausgabe32/scihub/ (last accessed on 26 July 2018).
7.Wege zu Open Access: Was kann jeder Einzelne von uns tun? Blog der TU Berlin vom 6. April 2018. https://blogs.ub.tu-berlin.de/openaccess/2018/04/wege-zu-open-access-was-kann-jeder-einzelne-von-uns-tun/ (last accessed on 26 July 2018).

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.
Avatar #751412
Viola Voß
am Dienstag, 21. August 2018, 11:52

Korrekturhinweis Literaturangabe

Ein kurzer Hinweis zum zweiten Literaturhinweis: Der Autor heißt Obst, nicht Jobst.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote