

Der Artikel betrifft ein interessantes und bisher wenig beachtetes Phänomen. Schon vor Jahren habe
ich im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Psychiater erfahren, dass die von uns Deutschen bei
Alkoholkranken geforderte totale Abstinenz bei französischen Psychiatern überhaupt nicht in Erwägung gezogen
werde, weil sie nicht durchsetzbar erscheint. Man sagte mir, die Patienten würden den Arzt für verrückt halten,
wenn er so etwas verlangen würde. Man praktiziere stattdessen mit Erfolg den Vorschlag eines sozial
kontrollierten und verminderten Alkoholgenusses. Ich hatte als Patienten viele französische in Berlin stationierte
Offiziere, die den Militärpsychiater nicht aufsuchten, weil sie bei Bekanntwerden ihrer Alkoholprobleme soziale
und berufliche Nachteile erwarteten. Sie zogen ihre Uniform nach dem Dienst aus und kamen zu mir zur
Behandlung. Sie bestätigten, dass das Ablehnen von Aperitif oder Wein im Offizierskasino höchstens mal ein
paar Tage und bei einer akuten Erkrankung möglich sei. Ich habe mit großem Erfolg mit ihnen vereinbart, dass
sie nur dort trinken sollten, wenn es gesellschaftlich unumgänglich und durch Anwesenheit anderer Personen
sozial kontrolliert wird, niemals alleine, niemals in größeren Mengen.
Dr. med. Hartmut Klemm, Münchener Straße 48, 10779 Berlin
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