THEMEN DER ZEIT
Geflüchtete und Asylbewerber: Ohne Sprachmittler funktioniert die Versorgung nicht
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Experten bemängeln die unzureichende psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten, die ein Hemmnis für die Integration darstellt. Eine Reihe bürokratischer, struktureller, interkultureller und sprachlicher Barrieren stehen dabei Verbesserungen im Weg. Beispiele gelingender Versorgung gibt es aber auch.
Rund drei Viertel der in Deutschland lebenden Flüchtlinge sind einer aktuellen Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zufolge nach Gewalterlebnissen traumatisiert. Für die repräsentative Studie wurden bundesweit 2 021 Asylbewerber über 18 Jahre aus Syrien, Irak und Afghanistan, die bis zu zwei Jahre in Deutschland waren und noch in Aufnahmeeinrichtungen lebten, befragt (1). 75 Prozent der Schutzsuchenden gaben an, Gewalt erlebt zu haben; Frauen und Männer etwa gleich häufig. 60 Prozent berichteten von traumatischen Kriegserlebnissen. Bei jedem Dritten sind nahe stehende Personen verschleppt worden oder verschwunden. 30 Prozent machten Gewalterfahrungen auf der Flucht; 20 Prozent wurden gefoltert.
Im Vergleich zu Asylbewerbern, denen diese Erfahrungen erspart geblieben sind, berichteten die Traumatisierten mehr als doppelt so häufig über körperliche und psychische Beschwerden. Dabei traten vor allem psychische Beschwerden wie Mutlosigkeit, Traurigkeit, Nervosität und Unruhe auf. Danach folgten Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen.
Zunahme der Gewaltneigung
Darauf, das Trauma-Folgestörungen chronisch werden, wenn sie unbehandelt bleiben und damit – neben dem individuellen Leid – sowohl Integrationshemmnisse als auch Belastungen für das Gesundheitssystem darstellen, weist unter anderem die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme hin (2). Die auf der Flucht erlittenen Gewalterfahrungen führten darüber hinaus bei einem Teil der Geflüchteten „zu einer Zunahme der eigenen Gewaltneigung“, zu Aggression sich selbst und anderen gegenüber sowie zu dissozialem Verhalten in der aufnehmenden Gesellschaft, heißt es darin. „Das betrifft vor allem Männer – Frauen hingegen verletzen eher sich selbst,“ erklärte Prof. Dr. phil. Thomas Elbert, Psychologe an der Universität Konstanz, bei einer Veranstaltung der Leopoldina in Berlin (3). „Wir dürfen nicht zulassen, dass junge Menschen, die Gewalt erlebt haben und bei uns Schutz suchen, in einen solchen Kreislauf hineingezogen werden“, sagte der Experte für Erkrankungen des Traumaspektrums.
Die Betreuung und Versorgung von Geflüchteten mit traumatischen Erfahrungen und psychischen Erkrankungen ist nicht nur nach Ansicht der Leopoldina unzureichend. Zu der allgemeinen „strukturellen Mangelsituation“ in der psychotherapeutischen Versorgung komme hinzu, dass es nicht genügend Psychotherapeuten gebe, die für die Behandlung von Trauma-Folgestörungen adäquat ausgebildet seien, stellen die Wissenschaftler fest.
Nicht alle Betroffenen brauchen eine spezielle Traumatherapie, vielen kann auch mit niedrigschwelligeren psychosozialen Unterstützungsmaßnahmen geholfen werden. Für die Psychotherapie kommen nach Ansicht der Leopoldina erschwerend die sprachlichen und kulturellen Barrieren, wie unterschiedliche Wertvorstellungen und kulturspezifische Erklärungsmodelle für seelisches Leid, hinzu. „Vor diesem Hintergrund kommt es zu hohen Abbruchquoten, aber auch zu Fehldiagnosen oder -behandlungen“, schreiben die Forscher.
Angesichts dieser Mängel in der Versorgung von Geflüchteten empfiehlt die Akademie den Einsatz sogenannter Peer-Berater in den Erstaufnahmeeinrichtungen als zentralen Lösungsansatz, also Personen mit Migrationshintergrund oder eigenen Fluchterfahrungen (siehe Kasten „Peer-Berater als Gesundheitslotsen“). Als Gesundheitslotsen und Trauma-Berater kommen sie bereits erfolgreich in vielen ressourcenarmen Ländern zum Einsatz, berichtete Elbert. „Die Narrative Expositionstherapie, die sich eignet, um die Belastungen insbesondere nach mehrfachen traumatischen Stresserfahrungen zu bewältigen, wurde dabei unter anderem im Kongo, in Ruanda, Sri Lanka und Uganda eingesetzt und evaluiert. Eine Implementation im Senegal und in Gambia beginnt“, erklärt Elbert auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts (DÄ) (4, 5). Ähnliche Strategien kommen zudem in Krisenregionen in China, Afghanistan, Iran, Irak, Jordanien und Kolumbien zum Einsatz (6). Wie die Leopoldina plädiert auch Elbert dafür, ein ähnliches Peer-Modell in Deutschland zu entwickeln. Erste Ansätze findet man bei einem Pilotprojekt an der Universität Konstanz, das 2017 mit Unterstützung des Deutschen Integrationspreises gestartet ist (7). In der Politik scheint die Idee der Peer-Berater noch nicht angekommen zu sein. Suat Yilmaz, seit einigen Monaten Leiter der Landesweiten Koordinierungsstelle der Kommunalen Integrationszentren NRW, zeigte aber großes Interesse: „Wir haben nicht genügend Fachkräfte, um so viele traumatisierte Menschen zu versorgen. Projekte wie die aus dem Kongo machen mir Hoffnung.“
Sprachmittler auch finanzieren
Neben Peer-Beratern hält die Leopoldina zudem für den Therapiekontext geschulte Dolmetscher sowie eine Finanzierung ihrer Leistungen in der Regelversorgung für unerlässlich. Die Übernahme der Sprachmittlungskosten durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wird seit vielen Jahren von allen mit der Flüchtlingsversorgung Beschäftigten gefordert. Die fehlende Finanzierung ist nach Ansicht von Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer mitverantwortlich für die massive Unterversorgung von psychisch kranken Asylsuchenden und Geflüchteten. So wurde die Kostenübernahme durch die GKV immer wieder sowohl auf dem Deutschen Ärztetag also auch auf dem Deutschen Psychotherapeutentag gefordert. Die Frage, warum Dolmetscherkosten nicht von der GKV übernommen werden, beantwortet das Bundesgesundheitsministerium mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG): Danach gehört „die Verständigung aller in der GKV-Versicherten mit an der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten in ihrer jeweiligen Muttersprache nicht zum Leistungsumfang einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung“ (Urteil des BSG vom 19. Juli 2006, AZ.: B 6 KA 33/05 B). Darauf beruft sich der GKV-Spitzenverband.
Auch das Wissenschaftliche Institut der AOK schlussfolgert aus seiner Studie, dass bürokratische und sprachliche Hemmnisse abgebaut werden müssten und eine Sprach- und Kulturmittlung notwendig sei. Darüber hinaus sollten traumatherapeutische Angebote ausgebaut werden. Hilfreich könnte es nach Ansicht des WidO auch sein, geflüchtete Ärzte und Psychotherapeuten möglichst gezielt ins deutsche Gesundheitssystem einzugliedern.
Die psychosozialen Zentren
Die bundesweit 37 psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) bieten seit Jahrzehnten spezialisierte Hilfe für Geflüchtete an, unabhängig vom Aufenthaltstatus. Diese besteht aus Beratung, Diagnostik und Clearing, Krisenintervention und Stabilisierungsarbeit, Einzel- und Gruppenpsychotherapie sowie Sozialberatung. Die Mitarbeiter der PSZ verfassen auch Stellungnahmen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren. Inzwischen ist die Zahl der Ablehnungen auf Plätze für Geflüchtete wegen Kapazitätsmangel höher als die Anzahl derjenigen, die neu aufgenommen werden können. So steht es im aktuellen Versorgungsbericht von 2018, den die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) jährlich herausgibt (8). Die durchschnittliche Wartezeit auf einen Therapieplatz in einem Zentrum betrug 2017 sechs Monate, in einigen Regionen mussten auch schwer traumatisierte Geflüchtete bis zu eineinhalb Jahre bis zum Beginn einer Therapie warten.
Trotz des hohen Bedarfs müssten die psychosozialen Zentren zum Jahresende oft ums Überleben kämpfen, sagt die Psychologin Jenny Baron, Sprecherin der BAfF, gegenüber dem DÄ: „Wir arbeiten zumeist außerhalb der Regelversorgung und versuchen über Projektmittel, EU-Mittel, Spenden und Stiftungsgelder die Versorgung zu realisieren. Wir fordern deshalb, die psychosozialen Zentren strukturell verankert zu finanzieren und flächendeckend auszubauen.“ Refinanzierungen von Psychotherapien mit Geflüchteten über die gesetzliche Krankenversicherung sind in den PSZ die Ausnahme, berichtet Baron. Denn nur die wenigsten der Klienten seien gesetzlich krankenversichert, die meisten hingegen befänden sich noch im Asylverfahren oder würden hier geduldet. Kostenträger sind dann die Sozialämter (siehe Grafik).
Anerkannte Asylbewerber versuchen die meisten Zentren in die Regelversorgung zu vermitteln. Sobald die gesetzlichen Krankenkassen für die Kostenübernahmen zuständig sind, stellt sich für die Psychotherapeuten in den Zentren sowie auch für die Niedergelassenen jedoch ein Problem: im Gegensatz zu den Sozialbehörden, die falls sie eine Psychotherapie bewilligen, nach Angaben der BAfF auch die nötigen Sprachmittler- und Dolmetscherkosten übernehmen, übernimmt die GKV diese nicht.
Die Vermittlung in die Regelversorgung ist jedoch nicht einfach, sagt BAfF-Sprecherin Baron: „Die Vorbehalte und Berührungsängste wegen der erlebten extremen Gewalt der Geflüchteten, dem vermeintlich fremden kulturellen Hintergrund und wegen der schwierigen strukturellen Voraussetzungen sind sehr hoch. Manche Psychotherapeuten haben auch Angst in Bezug auf das Asylverfahren etwas falsch zu machen.“ Baron hat dabei durchaus Verständnis für die Niedergelassenen. Das bürokratische Verfahren sei so kompliziert, dass für viele vor allem in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts, wenn unsicher ist, ob eine Psychotherapie bewilligt wird, ein finanzielles Risiko bestehe. Mehr als ein Drittel der Anträge auf Psychotherapie, die in den ersten 15 Monaten des Aufenthaltes gestellt werden, werden nach Kenntnis der BAfF abgelehnt. Bei GKV-Versicherten in der Regelversorgung liege die Ablehnungsquote hingegen bei knapp sechs Prozent.
Darüber hinaus habe sich das 2015 zur Verbesserung der Versorgung eingeführte Instrument der Ermächtigung in der Umsetzung als schwierig erwiesen. Damit sollte bedarfsunabhängig ermöglicht werden, Geflüchtete psychotherapeutisch zu versorgen (siehe Kasten „Nur wenige profitieren von Ermächtigungen“). „Psychotherapeuten, die eine Ermächtigung beantragt haben, bekamen sehr viele Anfragen. Viele von ihnen konnten aber 90 bis 95 Prozent davon gar nicht bedienen, weil die Klienten nicht in das enge Zeitfenster für die Berechtigung fallen“, berichtet Baron. Die restriktive Auslegung der Ermächtigungsregelung wirkt sich nach einer aktuellen Erhebung der BAfF auf die Anzahl der Anträge aus: Seit Inkrafttreten der Neuregelung im Oktober 2015 sind 125 Ermächtigungen erteilt worden, von denen sich 74 Prozent auf Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen verteilen. „Das ist alles sehr abschreckend. Psychotherapeuten sollten ihre Arbeit mit Geflüchteten genauso abrechnen können wie die mit GKV-Versicherten“, findet Baron. Und natürlich ist auch nach Ansicht der BAfF die Kostenübernahme von Sprachmittlerkosten durch die GKV unabdingbar. „Ohne Sprachmittler ist der Zugang zum Gesundheitswesen für Geflüchtete nicht gleichberechtigt“, erklärt die BAfF-Sprecherin.
Auch die Expertin für interkulturelle Psychiatrie, PD Dr. med. Iris Tatjana Graef-Calliess, Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie der KRH Psychiatrie Wunstorf, hält die bürokratischen Auflagen, die interkulturellen Hürden und die Sprachbarrieren für die größten Herausforderungen in der Versorgung von Geflüchteten. Gegenüber dem DÄ fordert die Chefärztin von der Politik eine Lösung für die fehlende Kostenübernahme von Sprachmittlern und Dolmetschern durch die GKV. „Mit qualifizierten Dolmetschern haben wir eine hohe Effizienz in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Die Krankenhäuser müssen die Dolmetscherkosten aber selbst tragen, weil die Krankenkassen der Meinung sind, diese Leistungen seien in den Fallpauschalen enthalten“, kritisiert sie. Der „Arbeitskreis öffentliche Migration und Gesundheit“ bei der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration versuche seit Langem den Bundesgesundheitsminister zu einem Umdenken zu bewegen, berichtet Graef-Calliess, die Mitglied in diesem Arbeitskreis ist. „Auch in der Somatik gibt es irrsinnige Probleme dadurch, dass Patienten ohne Deutschkenntnisse nicht adäquat aufgeklärt werden können.“ Doch der Druck auf die Bundesregierung wachse stetig, ist sie überzeugt.
Projekt in Niedersachsen
Graef-Calliess hat das Projekt „refuKey“ in Niedersachsen mitinitiiert, das dem Ausbau der regionalen Strukturen zur Versorgung traumatisierter Flüchtlinge durch interkulturelle Öffnung in Niedersachsen dient (www.refukey.org). Das Projekt läuft seit Mai 2017 mit Förderung des Niedersächsischen Sozialministeriums und hat gerade die Zusage für eine Verlängerung bekommen, berichtet die engagierte Psychiaterin. „Es geht darum, Zugangsbarrieren für die Versorgung von Geflüchteten im ländlichen Raum abzubauen“, erläutert Graef-Calliess. In dem Projekt kooperieren vier psychiatrische Fachkliniken in Niedersachsen (Göttingen, Königslutter, Osnabrück und Oldenburg) mit vier psychosozialen Zentren, die zum „Netzwerk traumatisierte Flüchtlinge in Niedersachsen“ (NTFN) gehören. „refuKey bietet eine hochgradige Verzahnung zwischen einem niedrigschwelligen psychosozialen Zugang für Geflüchtete und der höherschwelligen psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung“, erläutert Graef-Callies. Speziell ausgebildete Fachkräfte arbeiten dabei teilweise in einem PSZ und in der Fachklinik und übernehmen dort eine Mittlerrolle. Geschult werden die Fachkräfte in transkultureller Psychiatrie und Psychotherapie und im Asylrecht. Im Rahmen von refuKey wird auch Dolmetschertraining für das therapeutische Setting angeboten. Graef-Calliess zieht eine erste positive Bilanz des Projekts und kann sich refukey als Schablone für Projekte in anderen Bundesländern sehr gut vorstellen.
Prävention in Hessen
Viel früher, nämlich bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen, setzt das Präventionsprojekt „step-by-step“ des Sigmund Freud-Instituts (SFI) in Kassel und der Goethe-Universität Frankfurt/Main an. Im Rahmen des vom hessischen Sozialministerium geförderten Projekts bieten vor allem Psychotherapeuten in Ausbildung bereits kurz nach der Ankunft diagnostische Gespräche an, um herauszufinden, was die Geflüchteten brauchen: psychosoziale Unterstützung oder bei Bedarf auch Psychotherapie, erläutert Patrick Meurs, einer der drei Direktoren des SFI gegenüber dem DÄ. Angeboten werden auch Gesprächsgruppen getrennt für Männer und Frauen, und Beschäftigungsgruppen, um eine Tagesstruktur zu ermöglichen. Begonnen hat das zurzeit achtköpfige Step-by-step-Team die Arbeit 2015 in der Erstaufnahmeeinrichtung „Michaelisdorf“ in Darmstadt, wo besonders vulnerable Geflüchtete untergebracht wurden: alleinreisende Frauen, Schwangere und schwer traumatisierte Familien. Das Michaelisdorf wurde im September 2018 geschlossen, weil die Zahl der Neuankömmlinge rückläufig war. Das Team arbeitet jetzt in anderen Erstaufnahmeeinrichtungen in Hessen. „Step-by-step ist ein sehr spezifisches und sehr intensives Programm, eher psychosozial aber auch therapeutisch, das ein großes Potenzial hat“, sagt Meurs. Versucht werde nun, das Konzept auf breiterer Basis über die Erstaufnahmeeinrichtung hinaus anzubieten, weil die Zahl der neu einreisenden Geflüchteten rückläufig ist. Petra Bühring,
Kathrin Gießelmann
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0719
oder über QR-Code.
Nur wenige profitieren von Ermächtigungen
Mit der Neuregelung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 der Ärztezulassungsverordnung (Ärzte-ZV), die im Oktober 2015 in Kraft trat, sollte ermöglicht werden, dass Psychotherapeuten ohne Kassensitz, Ärzte mit einer für die Behandlung erforderlichen Weiterbildung sowie psychosoziale Einrichtungen bedarfsunabhängig Ermächtigungen für die Versorgung von Schutzbedürftigen, die Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten, beantragen können. Ziel der Maßnahme war es, das Versorgungssystem für behandlungsbedürftige und psychisch erkrankte Geflüchtete zu stärken, eine sichere und zeitnahe sowie kontinuierliche Behandlung zu gewährleisten und Versorgungsabbrüche zu vermeiden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zum „Instrument der der Ermächtigung für die psychotherapeutische Versorgung von Geflüchteten“ (Drucksache 19/3583).
Eine aktuelle Erhebung der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) zeigt jedoch, dass nur wenige betroffene Geflüchtete von einer Psychotherapie durch die Neuregelung profitieren. Grund dafür sei die restriktive Auslegung der Regelung. Die BAfF identifiziert dabei drei Behandlungsbarrieren: Die Einschränkung der Ermächtigung auf die sogenannte Weiterbehandlung, aufgrund der ermächtigte Ärzte und Psychotherapeuten Patienten nur dann behandeln können, wenn diese bereits innerhalb der ersten 15 Monate ihres Aufenthaltes eine Therapie begonnen haben; der für die Behandlung vorgegebene Zeitrahmen, indem Geflüchtete nur dann behandelt werden können, solange sie Leistungen nach § 2 AsylbLG beziehen und somit nicht geklärt ist, ob nach Statusänderung eine bewilligte Therapie beendet werden kann sowie die fehlende Lösung zur Finanzierung der Sprachmittlungsleistungen.
Peer-Berater als Gesundheitslotsen
Die Leopoldina empfiehlt in ihrer Stellungnahme, Peer-Beratern eine zentrale Rolle zuzugestehen, um Hilfsangebote für traumatisierte Flüchtlinge umzusetzen (2). Sie sollten als Gesundheitslotsen begleiten, vermitteln, dolmetschen, erklären, anleiten und beraten. Nach einer praxisorientierten Ausbildung können sie unter Fallverantwortung und Supervision von Psychotherapeuten in der Behandlung unterstützen, heißt es in den Empfehlungen. Geeignet, diese Rolle zu übernehmen, wären etwa Studierende mit Herkunft aus dem jeweiligen Kulturkreis. Die Maßnahme sollte in bestehende Integrationsangebote von Bund, Ländern und Kommunen eingegliedert und finanziert werden. Wenn sich fünf bis zehn Hochschulen an der Ausbildung mit je vier bis acht Kursen mit je zehn bis 15 Teilnehmern pro Jahr beteiligen würden, könnten jährlich 500 Trauma-Berater ausgebildet werden.
Während Peer-Berater im Ausland bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzt werden, findet man in Deutschland bisher kaum Anwendungsbeispiele. Eine der wenigen Ausnahmen ist ein Pilotprojekt der Universität Konstanz. Es richtet sich an Geflüchtete, bei denen eine ambulante Psychotherapie indiziert ist. „Wir haben aktuell sieben Gesundheitspaten. Anfang 2019 wollen wir unser Team auf 15 vergrößern“, berichtet der Projektleiter Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Michael Odenwald dem DÄ. Die geschulten Peer-Berater sind Teil eines Teams von Psychotherapeuten und Sprachmittlern. „Die Aufgaben der Peers sind aber nicht im therapeutischen Bereich. Sie kümmern sich um den Transport und um Kinderbetreuung, erklären das Gesundheitssystem oder vermitteln zwischen Klienten und Therapeuten, im interkulturellen Bereich oder etwa bei Terminausfällen“, erklärt Odenwald.
1. | Schröder H, Zok K, Faulbaum F: Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan. WiDO Monitor 1/2018. |
2. | Stellungnahme der Leopoldina: Traumatisierte Flüchtlinge – schnelle Hilfe ist jetzt nötig. http://www.leopoldina.org/publikationen/detailansicht/publication/traumatisierte-fluechtlinge-schnelle-hilfe-ist-jetzt-noetig-2018/ (last accessed on 17 january 2019). |
3. | Webb R, Antonsen S, Carr M: Self-harm and violent criminality among young people who experienced trauma-related hospital admission during childhood: a Danish national cohort study. Lancet Public Health 2017 Jun 1; 2(7): e314-e322 CrossRef |
4. | Jacob N, Neuner F, Maedl A et al.: Dissemination of Psychotherapy for Trauma Spectrum Disorders in Postconflict Settings: A Randomized Controlled Trial in Rwanda. Psychother Psychosom 2014; 83: 354–363 CrossRef MEDLINE |
5. | Ertl V, Pfeiffer A, Schauer E et al.: Community-Implemented Trauma Therapy for Former Child Soldiers in Northern UgandaA Randomized Controlled Trial. JAMA 2011; 306(5): 503–512 CrossRef MEDLINE |
6. | Ayoughi S, Missmahl I, Weierstall R Provi-sion of mental health services in resource-poor settings: a randomised trial comparing counselling with routine medical treatment in North Afghanistan (Mazar-e-Sharif). BMC Psychiatry 2012; 12:14 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
7. | Deutscher Integrationspreis 2017: Unterstützung für psychisch belastete Flüchtlinge. https://www.startnext.com/victimsvoice (last accessed on 17 january 2019). |
8. | BAfF e.V. 2018: Versorgungsbericht zur psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen und Folteropfern in Deutschland. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2018/08/Versorgungsbericht_4.Auflage.pdf (last accessed on 17 january 2019). |