MEDIZINREPORT
Zuckerersatz und Insulinresistenz: Süßstoffe als Stoffwechselrisiko


Neue Studien bringen künstliche Süßstoffe in Zusammenhang mit Insulinresistenz. Die Ursache hierfür könnte im Mikrobiom liegen. Außerdem können sie über die Muttermilch an das Kind weitergegeben werden. Ist es an der Zeit für neue Empfehlungen?
Es klingt so schön: Süßes essen ohne Reue, ohne aufwendiges Kalorienzählen. Künstliche Süßstoffe wie Aspartam, Sucralose und Co. scheinen das möglich zu machen. Sie sind um ein Vielfaches süßer als Zucker, sodass sie nur in kleinen Mengen eingesetzt werden müssen. Am häufigsten sind sie in Lightgetränken zu finden. Geworben wird mit echtem Geschmack und „zero“ Kalorien. Das zeigt Wirkung: In den USA hat sich der Süßstoffkonsum bei Kindern seit dem Jahr 2000 verdreifacht, bei Erwachsenen ist er um 54 % angestiegen (siehe Grafik) (1). Da Deutschland den Ernährungsstil der US-Amerikaner regelmäßig mit Verzögerung übernimmt, ist hierzulande mit einem ähnlichen Trend zu rechnen.
Hinweise auf Insulinresistenz
Dr. med. Kristina Rother kritisiert, dass sich lange Zeit die Diskussion um die Sicherheit eines Süßstoffs größtenteils am Krebsrisiko und der Teratogenität bemessen hatte. Die aus Deutschland stammende Süßstoffexpertin forscht an den renommierten US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) in Washington und sieht das Problem der Süßstoffe inzwischen ganz woanders: „Wir müssen auch über metabolische Sicherheit sprechen.“ Ihrer Ansicht nach gibt es eindeutige Belege dafür, dass künstliche Süßstoffe eine Insulinresistenz begünstigen können. In der Tat wiesen übergewichtige Probanden nach Gabe eines sucralosehaltigen Getränks Zeichen einer Insulinresistenz auf, gemessen im oralen Glukosetoleranztest (5). Dies wurde in einer kürzlich veröffentlichten randomisierten Kontrollstudie bei gesunden normalgewichtigen Menschen nochmals bestätigt (6). Dr. med. Stefan Kabisch, Mediziner und Forscher am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam, ist dennoch skeptisch: „Die neue Studie ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, aber noch kein Beweis.“ Für Rother ist die Sache dagegen klar: „Der Zusammenhang zwischen Sucralose und Insulinresistenz ist praktisch nachgewiesen.“ Sie ist der Ansicht, dass das auch für andere Süßstoffwie wie Saccharin und Acesulfam-K gelte.
Mikrobiom als Marker
Auf der Suche nach der Ursache für die möglichen Effekte auf den Insulinstoffwechsel sind die Wissenschaftler auf das Mikrobiom gestoßen. Bekannt ist: Die Darmflora spielt eine wichtige Rolle in der Nahrungsverwertung und einige Süßstoffe haben in sehr hohen Dosen bakteriostatische Eigenschaften (7).
Tatsächlich hat eine im Fachjournal „Nature“ erschienene Studie gezeigt, dass insbesondere Saccharin die Zusammensetzung der Darmflora von Mäusen verändern und dadurch eine Glukoseintoleranz auslösen kann (8). Der Clou der Studie ist, dass sie belegt, wie entscheidend der Einfluss der Darmflora, ganz unabhängig vom übrigen Organismus, ist, denn: Der Darminhalt der mit Süßstoffen behandelten Tiere wurde anderen Mäusen transplantiert, die dann ebenfalls eine Glukoseintoleranz entwickelten. Zeichen einer Insulinresistenz fanden sich jedoch nicht.
Weitere Tierstudien haben Süßstoffe zudem mit einem weniger diversifizierten Mikrobiom in Verbindung gebracht (9). Ein negatives Zeichen, denn es ist erwiesen, dass eine möglichst vielfältige Darmflora ein wichtiger Baustein für einen gesunden Organismus ist. Am Menschen konnten diese Veränderungen bisher nicht zweifelsfrei gezeigt werden – aktuell existiert nur eine einzige Studie mit 7 Probanden und ohne eindeutiges Ergebnis (8). „Humane Mikrobiomstudien sind eine Herausforderung“, so Rother. „Ich sehe aber keinen Grund, warum wir die Ergebnisse der Tierstudien nicht auch auf den Menschen übertragen können.“ Für Kabisch sind die Ergebnisse dagegen nicht ausreichend, um diese Schlussfolgerung zu ziehen.
Ein weiterer Grund für den Einfluss von Süßstoffen auf den Insulinstoffwechsel könnte in ihrer Fähigkeit liegen, an die gleichen Geschmacksrezeptoren zu binden, die auch durch herkömmlichen Zucker aktiviert werden. Im Mund wird uns dadurch der süße Geschmack vermittelt. Im Darm beeinflussen diese Rezeptoren die Ausschüttung von Inkretinen, die die Appetitregulation steuern und die Insulinsekretion im Pankreas verstärken.
Was bei Zucker Sinn macht, könnte bei Süßstoffen den Metabolismus und das Essverhalten durcheinanderbringen. In-vitro-Studien konnten nachweisen, dass künstliche Süßstoffe die Inkretinsekretion erhöhen (10). Im Tiermodell und im Menschen ist die Studienlage jedoch inkonsistent, aussagekräftige Untersuchungen fehlen bisher (9). Auch Kabisch konnte in seinen – noch unveröffentlichten – klinischen Studien keine konsistenten Effekte nachweisen.
Dennoch wird der Konsum süßstoffhaltiger Getränke in epidemiologischen Langzeitstudien oft mit Übergewicht und Diabetes in Verbindung gebracht (11). Hier stellt sich die Frage nach der Henne und dem Ei. Sprich, werden Menschen durch Lightgetränke übergewichtig oder trinken übergewichtige Menschen bevorzugt Lightgetränke? Das Problem einer solchen reversen Kausalität wurde in einigen Untersuchungen zwar berücksichtigt, ganz aus der Welt schaffen lässt es sich jedoch nicht.
Im Gegensatz zu den Kohortenstudien zeichnen die Ergebnisse der randomisierten Kontrollstudien ein anderes Bild. Süßstoffhaltige Getränke haben hier keinen Einfluss auf das Gewicht oder wirken teilweise sogar gewichtsreduzierend (12). Weil sie von der Süßstoffindustrie gesponsort waren, die Beobachtungszeiten kurz waren und der zusätzliche Einfluss von Gewichtsreduktionsprogrammen die Ergebnisse beeinflusst haben könnte, ist die Interpretation der Resultate naturgemäß schwierig.
Süßstoffe für Schwangere?
Heiß diskutiert werden auch die möglichen Auswirkungen auf das Ungeborene. Der Grund: 2 groß angelegte prospektive Kohortenstudien mit über 120 000 Frauen haben den regelmäßigen Konsum von Lightgetränken während der Schwangerschaft im Vergleich zu zuckerhaltigen Limonaden mit einem erhöhten Risiko für Frühgeburten in Verbindung gebracht (9). Kabisch attestiert diesen Studien jedoch methodische Mängel, die diesen Rückschluss seiner Ansicht nach nicht zulassen. Eine andere Studie konnte zudem zeigen, dass Süßstoffkonsum während der Schwangerschaft das Risiko für Übergewicht im Säuglingsalter erhöht (13).
Die Wissenschaftler vermuten hier ebenfalls einen Zusammenhang mit dem Mikrobiom. Rother sieht weitere Gefahren: „Wir finden die Süßstoffe auch in der Muttermilch.“ Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sie in Babynahrung nicht erlaubt sind, erscheint dies reichlich paradox. „Solange wir nicht genau wissen, was Süßstoffe im kindlichen Organismus bewirken, würde ich persönlich Schwangeren und stillenden Müttern von einem Konsum abraten“, so Rother weiter. Der Süßstoff-Verband sieht von seinen Produkten dagegen keine Gefahr ausgehen und verweist auf ein entsprechendes Statement der europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA aus dem Jahr 2011.
Kein erhöhtes Krebsrisiko
Das schlechte Image der künstlichen Süßstoffe hatte ursprünglich mit dem Verdacht zu tun, sie könnten krebserregend sein. Als problematisch galten hier insbesondere Aspartam, Saccharin und Sucralose. „Diesbezüglich habe ich keine großen Bedenken“, so Rother. Kabisch bestätigt dies: „In der Gesamtschau ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein erhöhtes Krebsrisiko nachweisbar.“
Tatsächlich wurden seit den 1970er-Jahren über 50 Krebsstudien durchgeführt, hauptsächlich an Ratten (2). Einige davon fanden eine Verbindung zwischen Süßstoffkonsum und bestimmten Krebsarten wie Blasenkarzinomen, Leukämien und Lymphomen (2–4). Dabei stand insbesondere Aspartam im Verdacht, Krebs auszulösen. Im Verlauf konnten die Ergebnisse jedoch nicht bestätigt werden. Dennoch führten die Studien dazu, dass Aspartam erst 1981 und damit 16 Jahre nach seiner Entdeckung in den USA zugelassen wurde. In Deutschland darf es seit 1990 als Süßungsmittel verwendet werden. Seither werden Aspartam und andere gängige Süßstoffe wie Sucralose, Acesulfam-K und Saccharin von den europäischen und amerikanischen Behörden unter Beachtung der maximal erlaubten Höchstmenge als sicher eingestuft. Ausgenommen davon sind Menschen, die unter der erblichen Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie leiden und auf eine Phenylalanin-arme Diät angewiesen sind. Sie müssen Lebensmittel vermeiden, die Aspartam enthalten.
In jüngster Zeit ist ein neuer Verdacht hinzugekommen: Es wird vermutet, dass Süßstoffe die Pharmakokinetik bestimmter Medikamente beeinflussen. Eine Tierstudie hat gezeigt, dass Sucralose die Expression von P-Glycoprotein und Cytochrom P-450 erhöht (14). Theoretisch kann dadurch die Aufnahme einiger Arzneimittel verhindert beziehungsweise ihr Abbau beschleunigt werden. Diese Frage hat Relevanz, da viele Menschen Lightgetränke und Medikamente gleichzeitig zu sich nehmen. Rothers Team testet die Hypothese gerade in einer klinischen Studie. Weiterhin beschäftigt sich ihre Arbeitsgruppe mit der Frage, ob Süßstoffe auch im Fruchtwasser und Liquor nachweisbar sind. Ergebnisse hierzu werden allerdings erst in einigen Jahren erwartet.
Großer Forschungsbedarf
Was lässt sich nun aus diesen unzähligen Erkenntnissen mitnehmen? Zunächst gilt es, Entwarnung zu geben hinsichtlich der Kanzerogenität. Klar ist auch: Zum Abnehmen sind Süßstoffe nicht geeignet. Dazu sollten sie auch nicht aktiv empfohlen werden. „Sinnvoller ist eine generelle Zurückhaltung bei süßen Lebensmitteln“, so Kabisch. Bei den Auswirkungen auf den Stoffwechsel besteht dagegen erhöhter Forschungsbedarf.
Denn wenn sie tatsächlich die genannten metabolischen Risiken haben, konterkariert der Konsum geradezu den intendierten Zweck. Zentral ist auch die Botschaft an Schwangere und stillende Mütter: Sie sollten vorsichtshalber auf übermäßigen Süßstoffkonsum verzichten, solange nicht vollständig geklärt ist, welchen Einfluss die Zuckerersatzstoffe auf die Entwicklung des Neugeborenen haben. Dr. med. Tim Hollstein
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4918
oder über QR-Code.
tion affect energy intake and body weight? A systematic review, including meta-analyses, of the evidence from human and animal studies. Int J Obes (Lond) 2016; 40: 381–94 CrossRef MEDLINE PubMed Central
1. | Sylvetsky AC, Jin Y, Clark EJ, Welsh JA, Rother KI, Talegawkar SA: Consumption of Low-Calorie Sweeteners among Children and Adults in the United States. J Acad Nutr Diet 2017; 117: 441–8.e2 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
2. | Weihrauch MR, Diehl V: Artificial sweet-eners – do they bear a carcinogenic risk. Annals of Oncology 2004; 15: 1460–5 CrossRef MEDLINE |
3. | Soffritti M, Belpoggi F, Tibaldi E, Esposti DD, Lauriola M: Life-span exposure to low doses of aspartame beginning during prenatal life increases cancer effects in rats. Environ Health Perspect 2007; 115: 1293–7 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
4. | Sturgeon SR, Hartge P, Silverman DT, et al.: Associations between bladder cancer risk factors and tumor stage and grade at diagnosis. Epidemiology 1994; 5: 218–25 CrossRef MEDLINE |
5. | Pepino MY, Tiemann CD, Patterson BW, Wice BM, Klein S: Sucralose affects glycemic and hormonal responses to an oral glucose load. Diabetes Care 2013; 36: 2530–5 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
6. | Romo-Romo A, Aguilar-Salinas CA, Brito-Córdova GX, Gómez-Díaz RA, Almeda-Valdes P: Sucralose decreases insulin sensitivity in healthy subjects: a randomized controlled trial. The American Journal of Clinical Nutrition 2018; 108: 485–91 CrossRef |
7. | Wang QP, Browman D, Herzog H, Neely GG: Non-nutritive sweeteners possess a bacteriostatic effect and alter gut microbiota in mice. PLoS One 2018; 13: e0199080 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Suez J, Korem T, Zeevi D, et al.: Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota. Nature 2014; 514: 181–6 CrossRef MEDLINE |
9. | Rother KI, Conway EM, Sylvetsky AC: How Non-nutritive Sweeteners Influence Hormones and Health. Trends Endocrinol Metab 2018; 29: 455–67 CrossRef MEDLINE |
10. | Pepino MY: Metabolic effects of non-nutritive sweeteners. Physiol Behav 2015; 152: 450–5 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
11. | Azad MB, Abou-Setta AM, Chauhan BF, et al.: Nonnutritive sweeteners and cardiometabolic health: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials and prospective cohort studies. CMAJ 2017; 189: E929–39 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
12. | Rogers PJ, Hogenkamp PS, de Graaf C, et al.: Does low-energy sweetener consump- tion affect energy intake and body weight? A systematic review, including meta-analyses, of the evidence from human and animal studies. Int J Obes (Lond) 2016; 40: 381–94 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
13. | Azad MB, Sharma AK, de Souza RJ, et al.: Association Between Artificially Sweetened Beverage Consumption During Pregnancy and Infant Body Mass Index. JAMA Pediatr 2016; 170: 662–70 CrossRef CrossRef |
14. | Brusick D, Borzelleca JF, Gallo M, et al.: Expert panel report on a study of Splenda in male rats. Regul Toxicol Pharmacol 2009; 55: 6–12 CrossRef MEDLINE |