POLITIK
Digitale Anwendungen: Der Weg der Apps in die Versorgung


Mit dem Gesetz zur Digitalen Versorgung bringt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sein lang angekündigtes Digitalgesetz in die parlamentarische Beratung. Ein Teil fehlt allerdings: Bestimmungen zur elektronischen Patientenakte sollen in einem weiteren Gesetz geregelt werden. Die Beratungen im Bundestag starten im Herbst.
Apps auf Rezept in der vertragsärztlichen Versorgung: Mit dem „Digitale Versorgungsgesetz“ (DVG) soll dieses Vorhaben künftig erleichtert werden. Das Gesetz aus dem Hause von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist Anfang Juli vom Kabinett beschlossen worden. Neben den Regelungen, wie Ärztinnen und Ärzte ihren Patienten künftig Apps verschreiben können, regelt das Gesetz zudem wie diese Anwendungen auf einem zügigen Zulassungsweg in die Versorgung kommen sollen.
Für Arztpraxen enthält der Text weitere Regelungen und Sanktionen zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) und kündigt eine geringere Finanzierung für das Versenden von Arztbriefen per Fax an. Praxen, die bis Ende März 2020 weiterhin nicht an die TI angeschlossen sind, müssen mit einem Honorarabzug von 2,5 Prozent rechnen. Für das Versenden eines Faxes sollen neue Vergütungen im EBM erfolgen, und in zwei Schritten „deutlich reduziert werden“. Ein weiterer Auftrag an den Bewertungsausschuss: Die Selbstverwaltung aus Ärzten und Krankenkassen soll für die telemedizinischen Sprechstunden Honorare festlegen. Künftig sollen auch Arztpraxen auf ihren Webseiten für ihre digitalen Angebote werben dürfen.
Keine Karteikarten mehr
„Die Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen wird abgelöst durch digitale Lösungen“, sagte Spahn nach Beschluss des Gesetzes durch das Kabinett in Berlin. Neben Arztpraxen sollen zügig auch Apotheken und Krankenhäuser an die TI angeschlossen werden. Für Physiotherapeuten, Hebammen und Pflegeheime soll dieser Anschluss zunächst freiwillig gelten.
Spahn zeigte sich überzeugt, dass die neuen digitalen Angebote, die mit dem Gesetz den gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen sollen, auch die medizinische Versorgung verändern werden. „Ich bin mir sicher, dass der Patient von morgen immer noch einen Arzt brauchen wird, aber keinen Arzt mehr, der mit Karteikarten arbeitet“, so der Minister. Er setzt darauf, dass es durch die Digitalisierung auch weniger Zeitverluste in der Versorgung gibt.
Das DVG wurde zunächst ohne die Bestimmungen zur elektronischen Patientenakte beschlossen. Diese waren im ersten Referentenentwurf des Gesetzes Mitte Mai noch enthalten. Dazu zählen auch Regelungen zum digitalen Impfausweis sowie Mutterpass. Allerdings gab es wegen Regelungen zum Datenschutz offenbar Bedenken des Bundesjustizministeriums. Spahn erklärte dazu: „Da es sich bei Gesundheitsdaten um sehr sensible Daten handelt, haben wir uns entschieden, ein eigenes Datenschutzgesetz für die elektronische Patientenakte vorzulegen.“ Dies solle ebenfalls zügig kommen, „damit wir im Herbst eine Regelung haben.“ Auf Nachfrage betonte Spahn, dass „zusammen mit dem Justizministerium einige Passagen besser verständlich, besser lesbar und in einer in sich logischen Zusammensetzung noch mal überarbeitet“ werden sollen.
Der Beschluss der Gesellschafterversammlung der gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte aus dem Dezember 2018, der festlegt, dass zum Start der elektronischen Patientenakte Versicherte noch keine direkten Zuweisungen der Inhalte bezogen auf einzelne Ärzte durchführen können, habe weiter Bestand, so Spahn. Man arbeite aber daran, dass auch dies schnell geändert werde. Krankenkassen müssen laut dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ab dem 1. Januar 2021 ihren Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) anbieten. Das DVG streicht jetzt den Passus von 2003, dass Krankenkassen ihren Versicherten eine Akte eines Drittanbieters erstatten können.
Nach dem Beschluss des Gesetzes durch das Kabinett folgt nun die parlamentarische Beratung im Deutschen Bundestag, die im Herbst starten wird. Erste Reaktionen der Gesundheitspolitiker sowie Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen zeigen den Weg der Diskussion: So erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, es als „dringend notwendig“, dass „digitale Gesundheitsanwendungen den Bürgerinnen und Bürgern zügiger als bisher verfügbar gemacht werden.“ Die Ankündigung, zeitnah ein weiteres Gesetz zur Integration von digitalen Daten in die Akte vorzulegen, begrüßte sie.
Auch aus der SPD hieß es dazu, dass es richtig sei, nun „brauchbare und datenschutzkonforme Regelungen“ zu schaffen. „Mit dem bisherigen Kuddelmuddel muss Schluss sein“, sagte Dirk Heidenblut, Digitalexperte der SPD-Fraktion und Mitglied im Gesundheitsausschuss. „Ich bin dem Justizministerium sehr dankbar, dass nun gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium an einer rechtlich sauberen Lösung gearbeitet wird.“
Kritik der Opposition
Kritischer sehen das Gesetz die drei Oppositionsparteien: „Spahn kocht ohne Rezept“, schreibt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, dazu, dass es generell noch keine Strategie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen gebe. Als eine „Goldgrube für die IT-Industrie“ sieht die Linke im Bundestag das vorgelegte Gesetz. Abgeordneter Achim Kessler befürchtet nach „Mondpreisen für Arzneimittel“ nun ähnliches bei Apps. Laut Gesetz sollen App-Anbieter im ersten Jahr ohne Nachweis freie Preise verlangen können, die von den Krankenkassen erstattet werden. Erst im zweiten Jahr in der Versorgung müssen entsprechende Studien vorliegen, dass die Anwendung die Versorgung wirklich verbessern kann. Als einen „ersten richtigen Schritt“ bewertete die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, den Gesetzesentwurf. Sie warnt: „Beim Anschluss an die TI muss Spahn jedoch mehr auf die Akteure eingehen. Anstelle von Sanktionen wären Anreizsysteme wünschenswert.“
Kritik von Ärzten und Kassen
Kritische Bewertungen gab es im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses auch aus der Ärzteschaft: So warnte die Kassenärztliche Bundesvereinigung vor zusätzlicher Bürokratie und Kosten für die Praxen. Kritisch wird in einer Stellungnahme auch der geplante Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen betrachtet. Für die Bundesärztekammer (BÄK) muss bei der Aufstellung einer Liste der erstattungsfähigen Apps dringend ärztlicher Sachverstand berücksichtigt werden. Auch die Ideen, Krankenkassen als „Treiber für digitale Versorgungsinnovationen“ zu stärken, bewertet die BÄK kritisch: Individuelle Versorgungsbedarfe seien nur nach gründlicher ärztlicher Anamnese möglich.
Die Krankenkassen bewerten den Gesetzesentwurf unterschiedlich. Zwar wird der Text begrüßt. Über Details müsse aber diskutiert werden: Die Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), Ulrike Elsner, fordert, dass der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Bewertung von medizinischen Apps eine wichtigere Rolle spielen sollte. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, sieht die Krankenkassen bei Apps vor einem „hohen Kostenrisiko, während der Nutzen für die Patienten völlig unklar ist und sie schlimmstenfalls neuen Risiken ausgesetzt werden.“
Für die Techniker Krankenkasse, die mit ihrer elektronischen Gesundheitsakte „TK-Safe“ inzwischen nach eigenen Angaben mehr als 100 000 Nutzer hat, ist es wichtig, dass „bei der Patientenakte nicht die gleichen Fehler passieren wie bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte“, sagte TK-Chef Jens Baas. „Datensicherheit und die Datensouveränität der Versicherten müssen Priorität haben.“ Rebecca Beerheide
Zeitplan Digitales Versorgungsgesetz
Die Beratungen im Deutschen Bundestag starten im Herbst 2019. Das Gesetz sieht folgenden Zeitplan vor:
Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI)
- bis 30. September 2020: Apotheken
- bis Januar 2021: Krankenhäuser
- Sanktionen ab März 2020 für die TI-Verweigerer unter den Vertragsärzten: Honorarkürzung von 2,5 Prozent
- Vertragsärzte müssen bis 30. Juni 2021 nachweisen, dass sie über die für den Zugriff auf die elektronische Patientenakte (ePa) nötigen Komponenten und Dienste verfügen, sonst wird die Vergütung pauschal um ein Prozent gekürzt.
- Krankenhäusern droht ab dem 1. Januar 2022 ein Abschlag von einem Prozent des Rechnungsbetrags für jeden voll- und teilstationären Fall, wenn sie sich nicht fristgerecht an die TI angeschlossen haben.
IT-Sicherheit
- Kassenärztliche Vereinigungen müssen bis zum 31. März 2020 die IT-Sicherheitsanforderungen in der vertragsärztlichen Versorgung in einer Richtlinie festlegen.
Einbindung der Pflege
- Ab 1. Juli 2020 erhalten stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen, die sich an die TI anschließen, die dafür erforderlichen Anschluss- und Betriebskosten in der gleichen Höhe erstattet wie der ambulante ärztliche Bereich.
- Ein Modellprogramm von 2020 bis 2022 soll zur wissenschaftlichen Evaluation der Einbindung der Pflegeeinrichtungen in die TI gestartet werden und dazu beitragen, die notwendigen Grundlagen für bundesweite Vereinbarungen und Standards zu schaffen. KBr
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