ArchivDeutsches Ärzteblatt9/2019Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Ärztinnen fordern Parität

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Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Ärztinnen fordern Parität

Korzilius, Heike

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In Krankenhäusern und Arztpraxen, bei Krankenkassen und Verbänden liegt der Anteil der Frauen unter den Beschäftigten teilweise bei mehr als zwei Dritteln. Führungspositionen bleiben dennoch überwiegend in Männerhand. Spitzenfrauen aus dem Gesundheitswesen wollen das ändern.

„Beim letzten Mal war ich Nummer drei“: Jens Spahn spielte launig auf seine Wahlniederlage im Rennen um den Parteivorsitz der CDU an, hier mit Cornelia Wanke. Fotos: Georg J. Lopata
„Beim letzten Mal war ich Nummer drei“: Jens Spahn spielte launig auf seine Wahlniederlage im Rennen um den Parteivorsitz der CDU an, hier mit Cornelia Wanke. Fotos: Georg J. Lopata

Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus mussten ihr Medizinstudium in der Schweiz absolvieren. Ende des 19. Jahrhunderts war Frauen in den deutschen Ländern der Weg an die Universitäten noch versperrt. „Nur in einer Beziehung ist für mich die ,Ärztin‘ diskutabel: nämlich als Helferin für die Krankenküche“, zitiert die feministische Zeitschrift Emma den zeitgenössischen Arzt und Medizinhistoriker Julius Pagel. Doch Tiburtius und Lehmus gehen ihren Weg. Nach der Promotion in Zürich im Jahr 1876 lassen sie sich als erste Ärztinnen in eigener Praxis in Berlin nieder.

Seither hat sich viel getan. Im Jahr 2017 waren von den rund 386 000 berufstätigen Ärzten in Deutschland 46,8 Prozent Frauen. 1991 hatte ihr Anteil nach der Statistik der Bundesärztekammer noch bei knapp 34 Prozent gelegen. Seither stieg die Zahl der Ärztinnen um fast 40 Prozent. Die reinen Zahlen spiegeln allerdings nicht die Machtverhältnisse wider. In Krankenhäusern und Arztpraxen, bei Krankenkassen, Institutionen und Verbänden seien Frauen überall zahlenmäßig stark vertreten, heißt es in einer Resolution, die die Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“ am 20. Februar in Berlin an die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Karin Maag, überreichte. Teilweise liege der Anteil der Frauen bei mehr als zwei Dritteln der Beschäftigten. Auch unter den Ärzten und Psychotherapeuten steige der Anteil der Frauen stetig. Nahezu die Hälfte von ihnen sei weiblich. Dennoch würden die Führungspositionen in den Organisationen und Gremien des Gesundheitswesens überwiegend von Männern besetzt. In vielen Organisationen sei nicht einmal jede zehnte Führungskraft eine Frau. „Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieser Resolution fordern die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer auf, in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich verbindliche Regelungen für die paritätische Besetzung von Führungspositionen im Gesundheitswesen zu schaffen“, heißt es dort. Die Herstellung der Parität müsse innerhalb von fünf Jahren erreicht werden. Es werde höchste Zeit, dass die Kompetenzen und Erfahrungen von Frauen stärker in die Entscheidungen im Gesundheitswesen einfließen.

Die Initiatorinnen der Initiative „Spitzenfrauen Gesundheit“ – die Journalistin und Beraterin Cornelia Wanke, Antje Kapinsky aus dem Berliner Büro Politik der Techniker Krankenkasse, die Geschäftsführerin der Bundespsychotherapeutenkammer, Dr. rer. pol. Christina Tophoven, und die Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Dr. med. Christiane Groß – konnten sich über große Resonanz freuen. Zur Auftaktveranstaltung waren rund 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erschienen. Das waren offenbar mehr als erwartet, denn es mussten zusätzliche Stühle aufgestellt werden. Prominentester Redner war Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er räumte ein, es gebe wenige Bereiche, in denen so überproportional viele Frauen Leistungsträgerinnen seien wie im Gesundheitswesen. Ausgenommen seien hier allerdings die Führungsebenen. „Von 17 Kassenärztlichen Vereinigungen haben zehn keine Frau im Vorstand“, führte Spahn ein Beispiel an. Im Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer seien von fünf Vorstandsmitgliedern vier Männer, und das bei einem Frauenanteil unter den Psychologischen Psychotherapeuten von 75 Prozent. Angesichts dessen forderte der Minister: „Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern.“ Dazu gehörten längere Kita-Öffnungszeiten ebenso wie flexiblere Arbeitszeitmodelle, Arbeitsteilung oder mobiles Arbeiten. Das Arbeitsleben werde immer noch von zu viel „Präsenzlogik“ bestimmt, kritisierte Spahn. Noch immer gelte: „Nur wer da ist, arbeitet.“ „Das ist auch eine Frage der Vertrauenskultur“, so Spahn. Er zeigte sich offen, im Rahmen einer Reform der Sozialwahlen die Einführung einer Frauenquote zu prüfen. „Wir sollten das Thema aber nicht ideologisch aufladen“, warnte der Minister.

„Mann sein“, ein Karrierevorteil

Derzeit seien 60 bis 70 Prozent der Medizinstudierenden Frauen, aber nur zehn Prozent der Ärztinnen bekleideten Spitzenpositionen, sagte Dr. phil. Ulrike Ley, Coach für Frauen in Führungspositionen. Zwar liege der Anteil der Ärztinnen auf Oberarztpositionen noch bei 30 Prozent, auf Chefarztpositionen oder Lehrstühlen kämen aber kaum noch Frauen an. Nach Leys Ansicht sind die größten Hürden für Frauen auf dem Weg nach oben die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere sowie die männliche Dominanz im Arbeitsleben. Frauen arbeiteten in einem von Männern geprägten System, die jeweils das eigne jüngere Selbst förderten. „Frauen, die fordern, werden als anstrengend empfunden“, sagte Ley. „Mann sein“ habe die günstigste Aufstiegsprognose in der Medizin. Dabei sei die mangelnde Geschlechterparität in Spitzenpositionen nicht nur ein Problem für Frauen. Das Potenzial kluger Köpfe nicht zu nutzen, sei auch wirtschaftlich dumm. Mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei es nicht mit dem Angebot ganztägiger Kinderbetreuung getan, meinte Ley. Dazu brauche es auch die Unterstützung des Partners und die Umsetzung neuer Rollenmuster.

Tückische Bescheidenheitsfalle

Ley hält eine Frauenquote für einen ersten Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Quoten hätten in vielen Bereichen zu ersten Veränderungen geführt und dazu, dass sich die fachliche Qualität von Frauen habe durchsetzen können. Sie appellierte an die Frauen, nicht in die „Bescheidenheitsfalle“ zu tappen und sich mit Quoten von 30 Prozent abzufinden. „Heute geht es um Parität und zwar überall“, sagte Ley: „Die Gleichstellung der Geschlechter ist auch ein Indikator dafür, wie gerecht eine Gesellschaft ist.“ Deshalb brauche es jetzt couragiertes politisches Handeln. „Wir brauchen Paritätsgesetze“, forderte Ley an den Bundesgesundheitsminister gewandt.

Diese Forderung machten sich auch Gesundheitspolitikerinnen von SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu eigen. Grünen-Politikerin Kirsten Kappert-Gonther, selbst Psychiaterin und lange Jahre in eigener Praxis niedergelassen, hatte nach ihrem Einzug in den Bundestag im vergangenen Jahr eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Frauenanteil in den Gremien der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen gestellt und war über die Antwort „erschüttert“, wie sie jetzt erneut bekräftigte. 70 Prozent der Beschäftigten der Krankenkassen seien Frauen. Ihr Anteil in den Vorständen liege jedoch bei null bis 21 Prozent. „Die Expertise und Erfahrung von Frauen kommt in den Gremien nicht vor. Das macht keinen Sinn“, sagte Kappert-Gonther. Die gläserne Decke sei im Gesundheitswesen genauso dick wie bei den DAX-Unternehmen. Bündnis 90/Die Grünen hätten inzwischen einen Antrag gestellt, der eine Quotierung in den Entscheidungsgremien der Selbstverwaltung fordere. Er soll demnächst im Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten werden. „Unser Ziel muss die Parität sein, aber ohne Quote wird es nicht gehen“, zeigte sich Kappert-Gonther überzeugt.

In ihrer Bundestagsfraktion seien Frauen klar unterrepräsentiert, sagte FDP-Politikerin Nicole Westig. Von 80 Abgeordneten seien 19 Frauen. Sie selbst setze sich seit Jahren für eine Frauenquote ein. Für ihre Partei, deren Kultur auf dem Konzept der Freiheit basiere, sei diese aber ein „großes Schreckgespenst“. Hier gelte es, noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. „In meinem Kreisverband suche ich aber ganz gezielt nach geeigneten Frauen, wenn Posten neu besetzt werden“, sagte Westig.

„Ich bin eine Quotenfrau“, erklärte die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). „Als ich vor 20 Jahren Staatssekretärin wurde, hat man in der Partei bewusst nach einer Frau für den Posten gesucht.“ In Sachen Quote sei sie eine Überzeugungstäterin, so Prüfer-Storcks. Im Bundestag habe sich der Anteil der Frauen aufgrund von Quotenregelungen einzelner Parteien fast verdreifacht. Zusammen mit anderen Kolleginnen aus den Ländern habe sie kürzlich im Rahmen der Gesundheitsministerkonferenz der Länder einen Antrag auf Quotierung in den ehrenamtlichen Gremien der Selbstverwaltung verfasst. „Der liegt jetzt bei Jens Spahn auf dem Tisch“, so Prüfer-Storcks. Nun sei die Regierung aufgefordert, Vorschläge zu unterbreiten. Wenn man mehr Frauen für die ehrenamtliche Gremienarbeit begeistern wolle, müsse man sich allerdings auch fragen, ob deren Arbeit so bleiben müsse, wie sie sei. „Wir müssen Rituale auf den Prüfstand stellen und die Gremienarbeit effizienter machen“, forderte Prüfer-Storcks. Sitzungen müssten dann einberufen werden, wenn es Entscheidungsbedarf gebe und nicht „weil wir den 3. Montag im Monat haben“, meinte die Senatorin. Noch werde in vielen von Männern dominierten Runden eine ganze Menge an Lebenszeit verschwendet.

Keine Sitzung ohne Ziel

Dr. med. Heidrun Gitter, Präsidentin der Ärztekammer Bremen, hat die Forderung von Prüfer-Storcks in der Kammerarbeit bereits erfolgreich umgesetzt. „Es gibt bei uns keine Sitzung ohne Tagesordnung oder ohne Ziel“, sagte die Chirurgin. Auch die Ausschussarbeit habe die Kammer umgestaltet. Statt ständiger Ausschüsse gebe es vermehrt Arbeitsgruppen, die projektbezogen und zeitlich befristet arbeiteten. Das erleichtere vielen Frauen den Einstieg in die Gremienarbeit. Was den Frauenanteil in Führungspositionen betrifft, steht die Ärztekammer Bremen gut da. Von fünf Vorständen sind drei Frauen, und auch die Führungsebene unterhalb des Vorstands besteht zu 60 Prozent aus Frauen.

Thomas Sattelberger, ehemaliger Telekom-Manager, der in dem Konzern eine freiwillige Selbstverpflichtung für mehr Frauen in Führungspositionen vorangetrieben hatte, warnte davor, sich einseitig auf die Einführung von Frauenquoten zu konzentrieren. „In der Wirtschaft hat die Quote wenig gebracht, weil sich die Kultur in den Unternehmen nicht entsprechend gewandelt hat“, sagte Sattelberger. Wenn die Quote nicht mit Talentförderung und -management sowie einer geänderten Führungskultur einhergehe, könne sie nicht nachhaltig wirken. „Gegen die Stereotypen in den Köpfen hilft eine Quote nicht“, sagte der Ex-Manager und empfahl den Frauen, breitere Bündnisse zu schmieden und Koalitionen einzugehen, um ihre Ziele zu erreichen. Heike Korzilius

Der Weg nach oben

Christiane Groß, Deutscher Ärztinnenbund: Mehr junge Ärztinnen in die Gremienarbeit einzubinden, ist mir ein Herzensthema.

Heidrun Gitter, Ärztekammer Bremen: Frauen müssen sich in Sachthemen einarbeiten und Netze über Verbände hinaus knüpfen.

Andrea Benecke, Bundespsychotherapeutenkammer: Meine Hürde waren meine Gedanken. Ich hätte sehr von Mentoring profitiert.

Karen Walkenhorst, Techniker Krankenkasse: Man muss die männlichen Spielregeln kennen, nur dann kann man sie ändern.

Gertrud Demmler, Siemens Betriebskrankenkasse: Ich hatte viele männliche Mentoren. Die Kultur im Unternehmen war so angelegt.

Margret Stennes, Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin: Ärztinnen müssen in die KVen. Das ist wichtig, da geht es ums Geld.

Isabella Erb-Herrmann, AOK Hessen: In anglo-amerikanischen Unternehmen ist Diversität unter den Beschäftigten schon längst ein Thema.

Daniela Teichert, AOK Nordost: Ich habe im Unternehmen ganz unten angefangen, aber schon früh gemerkt, dass ich gut führen kann.

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