POLITIK
Praxisbarometer Digitalisierung: Fortschritte unterschiedlich verteilt


Während die Patientendokumentation schon weitgehend digitalisiert ist, steht die digitale Kommunikation der Ärzte und Psychotherapeuten mit externen Partnern und Patienten erst am Anfang.
Digitalisierungsfortschritte bei Vertragsärzten und Psychotherapeuten sind noch sehr ungleich verteilt – sie konzentrieren sich vor allem auf größere Praxen mit einem spezialisierten fachärztlichen Versorgungsangebot. Das hat eine von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) beim Berliner IGES-Institut in Auftrag gegebene repräsentative Studie ergeben, die erstmals eine Bestandsaufnahme zum Digitalisierungsgrad in Arzt- und Psychotherapeutenpraxen unternimmt. Im Rahmen der Erhebung „PraxisBarometer Digitalisierung“ wurden hierfür mehr als 1 750 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten befragt.
Vorreiter Praxismanagement
Aus der Studie, deren Ergebnisse KBV und IGES-Institut Ende Oktober gemeinsam präsentierten, geht hervor, dass vor allem im praxisinternen Managment der Verbreitungsgrad digitaler Anwendungen inzwischen recht hoch ist. So haben 73 Prozent der befragten Praxen ihre Patientendokumentation inzwischen mehrheitlich oder vollständig digitalisiert. Am geringsten fällt der Digitalisierungsgrad dabei in den psychotherapeutischen Praxen mit nur 18 Prozent aus, am höchsten mit 83 Prozent bei den versorgungsübergreifenden interdisziplinären Praxen. Terminplanung und Wartezimmermanagement sind bei 56 Prozent der Praxen weitgehend digitalisiert. Rund 60 Prozent der Hausärzte nutzen eine digitale Anwendung, um Arzneimittelwechselwirkungen zu erkennen. Drei Viertel der großen, interdisziplinär besetzten Praxen setzen beispielsweise Programme für die Raumplanung und Gerätenutzung ein.
Daneben gibt es aber in einigen Bereichen noch Handlungsbedarf: So sind zwar in knapp drei Viertel der vertragsärztlichen Praxen medizintechnische Geräte mit digitalen Schnittstellen vorhanden, aber bei 37 Prozent dieser Praxen gibt es keine oder nur teilweise eine Verbindung der Geräte zum Praxisverwaltungssystem (PVS), weil standardisierte Schnittstellen fehlen. Auch nutzen der Studie zufolge bislang nur 14 Prozent der Arztpraxen telemedizinische Anwendungen. Bei den Hausarztpraxen sind es immerhin schon 21 Prozent.
Vor allem bei der externen Kommunikation mit anderen medizinischen Einrichtungen gibt es noch viel zu tun. So kommunizieren die Praxen immer noch weit überwiegend oder komplett in Papierform mit anderen Ärzten und Psychotherapeuten sowie mit Krankenhäusern (Tabelle 1). Entsprechend selten werden auch behandlungsrelevante Daten wie etwa Bilder, Arztbriefe und Befunddaten derzeit elektronisch ausgetauscht, hier liegen die Zahlen zwischen elf bis 17 Prozent. Beim Empfang von Labordaten sind immerhin 69 Prozent der vertragsärztlichen Praxen digital unterwegs. Der Grund: „Hierfür ist keine elektronische Signatur erforderlich, und es gibt dafür ein einheitliches Austauschformat“, erläuterte Dr. Martin Albrecht vom IGES-Institut.
Noch Skepsis gegenüber Akten
37 Prozent aller Praxen wären nach der Umfrage bereit, auf eine einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte (ePA) und einheitliche Dokumentationsstandards umzusteigen. Von den spezialisierten Facharztpraxen sind dies sogar die Hälfte der Praxen, die sich davon einen Nutzen versprechen, wohingegen bei Psychotherapeuten diese Bereitschaft bei nur 21 Prozent liegt.
Auch die Patientenkommunikation über digitale Medien steckt noch in den Kinderschuhen: Nur 13 Pozent der Praxen kommunizieren außerhalb der Praxen mindestens zur Hälfte mit ihren Patienten digital. Hier zeigt sich die jüngere Generation aufgeschlossener, denn bei den Vertragsärzten und Psychotherapeuten unter 50 Jahren sind dies immerhin schon 19 Prozent.
37 Prozent aller Praxen sehen von den Patienten selbst erhobene Daten mindestens teilweise als hilfreich an, von den Hausärzten sind dies derzeit schon mehr als zwei Drittel. Bei den Onlineservices für Patienten gibt es ebenfalls viel Luft nach oben, denn 61 Prozent der Praxen haben noch keinerlei digitale Angebote für ihre Patienten.
„Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, die Zukunft sinnvoll, also patientengerecht, zu gestalten“, betonte KBV-Vorstandsmitglied Dr. rer. soc. Thomas Kriedel. Chancen liegen dafür nach Einschätzung der Ärzte und Psychotherapeuten beispielsweise in elektronischen Medikationsplänen (54 Prozent), Notfalldatensätzen (49 Prozent) und digitalen Verordnungen (44 Prozent). Darüber hinaus könnten nach Meinung der Befragten auch der digitale Mutter- beziehungsweise Impfpass (43 Prozent) und einrichtungsübergreifende digitale Patientenakten (38 Prozent) dazu beitragen, die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern.
Die Digitalisierung müsse Abläufe vereinfachen, nicht komplizierter machen, hob Kriedel hervor. So nutzten etwa derzeit nur wenige Ärzte die Möglichkeit digitaler Muster und Bescheinigungen der ambulanten Versorgung. Ein Grund hierfür sei, dass die Krankenkassen bislang auf einer verpflichtenden elektronischen Signatur mittels des elektronischen Heilberufsausweises bestünden. „Aus unserer Sicht ist eine solche Signatur jedoch nur in bestimmten Fällen zwingend erforderlich, erklärte Kriedel. „Hier würden wir uns mehr Pragmatismus aufseiten der Krankenkassen, aber auch des Gesetzgebers wünschen.“
Auf die Mehrwerte achten
Die KBV unterstütze die Entwicklung aller digitalen Anwendungen, die für Patienten, Ärzte und Psychotherapeuten Mehrwerte brächten, so Kriedel. Nach der Umfrage erwarten die befragten Ärzte und Psychotherapeuten unter anderem mögliche Zeitersparnisse durch Prozessoptimierungen im Praxismanagement und in der Kommunikation mit anderen Ärzten und Krankenhäusern (jeweils 60 Prozent). Als sehr hilfreich bewertet mehr als die Hälfte den E-Arztbrief. Hingegen sind derzeit nur 18 Prozent davon überzeugt, dass sich die Arzt-Patienten-Beziehung durch Digitalisierung verbessert.
„Wir sehen: Digitalisierung ist kein Allheilmittel und kein Selbstzweck. Es kommt auf planvolle Umsetzung, sinnvolle Einbettung und Funktionalität im Praxisalltag an“, lautete das Fazit des KBV-Vorstandsvorsitzenden Dr. med. Andreas Gassen. Gründe für die mangelnde Digitalisierung in einigen Bereichen liegen auch bei der Industrie. „Die Qualität der meisten PVS-Systeme ist unterirdisch“, kritisierte Gassen. Zudem müssten alle Maßnahmen im Rahmen der Digitalisierung idealerweise den Arzt entlasten und Zeit schaffen, die der eigentlichen Arbeit mit den Patienten zugutekommt, erläuterte er.
Vorbehalte und Hemmnisse
Hier ist noch Überzeugungsarbeit zu leisten. So offenbarte die Umfrage auch Sorgen und Befürchtungen der Ärzte und Psychotherapeuten im Hinblick auf die Digitalisierung. Rund 44 Prozent der Befragten äußerte danach ernsthafte Zweifel, ob sie durch die Digitalisierung wirklich mehr Zeit für ihre Patienten haben. „Deshalb sind Zwangsmaßnahmen auch der falsche Weg“, meinte Gassen. Als weitere mögliche Hemmnisse wurden vor allem die IT-Sicherheit und die Fehleranfälligkeit der elektronischen Datenverarbeitung genannt (Tabelle 2).
„Die Industrie muss den Praxen sichere, funktionale und bezahlbare Lösungen bieten, so können auch Skeptiker überzeugt werden. Digitalisierung soll ärztliches Handeln unterstützen, nicht beeinträchtigen“, forderte auch Kriedel. Hinzu kommt: „Bisher zahlen die Ärzte selbst für den zeitlichen und personellen Aufwand, der für Digitalisierungsmaßnahmen betrieben wird. Hier sind zusätzliche finanzielle Mittel erforderlich.“ Außerdem müsse der Breitbandausbau weiter vorangetrieben werden und der Gesetzgeber Normen vorgeben, um eine Interoperationalität der Systeme zu erreichen.
Das „PraxisBarometer“ ist laut KBV die bislang umfassendste Befragung von Ärzten und Psychotherapeuten zum Stand der Digitalisierung. Sie soll in den kommenden Jahren regelmäßig wiederholt werden. Heike E. Krüger-Brand