ArchivDeutsches Ärzteblatt1-2/2000Alkoholkranke Ärzte: Die Existenz steht auf dem Spiel

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Alkoholkranke Ärzte: Die Existenz steht auf dem Spiel

Endres, Alexandra

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LNSLNS Ärzte werden häufiger alkoholabhängig als Normalbürger. Gute Chancen, in den Beruf zurückzukehren, bringt eine Therapie mit engem Kontakt zur Aufsichtsbehörde.


Hilfe geht vor berufsrechtliche Sanktionen: Das ist der Grundsatz der Bundesärztekammer (BÄK), wenn es um suchtkranke Ärzte geht. "Wir haben gegenüber unseren Mitgliedern in erster Linie eine Fürsorgepflicht", sagt Dr. med. Frank Lehmann, BÄK-Referent im Dezernat für Fortbildung und Gesundheitsförderung. Das Berufsrecht solle erst bemüht werden, wenn Gefahr für die Patienten besteht - zum Beispiel, wenn sich der kranke Arzt weigert, in Therapie zu gehen.
Der Beruf ist ein Risikofaktor
Schätzungen zufolge sind in Deutschland sechs Prozent der Ärzte einmal im Leben von Hochprozentigem abhängig und sieben bis acht Prozent generell suchtkrank. Für Durchschnittsbürger hingegen schätzt die Ärztekammer Hamburg die Prävalenzrate auf drei Prozent. Die Ursachen für das hohe Suchtrisiko der Ärzte liegen vor allem im Beruf. Viele Ärzte stellen zu hohe Anforderungen an sich selbst. Sie wollen dem Ideal des selbstlos Helfenden entsprechen, der zu jeder Zeit mit maximalem Einsatz arbeitet. Überbelastung und Scheitern sind so programmiert. Andere setzen sich unter emotionalen Druck, weil sie die Schicksale ihrer Patienten zu nahe an sich heranlassen. Dazu kommen wirtschaftliche Belastungen. Alkohol wird da leicht zum willkommenen Ventil; häufig kommt eine Medikamentensucht noch dazu. Pharmaka sind für Ärzte leicht zu haben. Mit ihrer Wirkung kennen sie sich aus. Gerade deshalb unterschätzen die meisten aber das Suchtpotential der Mittel.
Ein Arzt, der süchtig ist, will das meist nicht wahrhaben. Patienten scheuen sich ebenso wie Kollegen und Angehörige, ihn auf seine Krankheit anzusprechen. Das Klischee vom unverwundbaren Helfer und der Glaube, aufgrund des Medizinstudiums Suchtmittel im Griff zu haben, führen zur Verdrängung. Die Folge: Ärzte sind länger süchtig als andere. Zehn Jahre kann der Unterschied betragen. Die Ärztekammer Hamburg spricht von "prolongierten Krankheitsverläufen mit katastrophalen sozialen und körperlichen Folgewirkungen". Bei Süchtigen aus Berufsgruppen mit hohem Sozialprestige ende die Krankheit erschreckend häufig mit dem Selbstmord des Betroffenen. "Das dürfte auch für Ärzte zutreffen", stellt die Ärztekammer fest.
Die Approbation steht auf dem Spiel
Abhängige Ärzte, die eine Therapie zu lange hinauszögern, gefährden ihre berufliche Existenz. Auf dem Spiel stehen Approbation und Zulassung als Kassenarzt: Wenn der Regierungspräsident beispielsweise erfährt, dass ein Arzt bei einer Alkoholkontrolle aufgefallen ist, lässt die Behörde prüfen, ob er suchtkrank ist. Falls ja, wird sie das sofortige Ruhen der Approbation anordnen oder ihm die Urkunde entziehen, etwa wenn er zu keiner Therapie bereit ist. Wer als Kassenarzt zugelassen werden will, muss fünf Jahre lang ohne Suchtmittel ausgekommen sein. Fällt er während seiner Praxistätigkeit auf, kann ihm die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die Zulassung entziehen.
Hilfe im Kampf gegen die Sucht finden abhängige Ärzte bei den Ärztekammern. Die Ärztekammer Hamburg beispielsweise arbeitet seit sieben Jahren mit einem detaillierten Konzept. Über ein ausgefeiltes System von Briefen - zunächst eher allgemein, dann in immer dringlicherem Ton gehalten - versucht sie, den kranken Arzt zur Therapie zu bewegen. Die KV und der Regierungspräsident als approbationserteilende Stelle werden nur informiert, wenn er die angebotene Hilfe nicht annimmt. Das war in Hamburg aber noch nie notwendig. Der BÄK-Vorstand empfiehlt auch anderen Kammern solche "erprobten Konzepte".
Gute Erfahrungen der Hamburger Kammer
"Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine frühzeitige, offene und entschiedene Intervention der Kammer die Therapiebereitschaft Betroffener günstig beeinflussen kann", berichtet Priv.-Doz. Dr. med. Klaus-Heinrich Damm, Geschäftsführender Arzt der Hamburger Kammer. Motivierend wirke auch, wenn die Kammer einen Therapieplatz in einer Fachklinik vermitteln könne, die sich auf die Behandlung von Ärzten und Angehörigen vergleichbarer Berufe spezialisiert habe - zum Beispiel einen Platz in den Oberbergkliniken, mit denen die Hamburger eng zusammenarbeiten. Viele Patienten werden von den Ärztekammern dorthin geschickt, einige auch von den Kassenärztlichen Vereinigungen. Nach den Lehrern stellen die Ärzte in den Kliniken die größte Patientengruppe. Vielen fällt es schwer, sich in die ungewohnte Patientenrolle einzufinden. Zwar verfügten sie fachlich über eine hohe Kompetenz, erklärt Priv.-Doz. Dr. med. Friedhelm Stetter, Chefarzt der Oberbergklinik Extertal, doch das gehe einher mit einer besonders großen Angst, sich als Patient anderen anzuvertrauen. Das macht die Behandlung von suchtkranken Ärzten zu einer Herausforderung. "Sie sind in der Klinik, weil sie Hilfe brauchen, und nicht, weil sie sich unter Kollegen einmal über ihre Krankheit unterhalten wollen", sagt Stetter. Durch "Konsequenz in der therapeutischen Haltung" soll das mit den kranken Ärzten erarbeitet werden.
Nach sechs bis acht Wochen können die Patienten die Oberbergkliniken meist wieder verlassen. Anderswo sind vier Monate oder mehr die Regel. Im Normalfall hat die Therapie keine berufsrechtlichen Folgen für den Patienten. Auf Wunsch und mit Einverständnis des Betroffenen nehmen Mitarbeiter der Klinik schon während der stationären Behandlung Kontakt mit der Aufsichtsbehörde auf: bei Lehrern mit dem Schulamt, bei Ärzten mit dem Regierungspräsidenten. "Bisher gab es noch kein Amt, das nicht zur Zusammenarbeit bereit gewesen wäre", so Stetter. Ständiger Kontakt zur Behörde
"Zusammenarbeit" heißt: Nach seiner Entlassung informiert der Patient die Aufsichtsbehörde regelmäßig persönlich über seine Fortschritte. Die Therapie setzt er am Wohnort fort, zusätzlich geht er einmal pro Monat zur Kontrolluntersuchung in die Oberbergklinik. Den Befund bringt er danach selbst zur Behörde. "So bleibt er in der Verantwortung, gleichzeitig wird die Aufsicht nicht vernachlässigt", beschreibt Stetter die Vorteile der Methode. Auch rückfällige Patienten werden nicht von diesem Programm ausgeschlossen, sie müssen allerdings erneut stationär in die Klinik.
Mit ihrem Konzept erreichen Stetter und seine Kollegen bei alkoholkranken Ärzten langfristig Abstinenzquoten von 50 bis 60 Prozent. Die Suchtkranken haben also aus berufsrechtlicher und medizinischer Sicht gute Chancen, in den Beruf zurückzukehren. Ein Problem bleibt die Finanzierung der Therapie: Die BÄK fordert die ärztlichen Versorgungswerke zwar auf, die Kosten in voller Höhe zu übernehmen, aber nicht alle sind dazu bereit. "Manche Ärzte nehmen ihre Therapie auf, ohne zu wissen, wie viel Geld sie erstattet bekommen", sagt Stetter. Leichter mache das die Behandlung nicht. Alexandra Endres

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