

Die psychotherapeutische Behandlung von Essstörungen ist ohne Frage eine Herausforderung – und das nicht nur für die Patienten. Die (teil)-stationäre und ambulante Therapie dieser einnehmenden und tief greifenden psychischen Erkrankung, mit erschreckend hoher Mortalitätsrate, treibt die Therapeuten wie auch ganze multiprofessionelle Behandlungsteams und interdiszi-plinäre Netzwerke häufig an den Rand des Bewältigbaren. Wissenschaftliche Belege teilen, wie auch bei den meisten anderen psychischen Störungen, die Behandlungsprognose der Essstörungen grob in drei Teile. Ein Drittel erkrankt chronisch, neigt zur Hospitalisierung und muss wiederholt quasi gerettet werden, das zweite Drittel benötigt immer wieder Unterstützung bei perpetuierenden Krisenphasen und das letzte Drittel schafft nachhaltig eine Verbesserung, sodass vielleicht kleinere Rückfälle allein bewältigt werden können.
Das Buch setzt ein praxisorientiertes Gegengewicht zu der wohl noch immer weit verbreiteten Resignation vieler Kollegen bezüglich der Behandlungserfolge bei Essstörungen. Bereits nach dem Vorwort möchte man ihrem Titel ein „doch“ hinzufügen, da sie es schafft, sehr schnell in der aktuellen Debatte der Skepsis an Heilung den Raum zu nehmen. So schreibt sie: „Wäre ich nicht von Anfang an in einem psychotherapeutischen Prozess davon überzeugt, dass ein Erfolg möglich ist, wie sollte ich selbst als Therapeutin die Energie aufbringen, die Patientin zu unterstützen?“.
Bereits 2006 stellte die Autorin für die „Ambulante Therapie von Essstörungen“ anhand praktischer Beispiele die drei Hauptstränge der Essstörungstherapie vor: lernen normal zu essen, Bearbeitung der Ursachen und Funktionen der Essstörung und Verbesserung der Körperwahrnehmung. Diese breite, verhaltenstherapeutische Basis nimmt sie nun wieder auf und integriert Inhalte der tiefenpsychologisch fundierten oder EMDR-Therapie sowie zahlreiche Neuerungen aus der Körpertherapie. Dabei bilden prozess- sowie rahmenorientierte Heilungsfaktoren und Ressourcen den Fokus. Auch hinderliche Aspekte werden gekonnt akzentuiert und aus verschiedenen Blickwinkeln (zum Beispiel Somatik, Familien- oder Partnerbeziehungen) diskutiert. Kleinere, eigens initiierte und begleitete Evaluationen von Fragebögen über Heilungsgrade, die die Autorin schließlich auch online zur Verfügung stellt, runden dieses Praxisbuch schließlich ab.
Die Autorin schlägt eine Brücke, die im Bereich der Essstörungstherapie wichtig ist. Die psychotherapeutische Ausrichtung auf Gesundung oder Heilung ist insbesondere für unerfahrene oder fachferne Kollegen, gerade in der stationären und nachstationären Behandlung, notwendig, um prozessschädigenden Vorurteilen zuvorzukommen. Renate Feistner leistet hier kompetent wichtige Pionierarbeit für den Neuling bis zum alten Hasen. Stefan Behrens
Renate Feistner: Essstörungen – Heilung ist möglich. Ein Praxishandbuch. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018, 304 Seiten, kartoniert, 34,00 Euro