ArchivDeutsches Ärzteblatt9/2019Medizinische Zukunft: Kein Weg zurück zu alten Zeiten

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Medizinische Zukunft: Kein Weg zurück zu alten Zeiten

Maibach-Nagel, Egbert

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„Ethik heute. Wie gestalten wir die medizinische Zukunft?“: Dieses wegen vieler technologischer und ethischer Herausforderungen umfassende Thema haben Experten auf einem Symposium am 9. Februar in Stuttgart substanziell verdichtet, analysiert und mit potenziellen Wegmarken besetzt.

Foto: everythingpossible/stock.adobe.com
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Dr. Ulrich Clever ist trotz fortschreitender Digitalisierung und künstlicher Intelligenz überzeugt, dass Maschinen ärztliches Tun nicht ersetzen werden. Foto: Ärztliche Pressestelle, LÄK B-W
Dr. Ulrich Clever ist trotz fortschreitender Digitalisierung und künstlicher Intelligenz überzeugt, dass Maschinen ärztliches Tun nicht ersetzen werden. Foto: Ärztliche Pressestelle, LÄK B-W

Es seien „außergewöhnliche Zeiten“, in denen die Medizin Voraussetzungen für eine gute Zukunft legen muss, erklärte Medizinhistoriker und -ethiker Prof. Dr. med. Urban Wiesing (Universität Tübingen) auf der Veranstaltung anlässlich des Amtsendes und 65. Geburtstags des Präsidenten der Landesärztekammer Baden-Württemberg und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer Dr. med. Ulrich Clever. Noch nie hätten so viele Mediziner so viele so schnell veraltende wissenschaftliche Veröffentlichungen geschaffen. Das Ergebnis sei, so Wiesing, ein extrem hoher Wissenszuwachs mit daraus resultierender Arbeitsverdichtung. Die zu konstatierende „Eilkrankheit“ in der Medizin kontrastiere zu nach wie vor beschleunigungsresistenten Momenten: Die Wundheilung oder Schwangerschaften erforderten nach wie vor ethische Prinzipien, die Entschleunigung brauchen. Trotzdem werde es „kein Zurück zu den guten alten Zeiten geben, die ohnehin nicht so gut waren, wie es manchmal scheint“. Was bleibe, sei „das Leiden des Menschen“ und eine Ganzheitlichkeit ärztlichen Handelns: Trotz wissenschaftlichen Fortschritts gehe auch heute noch „keine Arminosäure allein zum Arzt“. Aber: Faktenwissen bleibe ohne ärztliches Orientierungswissen nutzlos. Die ärztliche Dienstleistung sei insofern eine erhaltenswerte Tugend.

Berufspolitische Teamplayer

Die durch die Digitalisierung entstehende Beschleunigung schaffe auch neue Herausforderungen an die ärztliche Berufspolitik: Das sich potenzierende Wissen erlaube Ärzten nicht mehr, Fachleute für alles zu sein. Es erfordert Teamplayer. Wiesing sieht hier Muster wie in der medizinischen Wissenschaft: das exorbitant wachsende Fachwissen brauche Orientierungswissen und Entscheidungskraft.

Dass auch die im Zuge der informellen Möglichkeiten wachsende Autonomie des Patienten im Verhältnis zum Arzt sowohl juristische Probleme, aber auch eine neue ärztliche Haltung erfordert, verdeutlichte der Medizinrechtler RA Peter Schabram: Ein Patient, der selbst entscheiden wolle, müsse auch lernen, „ärztliche Ungewissheit zu ertragen“. Und trotz juristischer Haftungsfragen verlange die Patientenautonomie ethisch ein „Mehr an Ehrlichkeit“ auf beiden Seiten, vom Arzt wie auch vom Patienten.

Auf die Frage, was die Ärztinnen und Ärzte der Zukunft können müssen, antwortete Prof. Dr. med. Jana Jünger mit klassischer Maßgabe: Die Suche nach dem richtigen Lernen beginne mit der Suche nach den richtigen Tugenden. In der Medizin werde die Suche nach neuen Erkenntnissen in Psychosomatik, Krebs- oder Herz- und Kreislauferkrankungen durch das Leuchtturmdenken extrem vieler herausragender Neuerungen nicht leichter. Nötig sei eine systematisierende Translation des wachsenden Wissens. Im Sinne der international erarbeiteten Grundlagen, auf denen auch der Masterplan 2020 beruhe, gelte es deshalb künftig – neben herkömmlichen Inhalten – die Arztrolle zu schulen, übergeordnete Kompetenzen zu schaffen und die ärztliche Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. Dabei bleibe der Wert des Be„greifens“ und be„handelns“ für die zwischenmenschliche Beziehung und das Vertrauen zwischen Arzt und Patient zentral. Das decke sich mit den Bedürfnissen der Patienten, deren Gesundheitskompetenz gerade in Zeiten der Digitalisierung eher gering sei.

Keine Halbgötter

In einem Resümee zur Veranstaltung begrüßte Ulrich Clever, dass die Rolle des Arztes als „Halbgott in Weiß“ nicht mehr gewollt sei, bemängelte aber, dass „halbgöttliche Erwartungen an uns“ nach wie vor bestehen, geschürt durch immer mehr leistungsbezogene Forderungen über Gesetze und Verordnungen. Das koste den Arzt Zeit, Kraft und Lebensenergie. Aber Clever bleibt optimistisch: „Gerade junge Menschen wollen Sinnstiftendes tun.“ Das sei ihr Grund, Medizin zu studieren. Maschinen könnten das nicht ersetzen. Egbert Maibach-Nagel

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