ArchivDeutsches Ärzteblatt38/2018Kinofilm „Eingeimpft“: Gut gemeint, aber Chance vertan

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Kinofilm „Eingeimpft“: Gut gemeint, aber Chance vertan

Zylka-Menhorn, Vera; Grunert, Dustin

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Impfen ist ein komplexes Thema, insbesondere für Laien. Ein aktueller Film zu diesem Thema ist zwar unterhaltsam, macht es dem Zuschauer aber unmöglich, sich sachlich fundiert eine Meinung zu bilden.

In zwei Welten: Regisseur David Sieveking, umgeben von westafrikanischen Müttern, die auf die Impfung ihrer Kinder warten. Und im Sitzungssaal der STIKO, deren Beschlüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Argumentationen und die zum Beschluss führenden Studien werden allerdings vom RKI veröffentlicht. Foto: 2017 Flare Film/Adrian Stähli
In zwei Welten: Regisseur David Sieveking, umgeben von westafrikanischen Müttern, die auf die Impfung ihrer Kinder warten. Und im Sitzungssaal der STIKO, deren Beschlüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die Argumentationen und die zum Beschluss führenden Studien werden allerdings vom RKI veröffentlicht. Foto: 2017 Flare Film/Adrian Stähli

Hohe mediale Wellen schlägt in diesen Tagen der Film „Eingeimpft – Familie mit Nebenwirkungen“ von David Sieveking. Der Dokumentarfilmer steht in der Kritik, die große Chance vertan zu haben, dem Publikum durch ausgewogene, wissenschaftlich gesicherte Informationen die individuelle und soziale Bedeutung des Impfens zu erklären. Stattdessen würden in dem 90-minütigen Film Meinungen und Fehlinformationen dargestellt, ohne diese einzuordnen oder richtigzustellen.

Entsprechend gespannt haben die Autoren den Kinobesuch angetreten. Doch der Film ist amüsant, unterhaltsam und empathisch – wenn man ihn als „Beziehungskomödie“ deklariert. „Eingeimpft“ ist keine Dokumentation, sondern eine humorvolle soziologische wie psychologische Bestandsaufnahme junger akademischer Mittelschichtfamilien, die sich rührend um das Wohlbefinden ihrer Kinder kümmern. In diesem Zusammenhang sind Fragen wie „Impfen ja oder nein? Wann und was?“ ein Dauerbrenner bei Eltern auf Spielplätzen, Partys und in den Kitas.

Das erfahren auch David Sieveking und seine Partnerin Jessica de Rooij nach der Geburt ihrer Tochter Zaria. Während für David das Impfen „wie Zähneputzen“ einfach dazugehört, lehnt Jessica diese Präventionsmaßnahme aus einem Bauchgefühl ab. Die Eltern sind gespalten. Um den Familienfrieden zu wahren, beschließt David, den Konflikt über das Für und Wider des Impfens durch Recherche zu lösen.

Er spricht mit Repräsentanten der Ständigen Impfkommission (STIKO), des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der Gavi-Impfkonferenz, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Vertretern einer Langzeit-Impfstudie in Guinea-Bissau. Er widmet sich Anthroposophen, Pharmafirmen und Patienten, die glauben, einen Impfschaden erlitten zu haben, sowie Eltern, die das Impfen vehement befürworten.

Letztlich, einige Jahre später, einigen sich David und Jessica darauf, die ihrer Meinung nach wichtigsten und längst überfälligen Impfungen der (inzwischen) beiden Töchter nachzuholen. Dieses Filmende macht plausibel, dass Sieveking – wie er sich selbst ausdrücklich beschreibt – ein Impfbefürworter ist. Aber bis zu dieser versöhnlichen Schlussszene ist in der öffentlichen Perzeption möglicherweise schon viel Porzellan zerschlagen worden. Sieveking bedient mit seinen Bildern und Gesprächen beharrlich fünf Punkte, die die WHO als Hauptgründe für das Nichtimpfen ausfindig gemacht hat (1) – und die ihm den Vorwurf einbringen, für eine Dokumentation unausgewogen zu berichten.

  • Mangelndes Vertrauen in die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfungen sowie in die Empfehlungen anerkannter Institutionen: Im Film wird dies beispielsweise an den Aluminiumsalzen festgemacht, die Totimpfstoffen als Wirkverstärker zugefügt werden. So sagt Jessica unter Tränen, sie wolle, dass ihr Kind „metallfrei“ bleibe. Laut PEI enthält eine Impfdosis allerdings nur zwischen 0,1 und 0,8 Milligramm Aluminium (2). Nicht in Relation gesetzt wird, dass die tolerierbare wöchentliche orale Aufnahmemenge bei einem Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht liegt (3). Mitunter reicht daher eine einzige Portion Fisch aus, die wöchentliche Dosis zu erreichen (4).
  • Vermeintlich niedriges Krankheitsrisiko: Viele schwere Infektionskrankheiten wie Masern oder Keuchhusten sind durch Impfungen stark zurückgedrängt worden. Dass es selten zu Ausbrüchen kommt, hängt damit zusammen, dass die Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist (Herdenimmunität).
  • Ausnutzen der Herdenimmunität als „Trittbrettfahr“: Nach dem Motto: Sollen sich doch die anderen impfen lassen, dann bin auch ich geschützt, wird im Film diskutiert. Eindringlich, aber vergeblich versucht ein Kinderarzt Jessica und David das Risiko zu verdeutlichen: „Früher sind in Ihrer Nachbarschaft viele Kinder an Diphtherie gestorben. Heute schwimmen Ihre Kinder auf der Welle, dass andere geimpft sind.“
  • Hoher Informationsbedarf: Viele Informationsquellen werden als gleichwertig betrachtet. Dadurch werden die evidenzbasierten Impfempfehlungen der STIKO genauso gewichtet wie die eines einzelnen Arztes, der möglicherweise nicht die Studienlage überblickt. Zudem neigen Menschen dazu, solchen Informationen Glauben zu schenken, die in das eigene Weltbild passen. Im Film treten die Risiken des Impfens somit überproportional in den Vordergrund.
  • Alltägliche Hindernisse: Während in Deutschland unbedeutende Anlässe dazu führen, Impfungen zu verschieben (wie bei den Filmeltern) oder gar zu unterlassen, nehmen in Entwicklungsländern die Menschen tagelange Wege auf sich, um ihre Kinder impfen zu lassen. Das stellt sogar Sievekind bewundernd in seinem Film fest.

Weitere Kritikpunkte

Sieveking greift im Film unter anderem den Sechsfach-Kombinationsimpfstoff Hexavac® auf, der bald nach Zulassung zu Todesfällen bei Säuglingen geführt haben soll. Der Pathologe Prof. Dr. med. Randolph Penning, der den Stein durch die Meldung von drei ungewöhnlichen Todesfällen von Kleinkindern ins Rollen brachte, sagt im Film, bei den zuständigen Stellen habe man „das Ganze runtergebügelt“. Es sei versucht worden, ihn mundtod zu machen. Was im Film allerdings vollkommen unerwähnt bleibt, ist die TOKEN-Studie, in der genau diese Beobachtung infolge der Meldungen vom Robert Koch-Institut in den Jahren 2005 bis 2008 weiter untersucht wurde. Es konnte kein Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Todesfällen bei Kleinkindern gezeigt werden (5). Die Hypothese wurde also nicht „runtergebügelt“, sondern nach wissenschaftlichen Kriterien untersucht und stellte sich als nicht haltbar heraus.

Im Rahmen seiner weiteren Recherche lernt Sieveking auf einem Kongress Prof. Dr. Peter Aaby kennen, der ihn nach Guinea-Bissau einlädt. Dort hatte der dänische Anthropologe 1978 das Bandim Health Project gegründet, benannt nach einem Bezirk der Hauptstadt Bissau. Dort und in 180 Dörfern in ganz Guinea-Bissau verfolgen Ärzte seitdem die Gesundheit von mehr als 100 000 Menschen, registrieren das Gewicht der Babys, ob gestillt wird oder nicht, aber auch Impfungen, Erkrankungen und Arztbesuche.

In Auswertung dieser Daten stellte Aaby „unspezifische“ Wirkungen von Impfstoffen fest, die über die spezifischen Schutzwirkungen gegen die Zielerkrankungen hinausgehen. Aaby leitet daraus ab, dass Lebendvakzinen die Mortalität über das zu erwartende Maß der spezifischen Impfwirkung senken und Totimpfstoffe den gegenteiligen Effekt haben. Mehr als 450 wissenschaftliche Artikel sind daraus entstanden, die auch in hochrangigen Journalen veröffentlich worden sind. „Meine Daten deuten darauf hin, dass sich die negativen Effekte von Totimpfstoffen abmildern oder aufheben lassen, wenn gleichzeitig oder kurz darauf ein Lebendimpfstoff verabreicht wird.“ Aus diesem Grund befürwortet er, mehr Lebend- und weniger Totimpfstoffe einzusetzen; respektive die Impfschemata entsprechend zu verändern.

Im Film bleibt unerwähnt, dass sich die WHO seit 2002 mit den unspezifischen Effekten beschäftigt hat. Im April 2013 wurden die Berichte des SAGE-Beratergremiums der WHO veröffentlicht. Zu dem Tuberkuloseimpfstoff BCG, dem Diphterie-Tetanus-Keuchhusten Impfstoff DTP und dem Masernimpfstoff lautet die Zusammenfassung jeweils: „Die Belege reichen nicht aus für eine Änderung der WHO-Impfempfehlungen“ (6).

Film soll „eine Brücke bauen“

Sieveking sagt in Interviews, dass er nicht erwartet hatte, pauschal und teils polemisch als Impfgegner verdammt zu werden. Die geballte Reaktion zeige ihm aber, dass es richtig war, diesen Film zu machen, um „eine offene Debatte auszulösen.“ Er liefere eine differenzierte Auseinandersetzung und gebe beiden Lagern Raum. „Er soll eine Brücke bauen“, beschreibt Sieveking die Intention dahinter. Er spricht sich auch dafür aus, Impfprogramme zu verbessern und mehr Aufklärung zu betreiben.

Wenn Sieveking seinen Film in diesem Sinn verstanden haben will, dann ist das Projekt gescheitert. Man hätte wenigstens zu Beginn des Abspanns eine Liste mit seriöser Literatur anführen können, damit der Zuschauer selbst Informationen einsehen kann. Das war nicht der Fall. Am Ende hat er mehr Zweifel gesät als valide Informationen geliefert. Da ist es umso pikanter, dass der Film hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln finanziert worden ist (7).

„Es ist zu befürchten, dass der Film dazu beitragen wird, impfkritische Eltern in ihrer Haltung zu bestätigen – und andere zu verunsichern“, resümiert Prof. Dr. med. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI).

Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Dustin Grunert

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3818
oder über QR-Code.

1.
WHO: Vaccine hesitancy: A growing chall-
enge for immunization programmes. http://www.who.int/news-room/detail/18-08-2015-vaccine-hesitancy-a-growing-challenge-for-immunization-programmes (last accessed on 17 September 2018).
2.
Paul-Ehrlich-Institut: Sicherheitsbewertung von Aluminium in Impfstoffen. https://www.pei.de/DE/infos/fachkreise/impfungen-impfstoffe/faq-antworten-impfkritische-fragen/impfung-aluminium/impfung-aluminium-node.html (last accessed on 17 September 2018).
3.
EFSA: EFSA-Beratung zur Sicherheit von Aluminium in Lebensmitteln. https://www.efsa.europa.eu/de/press/news/080715 (last accessed on 14 September 2018).
4.
Ranauab R, Oehlenschlägera J, Steinhart H: Aluminium levels of fish fillets baked and grilled in aluminium foil. Food Chemistry 2001; 73 (1): 1–6 CrossRef
5.
Robert Koch-Institut: TOKEN-Studie über Todesfälle bei Kindern im 2. bis 24. Lebensmonat. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Weitere_Studien/TOKEN_Studie/token_node.html (last accessed on 14 September 2018).
6.
SAGE-Beratergremium der WHO: Evidence based recommendations on non-specific effects of BCG, DTP-containing and measles-containing vaccineson mortality in children under 5 years of age. http://www.who.int/immunization/sage/meetings/2014/april/1_NSE_Backgroundpaper_final.pdf (last
accessed on 14 September 2018).
7.
Eingeimpft Presseheft: EINGEIMPFT_Presseheft_2018–07–19_FINAL, S.3. https://filme.kinofreund.com/f/eingeimpft (last accessed on 17. September 2018).
1.WHO: Vaccine hesitancy: A growing chall-
enge for immunization programmes. http://www.who.int/news-room/detail/18-08-2015-vaccine-hesitancy-a-growing-challenge-for-immunization-programmes (last accessed on 17 September 2018).
2.Paul-Ehrlich-Institut: Sicherheitsbewertung von Aluminium in Impfstoffen. https://www.pei.de/DE/infos/fachkreise/impfungen-impfstoffe/faq-antworten-impfkritische-fragen/impfung-aluminium/impfung-aluminium-node.html (last accessed on 17 September 2018).
3.EFSA: EFSA-Beratung zur Sicherheit von Aluminium in Lebensmitteln. https://www.efsa.europa.eu/de/press/news/080715 (last accessed on 14 September 2018).
4.Ranauab R, Oehlenschlägera J, Steinhart H: Aluminium levels of fish fillets baked and grilled in aluminium foil. Food Chemistry 2001; 73 (1): 1–6 CrossRef
5.Robert Koch-Institut: TOKEN-Studie über Todesfälle bei Kindern im 2. bis 24. Lebensmonat. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studien/Weitere_Studien/TOKEN_Studie/token_node.html (last accessed on 14 September 2018).
6.SAGE-Beratergremium der WHO: Evidence based recommendations on non-specific effects of BCG, DTP-containing and measles-containing vaccineson mortality in children under 5 years of age. http://www.who.int/immunization/sage/meetings/2014/april/1_NSE_Backgroundpaper_final.pdf (last
accessed on 14 September 2018).
7.Eingeimpft Presseheft: EINGEIMPFT_Presseheft_2018–07–19_FINAL, S.3. https://filme.kinofreund.com/f/eingeimpft (last accessed on 17. September 2018).
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