POLITIK: Medizinreport
Mobiltelefone und Krebs: Bisher ist keine endgültige Bewertung möglich


Anfang der 90er-Jahre ging eine Nachricht um die Welt, welche die Besitzer von Funktelefonen aufhorchen ließ.
Es war im Februar 1993, als ein US-Amerikaner in einer CNN-Fernsehshow und bei einer parlamentarischen
Anhörung vor dem amerikanischen Kongress behauptet hat, dass seine Frau an einem Gehirntumor gestorben
sei, der durch Funkwellen aus dem Handy ausgelöst worden sei. Der Tumor sei hinter dem Ohr gewachsen, also
genau an der Stelle, wo seine Frau das Telefon immer gehalten hatte.
US-Wissenschaftler hatten damals erklärt, es sei nicht auszuschließen, dass Funkwellen von drahtlosen
Telefonen Krebs auslösen könnten. Das National Cancer Institute und die Food and Drug Administration rieten
in der Konsequenz prompt zum vorsichtigen Gebrauch von Funktelefonen. Seither wird die Frage immer wieder
laut: Können Handys Krebs im Kopfbereich auslösen? Wissenschaftler gehen ihr bis heute nach.
Das bisherige Ergebnis der Studien zu dieser Problematik lautet: Bis auf einige wenige vereinzelte Hinweise auf
ein höheres Risiko für Gehirn- sowie Kopf-Hals-Tumoren durch elektromagnetische Felder, die von den Handys
ausstrahlen, ist auf der vorliegenden Datenbasis noch keine endgültige Risikobewertung möglich. Diese
Zwischenbilanz zogen jetzt Experten aus aller Welt bei einem internationalen Workshop am Deutschen
Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Die Zusammenkunft hatte das Ziel, eine von der WHO
organisierte Fall-Kontroll-Studie mit 13 teilnehmenden Ländern zur Frage des Zusammenhangs zwischen
"Mobiltelefonbenutzung und Gehirn- sowie Kopf- und Halstumoren" auf den Weg zu bringen.
Zum Hintergrund: Handys senden wie alle stromführenden Geräte elektromagnetische Wellen aus, wobei die bei
den Handys benutzten Frequenzen zunächst einmal Wärme erzeugen. Die Erwärmung der Gehirnzellen im
Bereich des elektromagnetischen Feldes beträgt nach Untersuchungen aber höchstens 0,3 Grad Celsius. Die
Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese minimale Erwärmung die Zellen nicht zu einer unkontrollierten
Teilung und damit zum Krebswachstum anstoßen kann.
Bei den Handys fließen zudem auch hochfrequente Sendeenergien. Sie liegen bei D-Netzen im Bereich von 900
und bei E-Netzen um 1 800 Megahertz. Diese werden zusätzlich mit 217 Hertz gepulst, was nichts anderes
bedeutet, als dass die Sendeenergie 217-mal in der Sekunde ein- und ausgeschaltet wird. Die Experten in
Heidelberg fassten den Erkenntnisstand zur Frage einer Krebsgefährdung durch hochfrequente Strahlung so
zusammen: "Ein biologischer Mechanismus, in welcher Weise Hochfrequenzstrahlung die Tumorentstehung
oder das Tumorwachstum beeinflussen könnte, konnte bisher noch nicht nachgewiesen werden."
Geringe Fallzahlen
Australische Tierversuche an zwölf Mäusen, die extrem hohen Sendeenergien ausgesetzt worden sind und
vermehrt Leukämien entwickelt hatten, seien schon wegen der extrem hohen Strahlendosen auf den Menschen
nicht zu übertragen. Eher denkbar wäre es nach Auffassung der Fachleute, dass möglicherweise im Entstehen
begriffene Tumoren durch elektromagnetische Wellen in ihrem Wachstum beschleunigt werden könnten. Doch
auch diese Vermutung ist bislang nicht mehr als eine Hypothese. Auf dem Hintergrund der noch zu geringen
Fallzahlen für eine exakte Risikoeinschätzung und der bestehenden Unsicherheit in der Bevölkerung sowie des
Handybooms wird nun eine neue internationale Studie aufgelegt.
Dr. Klaus Schlaefer von der Arbeitsgruppe Umweltepidemiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum -
Mitarbeiter in einer der drei deutschen Studiengruppen - verweist darauf, dass es allein in Deutschland 20
Millionen Handy-Nutzer gibt, deren Zahl nach Weihnachten noch einmal um einige Millionen angewachsen sein
dürfte. Weltweit wird die Zahl der Handy-Besitzer auf 350 Millionen geschätzt. Prognosen sagen voraus, dass in
zehn bis spätestens 15 Jahren praktisch jeder über ein Handy verfügen und netzfrei telefonieren kann.
All dies sind in den Augen der Krebsforscher triftige Gründe, um die Frage der Krebsgefährlichkeit, die von
Handys ausgehen könnte, anhand einer großen Fall-Kontroll-Studie zu beantworten suchen, zumal man davon
ausgehen müsse, dass möglicherweise die Benutzerzeit von Handys bislang noch zu kurz gewesen sei, um einen
Effekt - so er existiert - nachweisen zu können, gibt Schlaefer zu bedenken. Überdies könnten bisherige
Untersuchungsergebnisse wie etwa aus den USA oder aus Schweden nur schwer auf Deutschland übertragen
werden, da dort häufig analoge Telefone mit anderen Strahlungsfrequenzen in die Studien einbezogen worden
seien, während hierzulande eher die digitale Technik vorherrsche.
An der Studie sind die Länder Kanada, USA, Neuseeland, Australien, Israel, Dänemark, Finnland, Frankreich,
Großbritannien, Italien, Norwegen, Schweden und Deutschland beteiligt. Darin sollen insgesamt 6 000 Fälle von
Hirntumoren wie Gliome und Meningeome, 1 000 Parotistumoren und 1 500 Leukämiefälle gesammelt werden.
In Deutschland sollen in den nächsten drei Jahren pro Jahr 600 Tumorpatienten und die gleiche Anzahl gesunder
Kontrollpersonen erfasst werden.
Die Patienten mit den Zieltumoren und die Kontrollpersonen werden danach befragt, ob, seit wann und wie oft
sie Handys benutzen, welche Modelle sie besitzen und welche Kopfseite sie für den Hörer bevorzugen. Erhoben
werden ferner soziodemographische Daten wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand und privates Umfeld, Daten zu
einer möglichen Berufsexposition mit anderen Strahlenquellen und eine medizinische Anamnese wie etwa die
Zahl diagnostischer oder therapeutischer Bestrahlungen.
In Deutschland sind die Arbeitsgruppen "Umweltepidemiologie" am DKFZ unter der Leitung von Prof. Jürgen
Wahrendorf, "Epidemiologie und Medizinische Statistik" der Universität Bielefeld unter Prof. Maria Blettner
und das "Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation" der Universität Mainz unter Prof. Jörg
Michaelis beteiligt. Koordinator der Internationalen Studie ist die International Agency for Research and
Cancer, Lyon. Sie wird von der EU und Industrieunternehmen unterstützt. Mit ersten validen Ergebnissen
rechnet man im Jahre 2003.
Eines lässt sich nach dem heutigen Wissensstand über die Gefährlichkeit von Handys immerhin schon definitiv
sagen: Telefoniert man während des Autofahrens, so ist die Unfallgefahr um das Sechsfache erhöht, wie der
amerikanische Epidemiologe Kenneth Rothman in Heidelberg berichtete. Ingeborg Bördlein
Handys senden elektromagnetische Wellen aus, die im Feldbereich zu einer minimalen Erwärmung führen.
Foto: Nino Mascardi/Image Bank