ArchivDeutsches Ärzteblatt18/2019Kraniopharyngeom: Vorteile des schonenden Vorgehens
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Das Kraniopharyngeom ist eine schwerwiegende und seltene Erkrankung. Wegen seiner Seltenheit war es schwierig, aussagekräftige Studien mit größerer Fallzahl durchzuführen. In diesem Heft wird nun eine solche große Studie vorgelegt (1). Längere Zeit war die radikale operative Therapie die bevorzugte Strategie bei der Behandlung des Kraniopharyngeoms, einer Tumorerkrankung der sellären Region. Im Vordergrund stand oft genug die möglichst vollständige Entfernung der Geschwulst. Fragen der Lebensqualität konnten dabei aus dem wissenschaftlichen Blickfeld geraten. Auch diesbezüglich setzt diese Studie Maßstäbe.

Bei radikaler Strategie ist das Risiko von Folgeschäden hoch. Mittlerweile kommt deshalb limitierten, Hypothalamus-schonenden chirurgischen Strategien mit anschließender Strahlentherapie zunehmende Bedeutung zu. Wie die Studie zeigt, weist auch die Selbstwahrnehmung der Lebensqualität durch die betroffenen Kinder auf Vorteile eines schonenden operativen Vorgehens hin. Sowohl die initiale Beteiligung als auch die therapiebedingte Läsion des posterioren Hypothalamus sind mit einer negativen Wahrnehmung der Lebensqualität verbunden. Die Läsion anteriorer Hypothalamusareale wirkt sich dagegen nicht so negativ auf die postoperative Lebensqualität aus. Ein weiterer wesentlicher Befund der Studie ist, dass sich auf der Grundlage der Selbsteinschätzung zur Lebensqualität der geeignete Zeitpunkt der postoperativen Strahlentherapie – direkt postoperativ oder bei Progression – nicht näher bestimmen lässt.

Entwicklung und gegenwärtige Praxis

Wegen ihrer Wachstumstendenz in einer kritischen Hirnregion müssen Kraniopharyngeome behandelt werden, weil sonst schwere und eventuell lebensbedrohliche Schäden drohen. Es gibt bisher keine medikamentösen Behandlungsoptionen. Die postoperative Strahlentherapie kann das Wachstum verlangsamen und ist weit verbreitet. Die operative Therapie des Kraniopharyngeoms ist entweder die transsphenoidale (transnasal über die Keilbeinhöhle) oder transkraniale (Schädeltrepanation) vollständige oder subtotale Resektion. Bei überwiegend zystischen Prozessen kommt auch eine wiederholte Zystenentleerung über implantierte Katheter infrage beziehungsweise die Shuntanlage, wenn ein Hydrocephalus nicht durch Tumorresektion allein ausreichend behandelt werden kann. Die ersten Berichte über größere operative Serien gehen auf Harvey Cushing Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, der die typischen gravierenden Symptome eingehend beschrieb, ebenso wie die operativen Risiken mit einer Mortalität von über 20 %. Cushing hat dann später zurückhaltender reseziert (2). Operative Standards und die größten Serien mit guten Ergebnissen und geringer Mortalität (1,1 % bei transkranialen primären, 0 % bei transsphenoidalen Eingriffen) bei Kindern und Erwachsenen wurden in den späten 1990er-Jahren aus der Erlanger Klinik von Rudolf Fahlbusch und Kollegen beschrieben (3). Ein besonderer Fokus dieser Arbeiten lag auf Tumorkontrolle, postoperativer Morbidität und Mortalität sowie endokrinologischer Symptomatik. Untersuchungen zum kindlichen Kraniopharyngeom und zu dessen interdisziplinärem Management wurden seit den 1990er-Jahren von Hermann L. Müller in Oldenburg koordiniert, unter anderem die „KRANIOPHARYNGEOM 2000“-Beobachtungsstudie (4, 5). Aufgrund der kontroversen Diskussion zu detaillierten Behandlungsstrategien wurde die Notwendigkeit einer prospektiven (teilrandomisierten) Studie „KRANIOPHARYNGEOM 2007“ abgeleitet, deren Teilergebnisse zur Lebensqualität hier vorgelegt werden.

Kraniopharyngeome haben behandelt mit circa 92 % eine hohe Zehn-Jahres-Überlebensrate, können aber aufgrund der krankheits- oder therapiebedingten Hypothalamusläsionen mit ganz erheblichen Symptomen und individueller Beeinträchtigung verbunden sein (3). Die bisher vorliegenden Arbeiten zeigen, dass vor allem die posteriore hypothalamische Beteiligung (sei es durch Tumorinfiltration oder operatives Trauma) zu schweren langfristigen Beeinträchtigungen, zum Beispiel zur Adipositas permagna, führt. Wegen der drohenden Spätfolgen und vielfältigen Herausforderungen im langfristigen Management der Patienten wird mittlerweile ganz überwiegend ein multidisziplinärer Therapieansatz verfolgt: So werden neben Pädiatern und Neurochirurgen auch Radiotherapeuten, Neuroradiologen, Endokrinologen oder Psychologen frühzeitig in ein multidisziplinäres Behandlungsteam integriert. Es wird dabei durchaus kontrovers diskutiert, welche spezielle Expertise für das Management dieser seltenen Erkrankung verlangt werden soll, nicht nur im Hinblick auf die neurochirurgische Operation. Bei Bereitstellung einiger weniger Therapiezentren sind die weiter entfernt lebenden Familien wegen der wiederholt erforderlichen oder länger dauernden Behandlung benachteiligt. Die Bildung von Netzwerken zum Austausch von Erfahrung ist hier vermutlich besser geeignet. Die Operation eines Kraniopharyngeoms erfordert nicht mehr „manuelle“ neurochirurgische Fähigkeiten als vergleichbare andere Tumor- oder Gefäßoperationen bei Kindern und Erwachsenen.

Zukünftige Strategien für Kraniopharyngeome

Die Beschreibung von empfundener Lebensqualität anhand von Lebenswirklichkeiten sollte eine zunehmend wichtige Rolle bei der Beurteilung medizinischer Behandlungen spielen. Oft sind diese Aspekte dafür entscheidend, ob eine Behandlung subjektiv vom Patienten als Erfolg oder Misserfolg wahrgenommen wird (6). Die Studie „Postoperative Lebensqualität bei Kindern und Jugendlichen mit Kraniopharyngeom“ kombiniert eine randomisierte Studie zum richtigen Zeitpunkt der postoperativen Strahlentherapie nach inkompletter Resektion mit einem Beobachtungsarm, in dem es um die Selbstwahrnehmung der Lebensqualität geht. Die Autoren haben den randomisierten Anfangsteil der Studie abgebrochen, weil nicht zu erwarten war, dass sich in Bezug auf die primäre Fragestellung – den geeigneten Zeitpunkt der Bestrahlung – noch Unterschiede gezeigt hätten („stop for futility“).

Die Autoren legen nun eine Registerstudie unter dem Dach der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie auf: „KRANIOPHARYNGEOM 2019“. Hier ist die multizentrische Erfassung aller Patienten mit Kraniopharyngeom geplant. Auch valide Langzeitergebnisse der Lebensqualität nach Strahlentherapie erfordern lange Beobachtungszeiträume. Hypothalamische Schäden sind bisher therapierefraktär; hier gilt es neue Ansätze zu Interventionen und zur Behandlung hypothalamischer Morbiditäten zu entwickeln. Dies ist wichtig, weil die hypothalamische Störung bei den meisten Patienten durch die präoperative Hypothalamus-Infiltration des Tumors bereits determiniert ist – und meist keine primäre Folge der Operation darstellt. Interessante und bislang wenig untersuchte Aspekte sind der Vergleich des Verlaufs kindlicher und adulter Kraniopharyngeome sowie histologischer Unterformen (adamantinös meist bei Kindern, papillär eher bei Erwachsenen). Daraus könnten sich gezielte Therapieformen ergeben (7, 8).

Interessenkonflikt
Prof. Clusmann erhielt ein Honorar von der Firma Medtronic für Beratung zur
intrakraniellen Laserablation.

Dr. Höllig erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten
eingereicht: 12. 4. 2019, revidierte Fassung angenommen: 17. 4. 2019

Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Hans Clusmann

Klinik für Neurochirurgie, RWTH Aachen University

Pauwelsstraße 30, 52074 Aachen

hclusmann@ukaachen.de

Zitierweise
Clusmann H, Höllig A: Craniopharyngioma: the benefits of a conservative approach. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 319–20. DOI: 10.3238/arztebl.2019.0319

►Die englische Version des Artikels ist online abrufbar unter:
www.aerzteblatt-international.de

1.
Eveslage M, Calaminus G, Warmuth-Metz M, et al.: The postoperative quality of life in children and adolescents with craniopharyngioma—results of a prospective, multicenter study. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 321– 8.
2.
Prieto R, Pascual JM, Barrios L: Harvey Cushing‘s craniopharyngioma treatment: Part 2. Surgical strategies and results of his pioneering series. J Neurosurg 2018: 1–15.
3.
Fahlbusch R, Honegger J, Paulus W, Huk W, Buchfelder M: Surgical treatment of craniopharyngiomas: experience with 168 patients. J Neurosurg 1999; 90: 237–50.
4.
Müller HL, et al.: Current strategies in diagnostics and endocrine treatment of patients with childhood craniopharyngioma during follow-up-recommendations in KRANIOPHARYNGEOM 2000. Onkologie 2005; 28: 150–6.
5.
Müller HL, Sorensen N: Kraniopharyngeom im Kindes- und Jugendalter. Dtsch Arztebl Int 2006; 103: A2634–A2640.
6.
Delev D, Wabbels B, Schramm J, et al.: Vision after trans-sylvian or temporobasal selective amygdalohippocampectomy: a prospective randomised trial. Acta Neurochir (Wien) 2016; 158: 1757–65.
7.
Brastianos PK, Taylor-Weiner A, Manley PE, et al.: Exome sequencing identifies BRAF mutations in papillary craniopharyngiomas. Nat Genet 2014; 46: 161–5.
8.
Buslei R, Nolde M, Hofmann B, et al.: Common mutations of beta-catenin in adamantinomatous craniopharyngiomas but not in other tumours originating from the sellar region. Acta Neuropathol 2005; 109: 589–97
Klinik für Neurochirurgie, Uniklinik RWTH Aachen:
Prof. Dr. med.
Hans Clusmann,
Dr. med.
Anke Höllig
1.Eveslage M, Calaminus G, Warmuth-Metz M, et al.: The postoperative quality of life in children and adolescents with craniopharyngioma—results of a prospective, multicenter study. Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 321– 8.
2. Prieto R, Pascual JM, Barrios L: Harvey Cushing‘s craniopharyngioma treatment: Part 2. Surgical strategies and results of his pioneering series. J Neurosurg 2018: 1–15.
3.Fahlbusch R, Honegger J, Paulus W, Huk W, Buchfelder M: Surgical treatment of craniopharyngiomas: experience with 168 patients. J Neurosurg 1999; 90: 237–50.
4. Müller HL, et al.: Current strategies in diagnostics and endocrine treatment of patients with childhood craniopharyngioma during follow-up-recommendations in KRANIOPHARYNGEOM 2000. Onkologie 2005; 28: 150–6.
5. Müller HL, Sorensen N: Kraniopharyngeom im Kindes- und Jugendalter. Dtsch Arztebl Int 2006; 103: A2634–A2640.
6.Delev D, Wabbels B, Schramm J, et al.: Vision after trans-sylvian or temporobasal selective amygdalohippocampectomy: a prospective randomised trial. Acta Neurochir (Wien) 2016; 158: 1757–65.
7. Brastianos PK, Taylor-Weiner A, Manley PE, et al.: Exome sequencing identifies BRAF mutations in papillary craniopharyngiomas. Nat Genet 2014; 46: 161–5.
8.Buslei R, Nolde M, Hofmann B, et al.: Common mutations of beta-catenin in adamantinomatous craniopharyngiomas but not in other tumours originating from the sellar region. Acta Neuropathol 2005; 109: 589–97

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