ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2018Kohlenhydrate und Lebenserwartung: Low Carb unter Verdacht

MEDIZINREPORT

Kohlenhydrate und Lebenserwartung: Low Carb unter Verdacht

Eckert, Nadine

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Eine aktuelle Studie kommt zu dem Schluss, dass eine kohlenhydratreduzierte Kost Lebensjahre kosten könnte. Müssen Anhänger der Low-Carb-Bewegung wirklich fürchten, früher zu sterben?

Headlines wie „Früher sterben mit Low Carb“ haben Befürworter solcher Diäten kürzlich geschockt. Auslöser war die Studie des Teams um den Kardiologen Prof. Dr. Scott D. Solomon vom Brigham and Women’s Hospital in Boston. Danach geht sowohl eine Ernährung mit niedrigem als auch eine mit hohem Kohlenhydratgehalt mit einer Zunahme der Mortalität einher – im Vergleich zum moderaten Kohlenhydratkonsum (ca. 50 % des täglichen Energiebedarfs), der mit der geringsten Mortalität einherging (Lancet Public Health 2018; 3 (9): e419–28).

Low Carb oder nicht Low Carb?

Aber war es überhaupt Low Carb? „Teilnehmer, die zur ‚Low-Carb-Gruppe‘ gezählt wurden, bestritten im Schnitt 37 % ihres Energiebedarfs mit Kohlenhydraten“, so Prof. Dr. med. Matthias Blüher, Leiter der Adipositasambulanz für Erwachsene an der Klinik und Poliklinik für Endokrinologie und Nephrologie der Universitätsmedizin Leipzig. „Für jeden, der ernsthaft Low Carb isst, ist das bereits eine High-Carb-Ernährung.“

Aber von vorn: Die Studie reicht zurück in die späten 1980er-Jahre. Das Team um Solomon analysierte die Daten von 15 428 US-Amerikanern, die zwischen 1987 und 1989 bei Eintritt in die Atherosclerosis-Risk-in-Communities-(ARIC-)Studie über ihre Ernährung Auskunft gaben. Sie wurden zwischen 1993 und 1995 erneut befragt, primärer Endpunkt war die Mortalität. Laut ARIC-Studie gibt es einen „sweet spot“ für die Kohlenhydrataufnahme, der bei 50–55 % der Gesamtenergie liegt und mit dem geringsten Sterblichkeitsrisiko assoziiert ist. Ein Kohlenhydratkonsum < 30 % ist dagegen mit höherer Mortalität assoziiert (Hazard Ratio [HR] 1,37; 95-%-Konfidenzintervall [95-%-KI] 1,16–1,63). Weniger deutlich fiel das Ergebnis bei einem höheren Kohlenhydratkonsum von > 65 % (HR 1,16; 95-%-KI 1,02–1,33) aus.

Diese U-förmige Assoziation zwischen Kohlenhydratmenge und Mortalität finden Solomon und seine Kollegen auch in einer Metaanalyse mit 7 weiteren Studien wieder (Kohlenhydrate < 40 %: HR 1,20 [1,09– 1,32]; Kohlenhydrate > 70 %; HR 1,23 [1,11–1,36]). Und: Verzehrten die Studienteilnehmer mehr Fett und Protein tierischen Ursprungs, war die Mortalität höher (HR 1,18; 95-%-KI 1,08–1,29); kamen diese eher aus pflanzlichen Quellen, war sie niedriger (HR 0,82 [0,78–0,87]).

Das Paper präsentiert nun eine Berechnung, wonach die Low-Carb-Ernährung mit 4 Jahren weniger Lebenszeit einhergehen soll. Da mag der Appetit auf Lachs, Zucchinispaghetti und Blumenkohlpizza vergehen. Zudem kommt eine jüngst beim Europäischen Kardiologiekongress ESC präsentierte Studie aus Polen zu einem ähnlichen Ergebnis (ESC Abstract Nr. 88255). Und: In einer Pressemitteilung warnt jetzt auch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) vor Low Carb.

Es gibt jedoch erhebliche methodische Kritik an der ARIC-Studie. Abgesehen von dem eigentlich zu hohen Kohlenhydratgehalt, stellt sich die Frage nach der Qualität der Ernährung in der Gruppe mit dem niedrigsten Kohlenhydratkonsum. Dazu fehlen die Angaben. Kritiker sehen exakt hier einen Schwachpunkt: „In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde traditionell empfohlen, sich eher kohlenhydratreich und fettarm zu ernähren“, so Blüher. „Es ist davon auszugehen, dass diejenigen, die sich entgegen geltender Empfehlungen damals kohlenhydratarm ernährten, nicht die gesundheitsbewusstesten Personen gewesen sein dürften.“ Vermutlich hatte das „Low Carb“ der ARIC-Studie nicht viel mit modernem Low Carb zu tun. Es gab wohl eher Fried Chicken und Burger als Lachs und Zucchini.

Solomon weist selbst darauf hin, dass Low Carb das Überleben nicht beeinträchtige, wenn die Kohlenhydrate durch Protein und Fett aus pflanzlichen Quellen ersetzt werden. Könnte eine (vorwiegend) vegetarische Low-Carb-Ernährung die Lösung sein? „Keine dieser Studien ist in der Lage zu zeigen, dass eine bestimmte Ernährungsform langfristig negative oder positive Auswirkungen auf die Sterblichkeit hat“, stellt Blüher klar. Dafür seien prospektive, randomisiert-kontrollierte Studien notwendig – aber leider auch unwahrscheinlich, schon aus ethischen Gründen.

Keine voreiligen Fehlschlüsse

Es bleiben somit nur die Kohortenstudien und deren Metaanalysen – mit all ihren Mankos, auch in puncto mangelnde Adjustierung: In ARIC fehlt sie zum Beispiel, was den Alkoholkonsum angeht. Tierstudien und kürzere Interventionsstudien, in denen die Ernährung gezielt kontrolliert wurde, lassen erkennen, dass eine kohlenhydratreduzierte Ernährung Langlebigkeit fördert oder zumindest Herz-Kreislauf-Risikofaktoren positiv beeinflusst. Blühers Fazit ist klar: „Die aktuellen Analysen liefern keine wissenschaftliche Grundlage für die Aussage, dass eine Low-Carb-Ernährung das Leben verkürzen könnte. Es spricht nichts dagegen, dass Ärzte ihren abnehmwilligen Patienten auch künftig raten, auf eine mediterrane, kohlenhydratreduzierte Ernährung zu setzen.“ Nadine Eckert

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