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Alkoholkranke Ärzte: Die Existenz steht auf dem Spiel


Hilfe geht vor berufsrechtliche Sanktionen: Das ist der Grundsatz der Bundesärztekammer (BÄK), wenn es um
suchtkranke Ärzte geht. "Wir haben gegenüber unseren Mitgliedern in erster Linie eine Fürsorgepflicht", sagt
Dr. med. Frank Lehmann, BÄK-Referent im Dezernat für Fortbildung und Gesundheitsförderung. Das
Berufsrecht solle erst bemüht werden, wenn Gefahr für die Patienten besteht - zum Beispiel, wenn sich der
kranke Arzt weigert, in Therapie zu gehen.
Der Beruf ist ein Risikofaktor
Schätzungen zufolge sind in Deutschland sechs Prozent der Ärzte einmal im Leben von Hochprozentigem
abhängig und sieben bis acht Prozent generell suchtkrank. Für Durchschnittsbürger hingegen schätzt die
Ärztekammer Hamburg die Prävalenzrate auf drei Prozent. Die Ursachen für das hohe Suchtrisiko der Ärzte
liegen vor allem im Beruf. Viele Ärzte stellen zu hohe Anforderungen an sich selbst. Sie wollen dem Ideal des
selbstlos Helfenden entsprechen, der zu jeder Zeit mit maximalem Einsatz arbeitet. Überbelastung und Scheitern
sind so programmiert. Andere setzen sich unter emotionalen Druck, weil sie die Schicksale ihrer Patienten zu
nahe an sich heranlassen. Dazu kommen wirtschaftliche Belastungen.
Alkohol wird da leicht zum willkommenen Ventil; häufig kommt eine Medikamentensucht noch dazu. Pharmaka
sind für Ärzte leicht zu haben. Mit ihrer Wirkung kennen sie sich aus. Gerade deshalb unterschätzen die meisten
aber das Suchtpotential der Mittel.
Ein Arzt, der süchtig ist, will das meist nicht wahrhaben. Patienten scheuen sich ebenso wie Kollegen und
Angehörige, ihn auf seine Krankheit anzusprechen. Das Klischee vom unverwundbaren Helfer und der Glaube,
aufgrund des Medizinstudiums Suchtmittel im Griff zu haben, führen zur Verdrängung. Die Folge: Ärzte sind
länger süchtig als andere. Zehn Jahre kann der Unterschied betragen. Die Ärztekammer Hamburg spricht von
"prolongierten Krankheitsverläufen mit katastrophalen sozialen und körperlichen Folgewirkungen". Bei
Süchtigen aus Berufsgruppen mit hohem Sozialprestige ende die Krankheit erschreckend häufig mit dem
Selbstmord des Betroffenen. "Das dürfte auch für Ärzte zutreffen", stellt die Ärztekammer fest.
Die Approbation steht auf dem Spiel
Abhängige Ärzte, die eine Therapie zu lange hinauszögern, gefährden ihre berufliche Existenz. Auf dem Spiel
stehen Approbation und Zulassung als Kassenarzt: Wenn der Regierungspräsident beispielsweise erfährt, dass
ein Arzt bei einer Alkoholkontrolle aufgefallen ist, lässt die Behörde prüfen, ob er suchtkrank ist. Falls ja, wird
sie das sofortige Ruhen der Approbation anordnen oder ihm die Urkunde entziehen, etwa wenn er zu keiner
Therapie bereit ist. Wer als Kassenarzt zugelassen werden will, muss fünf Jahre lang ohne Suchtmittel
ausgekommen sein. Fällt er während seiner Praxistätigkeit auf, kann ihm die Kassenärztliche Vereinigung (KV)
die Zulassung entziehen.
Hilfe im Kampf gegen die Sucht finden abhängige Ärzte bei den Ärztekammern. Die Ärztekammer Hamburg
beispielsweise arbeitet seit sieben Jahren mit einem detaillierten Konzept. Über ein ausgefeiltes System von
Briefen - zunächst eher allgemein, dann in immer dringlicherem Ton gehalten - versucht sie, den kranken Arzt
zur Therapie zu bewegen. Die KV und der Regierungspräsident als approbationserteilende Stelle werden nur
informiert, wenn er die angebotene Hilfe nicht annimmt. Das war in Hamburg aber noch nie notwendig. Der
BÄK-Vorstand empfiehlt auch anderen Kammern solche "erprobten Konzepte".
Gute Erfahrungen der Hamburger Kammer
"Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine frühzeitige, offene und entschiedene Intervention der Kammer die
Therapiebereitschaft Betroffener günstig beeinflussen kann", berichtet Priv.-Doz. Dr. med. Klaus-Heinrich
Damm, Geschäftsführender Arzt der Hamburger Kammer. Motivierend wirke auch, wenn die Kammer einen
Therapieplatz in einer Fachklinik vermitteln könne, die sich auf die Behandlung von Ärzten und Angehörigen
vergleichbarer Berufe spezialisiert habe - zum Beispiel einen Platz in den Oberbergkliniken, mit denen die
Hamburger eng zusammenarbeiten. Viele Patienten werden von den Ärztekammern dorthin geschickt, einige
auch von den Kassenärztlichen Vereinigungen. Nach den Lehrern stellen die Ärzte in den Kliniken die größte
Patientengruppe.
Vielen fällt es schwer, sich in die ungewohnte Patientenrolle einzufinden. Zwar verfügten sie fachlich über eine
hohe Kompetenz, erklärt Priv.-Doz. Dr. med. Friedhelm Stetter, Chefarzt der Oberbergklinik Extertal, doch das
gehe einher mit einer besonders großen Angst, sich als Patient anderen anzuvertrauen. Das macht die
Behandlung von suchtkranken Ärzten zu einer Herausforderung. "Sie sind in der Klinik, weil sie Hilfe brauchen,
und nicht, weil sie sich unter Kollegen einmal über ihre Krankheit unterhalten wollen", sagt Stetter. Durch
"Konsequenz in der therapeutischen Haltung" soll das mit den kranken Ärzten erarbeitet werden.
Nach sechs bis acht Wochen können die Patienten die Oberbergkliniken meist wieder verlassen. Anderswo sind
vier Monate oder mehr die Regel. Im Normalfall hat die Therapie keine berufsrechtlichen Folgen für den
Patienten. Auf Wunsch und mit Einverständnis des Betroffenen nehmen Mitarbeiter der Klinik schon während
der stationären Behandlung Kontakt mit der Aufsichtsbehörde auf: bei Lehrern mit dem Schulamt, bei Ärzten
mit dem Regierungspräsidenten. "Bisher gab es noch kein Amt, das nicht zur Zusammenarbeit bereit gewesen
wäre", so Stetter.
Ständiger Kontakt zur Behörde
"Zusammenarbeit" heißt: Nach seiner Entlassung informiert der Patient die Aufsichtsbehörde regelmäßig
persönlich über seine Fortschritte. Die Therapie setzt er am Wohnort fort, zusätzlich geht er einmal pro Monat
zur Kontrolluntersuchung in die Oberbergklinik. Den Befund bringt er danach selbst zur Behörde. "So bleibt er
in der Verantwortung, gleichzeitig wird die Aufsicht nicht vernachlässigt", beschreibt Stetter die Vorteile der
Methode. Auch rückfällige Patienten werden nicht von diesem Programm ausgeschlossen, sie müssen allerdings
erneut stationär in die Klinik.
Mit ihrem Konzept erreichen Stetter und seine Kollegen bei alkoholkranken Ärzten langfristig Abstinenzquoten
von 50 bis 60 Prozent. Die Suchtkranken haben also aus berufsrechtlicher und medizinischer Sicht gute
Chancen, in den Beruf zurückzukehren. Ein Problem bleibt die Finanzierung der Therapie: Die BÄK fordert die
ärztlichen Versorgungswerke zwar auf, die Kosten in voller Höhe zu übernehmen, aber nicht alle sind dazu
bereit. "Manche Ärzte nehmen ihre Therapie auf, ohne zu wissen, wie viel Geld sie erstattet bekommen", sagt
Stetter. Leichter mache das die Behandlung nicht. Alexandra Endres
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