BRIEFE
Medizinstudium: Hingabe und Verpflichtung


... In dieser Gesellschaft scheint es sehr genaue Erwartungen bezüglich dessen zu geben, was Medizinstudierende und zukünftige Ärzte zu leisten haben. Ein Mangel an diesen Fähigkeiten führt nach dem Ausschlussprinzip zur Inkompetenz und Unbrauchbarkeit in diesem Beruf.
Ich frage mich, wie man auf Grundlage der im Text genannten Studien (von den Autoren teils selbst verfasst), nach denen bis zu 40 % der Studierenden unter psychischen Problemen leiden, nicht das Offensichtliche erkennen kann, nämlich dass, wenn dieses Krankheitsbild anscheinend gehäuft und allgemein auftritt, vielleicht nicht das Individuum, sondern das System der Auslöser ist?
Auch wenn laut den Autoren des Textes bei einer „gezielteren Auswahl“ der Medizinstudierenden bei Eintritt in die Fakultäten ein höherer „initialer Aufwand“ anfiele, so scheint es doch leichter zu sein, die Ursache des Problems vorläufig zu verschieben und auf die Studierenden abzuwälzen, anstatt selbstkritisch eine langfristige und moralisch vertretbare Lösung zu suchen. Diese bestünde nämlich in der Erarbeitung eines Medizincurriculums, in dem sich Menschen in all ihrer Individualität zumindest so entfalten können, dass sie ihre eigene Persönlichkeit und Sozialität nicht zugunsten eines unendlichen Lernpensums und eines intern erzeugten, völlig unnötigen Drucks aufgeben müssen.
Diese Art von elitärem „Eignungs“-Denken, welches in Erlangen unter dem Deckmantel der „Enttabuisierung“ propagiert wird, wird unser Gesundheitssystem womöglich an irgendeinem Punkt zu Fall bringen. Wenn nämlich die psychische Gesundheit derer, die den Rest der Gesellschaft „heilen“ sollen, von vornherein derart vorausgesetzt wird, dass kein Diskurs darüber mehr nötig scheint. Als Wissenschaftler und Mediziner und vor allem aber als Menschen sollten die Autoren aber eigentlich wissen, dass psychische Krankheiten nicht einfach vorab durch Tests ausgeschlossen werden können, und dass deren Verschweigen und Ignorieren im Ernstfall schwerwiegendere Folgen haben wird als eine grundsätzliche Prävention durch Ansatz an der Wurzel des Problems, nämlich der Konzeption des deutschen Curriculums.
Paula Roth, Studentin der Politikwissenschaften, vormalige Studentin der Medizin, 04107 Leipzig
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