MEDIZINREPORT
Impfberatung in der Praxis: Professionelle Gesprächsführung – wenn Reden Gold wert ist
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Etwa 20 % der Bevölkerung stehen Impfungen unentschlossen gegenüber oder sind unsicher. Hier kann ein konstruktives Arztgespräch zu einer positiven Impfentscheidung führen. Dieser Beitrag stellt evidenzbasierte und best-practice-Empfehlungen zur Kommunikation in der Praxis vor.
Jenseits von medizinischen Kontraindikationen sollte sich die Frage „impfen oder nicht impfen?“ für Ärztinnen und Ärzte nicht stellen. Jedoch sind in Deutschland die Impfquoten immer noch suboptimal (1); das Ziel der Elimination der Masern rückt beispielsweise jedes Jahr aufs Neue in die Ferne. Dieser Artikel beleuchtet mögliche Gründe der Impfmüdigkeit in Deutschland (2, 3) – sowohl der Allgemeinbevölkerung als auch von medizinischem Personal – und plädiert dafür, Patientinnen und Patienten stärker an das Impfen zu erinnern (4) und das Gespräch mit ihnen zu suchen (5). Damit knüpft dieser Beitrag eng an ein systematisches Review von Storr und Kollegen an (6) und gibt konkrete, evidenzbasierte sowie best-practice-Hinweise für Interventionen und den aufklärenden Dialog in der ärztlichen Praxis.
Gründe für Impfmüdigkeit in Deutschland – das 5C-Modell
Impfmüdigkeit wurde jüngst von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als eine der 10 wichtigsten Bedrohungen der globalen Gesundheit bezeichnet (7). Internationale Expertengruppen beschäftigen sich seit vielen Jahren damit, Impfmüdigkeit zu definieren, messbar zu machen und Interventionen zu entwickeln, die dabei helfen, Impfmüdigkeit zu überwinden (8).
Das kürzlich publizierte 5C-Modell (2) beschreibt 5 wesentliche psychologische Gründe (Antezedenzien) der Impfentscheidung:
- Confidence (Vertrauen),
- Complacency (Risikowahrnehmung),
- Constraints (Barrieren in der Ausführung),
- Calculation (Ausmaß der Informationssuche) und
- Collective Responsibility (Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft).
Das 5C-Modell ist eine psychologische Erweiterung (2, 9) eines etablierten Modells der WHO (8). Tabelle 1 definiert die Gründe der Impfmüdigkeit und zeigt auf, wie sie erfasst werden können (vgl. [2]).
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) hat in ihrer aktuellen Infektionsschutzstudie (3) diese Gründe erfasst. Eine Reanalyse der für die deutsche Bevölkerung repräsentativen Stichprobe zwischen 16 bis einschließlich 85 Jahren zeigt, dass Personen mit höheren Werten für „Confidence“ und „Collective Responsibility“ sich in den vergangenen Jahren eher impfen ließen; Personen, die höhere praktische Barrieren (Constraints) empfanden und die Krankheitsrisiken als gering wahrnahmen (hohe Complacency-Werte), haben eher eine Impfung ausgelassen (10).
Je nach vorliegenden Gründen sollten Interventionsmaßnahmen passend entwickelt werden (11, 12). Für die Situation in Deutschland scheint es daher ratsam:
- Impfen einfacher zu machen, an fällige Impfungen zu erinnern (um constraints abzubauen);
- eine vertrauensbildende Gesprächsführung anzubieten, in der auch Mythen entkräftet werden können (um confidence zu stärken);
- Gemeinschaftsschutz zu erklären (um collective responsibility zu stärken);
- Risiken impfpräventabler Erkrankungen zu verdeutlichen (um complacency zu senken).
Für einen Überblick sind konkrete Maßnahmen entsprechend der verschiedenen Gründe auch in Tabelle 1 aufgeführt (9). Nachfolgend werden die Maßnahmen detaillierter dargestellt.
Impfmüdigkeit bei medizinischem Personal: Die Gründe für Impfmüdigkeit unterscheiden sich für medizinisches Personal nicht von denen der Allgemeinbevölkerung, wie eine Reanalyse der BZgA-Infektionsschutzstudie für diesen Artikel gezeigt hat. Hier wurden im Gesamtsample (n = 4 450) 358 Personen identifiziert, die angaben, eine „Tätigkeit im medizinischen Bereich auszuüben, bei der sie Kontakt zu Patienten haben“ – wie Personal in ärztlichen Praxen, pflegerischen Einrichtungen oder Krankenhäusern, Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeuten etc. (3).
Eine Regressionsanalyse, die die 5C, den Berufsstand (medizinisches Personal ja vs. nein) sowie die Interaktionen der 5C mit dem Berufsstand als Prädiktoren verwendete, replizierte das oben beschriebene Muster – keine der Interaktionsterme war signifikant (eTabelle). Das heißt, auch bei medizinischem Personal muss damit gerechnet werden, dass dieselben Vorbehalte, Wissensinhalte oder praktischen Barrieren hinderlich respektive förderlich für den Impfgedanken sein können.
Impfen einfacher machen – praktische Barrieren abbauen
Wie die obenstehenden Analysen zeigen, sind praktische Barrieren („constraints“) ein häufiger Grund für fehlende Impfungen. Hier gibt es zahlreiche Maßnahmen, die auch in Arztpraxen ergriffen werden können, um Impfabläufe zu vereinfachen, zum Beispiel das Impfen ohne Termin oder Impfsprechstunden in den Abendstunden oder am Wochenende.
Auch das Eruieren, ob eine Impfung fällig ist, kann Opfer von Zeitnot werden. Hier helfen Erinnerungs- oder Recallsysteme durch die Arztpraxen, deren gute Wirksamkeit auch in einem Cochrane Review beschrieben wird (13).
Da auch medizinisches Personal nicht immer ohne Vorbehalte ist, stellt sich die Frage, ob die impffreundliche Gestaltung des Praxisalltags davon abhängt, inwiefern Praxisinhaber dem Impfen vorbehaltlos gegenüberstehen. Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung zu einem HPV-Impfstoff wurden dazu 211 Ärzte befragt (52 % weiblich; mittleres Alter = 53 Jahre; 53 % Kinder- und/oder Jugendärzte, 36 % Gynäkologen, 5 % Allgemeinärzte).
Gefragt wurde nach der Reaktion auf die Frage von Eltern, ob der Arzt dem eigenen Kind 8 verschiedene Impfungen verabreichen würde (impfen lassen, nicht impfen lassen, weiß nicht – für 6-fach Impfung, MMR, MMRV, Influenza, Rota, Meningokokken C, Pneumokokken, HPV). Die Ärzte wurden danach klassifiziert, ob sie alle Impfungen befürworten würden oder weniger. Dies diente als Indikator für Vorbehalte.
Außerdem wurden sie nach 6 verschiedenen Maßnahmen gefragt, die die Durchimpfungsrate in der Praxis erhöhen könnten – zum Beispiel das Verwenden eines Erinnerungssystems (13) ( Tabelle 2). Hier sollten die Ärzte angeben, bei wie vielen von 10 Patienten, die sie prinzipiell impfen könnten, sie solche Maßnahme anwenden. Ärzte mit Vorbehalten wenden diese Maßnahmen generell weniger häufig an.
In der Einzelanalyse zeigt sich, dass die Mediziner mit Vorbehalten weniger gesonderte Impfsprechstunden anbieten und seltener Erinnerungssysteme anwenden. Gleichzeitig klären sie jedoch häufiger über Mythen auf.
Die Anzahl der Befragten in jener Studie war zwar klein und die Tatsache, dass sie auf einer Weiterbildung zu einem HPV-Impfstoff stattfand, lässt zudem vermuten, dass die Anwesenden dem Impfen gegenüber generell positiv eingestellt waren.
Jedoch zeigt sich bereits in einer solchen Stichprobe, dass sich eigene Vorbehalte (hier ungeachtet spezifischer Gründe) auf die impffreundliche Gestaltung des Praxisalltags auswirken. Weitere großangelegte Studien (z. B. TAMIA) (14) werden die Rolle der Impfeinstellung von Ärzten im praxisbezogenen Impfgeschehen weiter beleuchten.
An Impfungen denken und erinnern – mit dem Patienten
Der Arzt ist für viele Patienten die wichtigste Informationsquelle (3). Studien zeigen außerdem, dass eine vom Arzt ausgesprochene starke Empfehlung für die Impfentscheidung sehr wichtig ist (15). Jedoch geben 2016 befragte Hausärzte als Grund für eine nicht ausgesprochene Empfehlung am häufigsten an, dies im Arbeitsalltag zu vergessen (4).
Fast 95 % der dort befragten Ärzte gaben auch an, dass sie es begrüßen würden, von ihren Patienten auf das Impfen angesprochen zu werden. Da psychologische Theorien, die Gesundheitsverhalten erklären, postulieren, dass ein externer Hinweisreiz (cue to action) Verhalten auslösen kann (16), scheint es daher sinnvoll, in der Praxis Hinweisreize zu installieren (z. B. durch Poster), die die Patienten dazu einladen, ihren Arzt oder ihre Ärztin auf das Impfen anzusprechen.
Tipps für eine vertrauensbildende Gesprächsführung
Findet dann ein Gespräch statt, so verläuft es meistens sicher in gewohnten und vorhersehbaren Bahnen. Aber es kann auch eine Herausforderung sein, wenn Patienten Ängste und Zweifel vorbringen oder Impfungen komplett verweigern.
Wenn Menschen sich vehement gegen Impfungen aussprechen, können viele Gründe dafür verantwortlich sein – von Mythen über eine bestimmte Weltanschauung (17) oder Kontakt zu sozialen Kreisen, die Impfen ablehnen bis hin zu Aspekten der eigenen Identität (18). Darauf zu reagieren ist nicht immer einfach, zumal Forschung gezeigt hat, dass einfaches Korrigieren von Mythen sogar einen negativen Effekt haben kann (19).
Wunsch nach Unterstützung für das Patientengespräch
Viele Ärztinnen und Ärzte wünschen sich daher Unterstützung für das Patientengespräch. Wissenschaftler (5, 20) und Gesundheitsorganisationen haben Prinzipien und Methoden entwickelt, die auch das Gespräch mit impfkritischen Patienten erleichtern können.
Auch wenn die optimale Strategie noch nicht gefunden ist (21) und der Erfolg sicher auch von der Einstellung des Gesprächspartners abhängt (22), haben wir hier die wichtigsten Prinzipien und Schritte auf Basis verschiedener Modelle zusammengefasst (20).
Einstieg: Heute ist Ihre Impfung fällig. Dieser Einstieg führt zu einer höheren Impfbereitschaft als wenn Sie fragen, ob der Patient heute eine Impfung möchte (23). Sie gehen so davon aus, dass Impfen der Standard ist. Dies gibt den Patienten Sicherheit – und erlaubt ihnen immer noch, nachzufragen oder nein zu sagen.
Schritt 1: Empathie zeigen und Glaubwürdigkeit schaffen. Hier gilt es, gemeinsame Werte zu betonen und zu zeigen, dass Sie zuhören. Statt zu sagen: „Ich verstehe, dass Sie Bedenken haben, dass die Grippe-Impfung Grippe auslösen könnte“ können Sie darauf aufbauen, dass Ihrem Patienten Gesundheit wichtig ist: „Ich nehme wahr, dass es Ihnen wichtig ist, nicht die Grippe zu bekommen und gesund zu bleiben.“
Werden spezifische Bedenken geäußert, sollte man um die Erlaubnis fragen, Informationen zu teilen – so überwältigen Sie den Patienten nicht und gehen wertschätzend mit seinen Ängsten und Zweifeln um (5): „Ich habe mit Influenza viel Erfahrung. Darf ich mit Ihnen teilen, was ich daraus gelernt habe?“
Schritt 2: Kurz die Bedenken adressieren – wenn welche geäußert werden. Hier gilt das Prinzip weniger ist mehr, denn kurze und verständliche Erklärungen wirken besser als lange und detaillierte Ausführungen (24). Adressieren Sie nur die Bedenken, die aktiv geäußert werden und bringen Sie keine weiteren auf. Streiten Sie nicht, hören Sie zu und geben Sie kurze Antworten.
Schritt 3: Krankheitsrisiken erklären. Impfpräventable Erkrankungen treten heute nur noch selten auf, daher wissen viele Menschen nicht mehr, wie schwerwiegend sie sein können (25). Daher müssen diese Risiken auch kommuniziert werden. Das Ziel ist hierbei nicht, den Patienten zu verängstigen. Es geht darum, die Diskussion weg von den Mythen zu lenken und hin zur Diskussion über die Krankheit, die man gemeinsam verhindern will. Hier hilft auch ein Hinweis auf mögliche Folgeerkrankungen wie Sepsis (26, 27) oder ein erhöhtes Herzinfarktrisiko nach Influenza (28). Dies führen wir weiter unten nochmal gesondert aus.
Schritt 4: Effektivität von Impfungen als Schutz vor der Erkrankung vermitteln. Wenn Sie über das Risiko durch die Erkrankung aufgeklärt haben, ist es wichtig, eine effektive Gegenmaßnahme zu präsentieren – dies stärkt die Handlungsbereitschaft. Daher sollte nun betont werden, dass die Impfung die Erkrankung sehr effektiv und sehr sicher verhindert.
An dieser Stelle ist es auch relevant, auf den sozialen Nutzen der Impfung hinzuweisen: Denn wenn Personen erfahren, dass sie mit ihrer Impfung auch andere mitschützen können, die dies selbst nicht können, macht sie dies impfbereiter (29). Detailliertere Informationen finden Sie nachfolgend.
Schritt 5: Eine starke persönliche Empfehlung. Ärzte sind die Vertrauensperson Nummer 1 für ihre Patienten, deren Empfehlungen einen großen Effekt haben können. Beschließen Sie daher den Dialog mit einer starken, persönlichen Empfehlung.
Ausblick: Den Dialog offen halten. Manche Patienten entscheiden sich möglicherweise nicht unmittelbar für eine Impfung. Bestärken Sie sie darin, sich weiterhin mit dem Impfen auseinanderzusetzen und laden Sie zu einem erneuten Gespräch ein. Geben Sie Hinweise, wo gute Informationen angeboten werden.
Geeignete Materialien und wichtige Gesprächsinhalte
Die ärztliche Aufklärung über Impfen erfolgt oft individuell und damit sehr unterschiedlich. In den letzten Jahren sind einige Informationsangebote entstanden, die die Aufklärung über Impfen unterstützen können. Auf diese können die Patienten bereits vor dem eigentlichen Impftermin hingewiesen werden – zum Beispiel auf der Webseite Ihrer Arztpraxis.
So gibt es das gut strukturierte Informationsportal www.impfen-info.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), die sich an die Allgemeinbevölkerung wendet. Nur 4 % des medizinischen Personals und nur 9 % der Eltern kennen dieses Angebot (3). Es sollte durch die Ärzteschaft stärker beworben werden.
Die Internetseiten des Robert Koch-Instituts (RKI), auf die Ärzte häufig verweisen, sind eher für das Fachpublikum gedacht. Ausnahme: Dort finden sich auch (laienverständliche) Informationen zu gängigen Mythen und Falschinformationen (siehe Linksammlung).
Über Gemeinschaftsschutz aufklären. Neben gut verständlichen Informationen gibt es auch bestimmte Inhalte, die mit in die Aufklärung fließen sollten. Als relevanter Faktor für die Impfbereitschaft zeigt sich die „Collective Responsibility“, also das Wissen über den sozialen Nutzen von Impfungen. Denn durch die Reduktion der Transmission von Erkrankungen bieten die meisten Impfungen auch einen indirekten Schutz für ungeimpfte Personen – den Gemeinschaftsschutz, auch Herdenimmunität genannt (30).
Personen, denen das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes erklärt wurde, wiesen in Studien eine höhere Impfbereitschaft auf (29, 31). Die Bereitschaft, andere zu schützen, war dann besonders ausgeprägt, wenn kommuniziert wurde, dass die ungeimpften Personen sich nicht impfen lassen können (z. B. wegen Kontraindikationen oder Immunschwäche) – und die Impfung nicht aus anderen Gründen verweigert wird (32).
Um das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes zu verdeutlichen, kann eine humorvolle Darstellung hilfreich sein. Das belegt ein Videoausschnitt einer Kabarettaufführung, in der „Fangen“ für Erwachsene gespielt wird: Alle Besucher stehen. Wer abgeklatscht wird, schlägt selbst jemanden ab und setzt sich hin – so wird eine Infektionskette symbolisiert (Video siehe Linksammlung).
Dieses Spiel wird zweimal hintereinander gespielt – beim zweiten Mal stehen nur noch circa 5 % des Publikums und symbolisieren die Ungeimpften – das Abklatschspiel kann nicht stattfinden.
Im Rahmen einer Studie wurde dieses Video mit einer anderen Video-Simulation des Gemeinschaftsschutzes verglichen und gemessen, als wie amüsant es jeweils empfunden wurde. Personen, die das „Fangen“-Video als lustig empfanden, waren hinterer impfbereiter als jene, die es nicht ansprach (33).
Folgeerkrankungen wie Sepsis und Herzinfarkt ansprechen
Häufig wird das Risiko durch impfpräventable Erkrankungen unterschätzt (complacency). So haben ungeimpfte Senioren das Gefühl, dass Grippe oder Pneumokokken für sie ein geringeres Risiko darstellen als geimpfte Senioren (34).
Ob Aufklärung über Infektionskrankheiten und ihren Folgeerkrankungen die Risikowahrnehmung beeinflussen kann und ob dies besonders gut bei Folgeerkrankungen funktioniert, die den Patienten gut bekannt sind, wird derzeit im BMBF-Verbundprojekt impfen60+ untersucht.
In einer Kampagne in Thüringen als Modellregion wird erstmals gemeinsam über Impfen und Sepsis als mögliche Folgeerkrankung von Influenza und Pneumokokken-Infektion aufgeklärt (www.thueringen-impft.de). Vorstudien hatten gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen Infektionskrankheiten und der Entstehung von Sepsis nicht bekannt ist (26). Durch das Wissen um diesen Zusammenhang konnte die Impfbereitschaft gesteigert werden.
Analoges wird derzeit erforscht für Myokardinfarkt nach Influenza; neue Befunde zeigen, dass die Influenza-Impfung das Risiko für einen Myokardinfarkt erheblich senkt (28).
Bislang ignorierte Risiken (durch Influenza) in der Kommunikation mit Risiken zu verknüpfen, die auch in der Wahrnehmung der Patienten bestehen, bietet damit einen neuen Ansatz, complacency zu überwinden.
Über Mythen aufklären – nicht einfach widersprechen
Wer sich als medizinischer Laie über das Impfen informieren will, sieht sich oft einer großen unübersichtlichen Fülle von Informationen gegenüber; welcher Quelle vertraut werden kann, ist oft schwer zu beurteilen (35). Je mehr Personen in einer aktuellen Studie angaben, eigene Informationen zur Risikoabwägung zu suchen (calculation), desto eher waren sie dem Impfen gegenüber abgeneigt (2). Dies liegt an Falschinformationen und Mythen, die im Internet leicht verfügbar sind (35) und auch auf dem Büchermarkt große Verbreitung finden. Mythen zu korrigieren ist eine große Herausforderung, denn bloßes Widersprechen kann dazu führen, dass der (falsche) Glaube daran noch verstärkt wird (19).
Aktuelle Arbeiten zeigen, dass die Techniken, mit denen wissenschaftliche Befunde geleugnet werden, in verschiedenen Wissenschaftsbereichen dieselben sind (Impfen, Klimawandel). So zeigt sich, dass Impfgegner typischerweise
- die Faktenlage in einer verzerrten Weise darstellen und falsche Schlüsse ziehen (misrepresentation, false logic);
- 100%ige Sicherheit von Impfungen fordern (impossible expectations);
- Verschwörungen von Industrie und Gesundheitsorganisationen vermuten (conspiracy theories);
- spezifische Datenpunkte aus der Gesamtheit der vorhandenen Datenmenge selektieren (cherry picking);
- Personen rezitieren, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und/oder ihrer Befangenheit nicht als Experten für Impfstoffsicherheit und Effektivität gelten (fake experts) (36).
Selten wird in Aufklärungsmaterialien oder in Gesprächen auf derartige Techniken der impfskeptischen Argumentation hingewiesen. Studien zeigen allerdings für Debatten (zum Beispiel in Radio oder Fernsehen), dass eine Aufklärung über die verwendete Technik dazu führen kann, dass Impfgegner einen geringeren Einfluss auf die Impfbereitschaft haben (37).
Gleichermaßen regen wir an, auch im Arzt-Patienten-Dialog über diese Techniken aufzuklären, wenn Patienten Falschinformationen anführen – auch wenn die Effektivität im Dialog noch nicht getestet wurde.
Tabelle 3 gibt eine Übersicht typischer Techniken mit Beispielen.
In der Linksammlung (siehe Kasten) ist auf die gemeinsame Publikation des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) verwiesen, die die 20 häufigsten Einwände gegen das Impfen inhaltlich widerlegen und somit eine Argumentationshilfe bieten.
Insgesamt bieten sich also zahlreiche Möglichkeiten, das Impfangebot in der Praxis zu optimieren. Dabei ist der Abbau praktischer Barrieren ein wichtiger Schritt, die vertrauensvolle Gesprächsführung und sachkundige Aufklärung über Mythen und Krankheitsrisiken ein weiterer Baustein. Gehen Sie mit Ihrer eigenen Impfung mit guten Beispiel voran. Laden Sie Ihre Patienten/-innen dazu ein, Sie auf das Impfen anzusprechen.
Prof. Dr. phil. Cornelia Betsch,
Heisenberg-Professur für Gesundheitskommunikation, Philosophische Fakultät der Universität Erfurt
Dr. med. Eckart von Hirschhausen,
Wissenschaftjournalist, Kabarettist
Dr. med Vera Zylka-Menhorn,
Deutsches Ärzteblatt
Literatur und eTabelle im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit1119
oder über QR-Code.
Diskussion um eine Impfpflicht
Immer wieder wird die vollständige oder teilweise Impfpflicht als ultima ratio (6) zur Überwindung der Impfmüdigkeit diskutiert. Das aktuelle Infektionsschutzgesetz erlaubt eine Impfpflicht nur in Ausnahmefällen im epidemischen Ausbruchsgeschehen (ifsg § 20 Abs. 6 S. 1).
Auch der Deutsche Ethikrat hat hat am 21. Februar in Berlin darüber diskutiert, welche regulatorischen Maßnahmen für die Verbesserung von Impfraten ethisch und rechtlich akzeptabel beziehungsweise sinnvoll sind. Die Ergebnisse der öffentlichen Anhörung „Impfen als Pflicht?“ werden in eine Stellungnahme einfließen, die der Ethikrat derzeit erarbeitet.
Nach Angaben ihres Vorsitzenden, des Theologen Prof. Peter Dabrock, tangiert eine Impfpflicht in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat hohe Rechtsgüter: das Persönlichkeitsrecht, das Recht auf die Integrität von Leib und Leben, aber auch die Erwartung an den Staat, Leib und Leben gegen unnötige und effektiv beherrschbare Gefahren zu schützen.
Für den Humangenetiker Prof. Dr. med. Wolfram Henn, Leiter der Arbeitsgruppe „Impfen als Pflicht?“ des Ethikrates, darf eine Impfpflicht erst in Erwägung gezogen werden, wenn alle anderen Strategien nicht zum Ziel führen. Er plädiert für:
1) ein Impfregister als Forschungsressource und als Möglichkeit zur gezielten Kommunikation,
2) Zurückhaltung gegenüber pauschalen Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein
3) eine Fokussierung der Maßnahmen auf die Verantwortungsträger, insbesondere die Ärzteschaft.
Davon abgesehen sind auch psychologische Folgen einer Impfpflicht zu erwarten. In einer experimentellen Studie wurde variiert, ob die erste von zwei hypothetischen Impfentscheidungen freiwillig oder verpflichtend war. Es interessierte dabei vor allem die Impfbereitschaft bei der nachfolgenden zweiten Entscheidung, die für alle freiwillig war. Hier zeigte sich, dass die Impfbereitschaft in der Impfpflicht-Gruppe im Vergleich zur Gruppe der freiwillig impfenden Personen um 39 % geringer war, wenn die Personen eine etwas kritischere Haltung zum Impfen hatten (39).
Diese Studie zeigt, dass insbesondere eine teilweise Impfpflicht nicht ratsam ist, da die Bereitschaft für die freiwillig bleibenden Impfungen sinken könnte. Das heißt, dass die individuelle Entscheidung der Patienten möglichst gut unterstützt und die Gründe des Nichtimpfens als Basis für Interventionen herangezogen werden sollten.
Informationen zur Beratung der Patienten
Diese Links bieten gut verständliche Informationen zum Thema Impfen und sollten auf den Internetauftritten von Ärztinnen und Ärzten verlinkt werden. Außerdem kann darauf auch in Aufklärungsgesprächen hingewiesen werden.
Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
- https://www.impfen-info.de
MMR-Entscheidungshilfe für Eltern
- https://mmr-entscheidung.impfen-info.de
Erklärung des Gemeinschaftsschutzes (Herdenimmunität)
- Video und Simulation der BZgA:
https://www.impfen-info.de/wissenswertes/
herdenimmunitaet/ - Youtube-Video von Dr. med. Eckart von Hirschhausen:
https://youtu.be/SehSaknas0o
Stress- und schmerzfreies Impfen für Eltern
- http://daebl.de/YM27
Antworten zu den 20 häufigsten Einwänden gegen das Impfen
- http://daebl.de/SR97
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