POLITIK: Kommentar
Genediting: Empörung allein ist nicht genug


Es ist wie so oft: Das groteske Fehlverhalten eines Einzelnen, das vollendete Tatsachen zu schaffen scheint, sorgt für größere Schlagzeilen als das jahrelange seriöse Herantasten von Forscherinnen und Forschern an eine diffizile Problematik.
Die Empörung ist groß, und sie ist berechtigt: Der auch in seinen heimischen Kreisen offenbar praktisch unbekannte He Jiankui hat sämtliche Regeln korrekten wissenschaftlichen Arbeitens gebrochen und sich in einer melodramatischen Inszenierung dazu bekannt. Sofern seine Behauptungen zutreffen, reicht die Liste von Forschung an Menschen ohne gültiges Ethikvotum und ohne hinreichende Probandenaufklärung über die Publikation von Ergebnissen auf YouTube statt in einem begutachteten Fachjournal bis– zum Tabubruch der Manipulation am Genom zur Geburt bestimmter Menschen. Wer sich so verhält, kann sich nicht mit dem Etikett „Wissenschaftler“ schmücken, und es mag wohlfeilen Vorurteilen entgegenwirken, dass dem Vernehmen nach die chinesischen wissenschaftlichen und staatlichen Autoritäten mit klaren Worten und harten Sanktionen gegen ihn vorgehen.
In der öffentlichen Aufmerksamkeit liegt nun die Chance, über diesen spektakulären Einzelfall hinaus darüber nachzudenken, mit welchen Mechanismen solchem Abenteurertum im Labor entgegengewirkt werden kann. Man kennt derlei ja bereits, etwa aus der Reproduktionsmedizin von In-vitro-Fertilisierungen bei über 60-jährigen Frauen oder der vorsätzlichen Erzeugung extremer Mehrlingsschwangerschaften. Die Motivation ist offenkundig: Geltungssucht, mitunter gepaart mit materiellem Gewinnstreben zugunsten eigener Arztpraxen oder Laborbetriebe. Kann man verhindern, dass künftig wissenschaftlich geschulte Einzeltäter ähnlich brutale Grenzüberschreitungen vornehmen? Nüchtern betrachtet nein, denn Genomeditierung an menschlichen Embryonen erfordert keine anspruchsvollen Gerätschaften, alle Ingredienzien sind auf dem freien Markt erhältlich und die erforderlichen Fachkenntnisse sind recht weit verbreitet.
Wir – damit meine ich die Gemeinschaft der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, das nationale Rechtssystem sowie noch nicht etablierte, aber dringend erforderliche supranationale Instanzen – müssen also für das, was wir faktisch nicht verhindern können, potenziellen Tätern jede Aussicht auf Erfolg und Profit nehmen. Dies kann und muss auf unterschiedlichen Ebenen geschehen:
- Seriöse wissenschaftliche Fachpublikationen dürfen keine Plattform für unethische Forschungsergebnisse bieten; hierfür gibt es bereits einen breiten internationalen Konsens. Aber auch die Laienpresse tut gut daran, durch ihre Chronistenpflicht keine klammheimliche Faszination am Verbotenen hindurchschimmern zu lassen – daran fehlte es bislang mitunter.
- Öffentliche Arbeitgeber wie Universitäten, aber auch Zulassungsinstanzen wie Ärztekammern müssen vorsätzliches Fehlverhalten zeitnah und hart sanktionieren. Die Universität in Shenzhen, an der He Jiankui seine Experimente durchgeführt zu haben vorgibt – er hat von Februar 2018 bis Januar 2021 unbezahlten Urlaub –, muss sich aber kritischen Fragen zu ihrer Aufsichtspflicht gegenüber Mitarbeitern stellen.
- Öffentliche Fördereinrichtungen und private Stiftungen, aber auch industrielle Geldgeber müssen vorsätzliche Verstöße gegen ihre Richtlinien mit Rückforderung bereits ausgezahlter Fördermittel aus dem Privatvermögen des Täters oder der Täterin sowie mit institutionsübergreifendem dauerhaftem Ausschluss von künftiger Unterstützung ahnden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat dazu eine schon seit Jahren bewährte Verfahrensordnung, aber auch international ist eine Vernetzung nicht nur von Forschungsprojekten, sondern auch der robusten Durchsetzung ethischer Standards unverzichtbar.
- Sollte aus dem Fehlverhalten materieller Profit resultieren, etwa Zulauf von Patienten oder Aufträge für kommerzielle Laborarbeiten, muss das im Wirtschaftsstrafrecht etablierte Instrument der Gewinnabschöpfung eingesetzt werden: Verstöße gegen ethische Prinzipien dürfen sich weder direkt noch indirekt finanziell lohnen. Hier sehe ich noch Regelungsbedarf.
Das dickste Brett, das es zu bohren gilt, ist die Findung eines belastbaren internationalen Konsenses zu ethischen Mindeststandards medizinischer Grundlagenforschung an menschlichen Zellen und insbesondere Embryonen, mit denen die Deklaration von Helsinki ergänzt werden muss. Diese Maßstäbe müssen weltweit lückenlos gelten, um keinen perfiden Wettbewerb zwischen regulatorisch laxen Forschungsstandorten aufkommen zu lassen; der Preis dafür wird aber sein, dass die im internationalen Vergleich restriktiven deutschen Vorstellungen nicht als Welt-standard durchsetzbar sein dürften.
Fischer, Georg
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