ArchivDeutsches Ärzteblatt39/2019Risiko der HIV-Übertragung bei homosexuellen Paaren: Keine Ansteckung durch ungeschützten Sex bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

MEDIZINREPORT: Studien im Fokus

Risiko der HIV-Übertragung bei homosexuellen Paaren: Keine Ansteckung durch ungeschützten Sex bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

Warpakowski, Andrea

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Foto: Ezume Images/stock.adobe.com
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In der prospektiven Beobachtungsstudie PARTNER ging es um die Frage, wie hoch das HIV-Ansteckungsrisiko bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr zwischen diskordanten Paaren ist. In der 1. Phase (PARTNER-1) von September 2010 und Mai 2014 wurden in 14 europäischen Ländern, darunter Deutschland, 548 heterosexuelle und 340 homosexuelle diskordante Paare rekrutiert. Die Viruslast des HIV-positiven Partners musste in den 12 Monaten vor Einschluss unter der Nachweisgrenze von < 200 HIV-RNA-Kopien/mL gelegen haben. Es trat keine HIV-Transmission vom gut behandelten HIV-positiven auf den HIV-negativen Partner durch ungeschützten Sex auf. Da mehr heterosexuelle Paare teilgenommen hatten, wurden in der 2. Studienphase (PARTNER-2) zwischen Juni 2014 und Juli 2018 nur homosexuelle Paare rekrutiert.

Ausgewertet werden konnten 1 593 Beobachtungsjahre von 783 homosexuellen Paaren nach median 2 Jahren. Von der Analyse ausgeschlossen waren Paare, die sich trennten, Zeiten mit Post- oder Präexpositionsprophylaxe, Phasen von Sex mit Kondom oder eine Viruslast von > 200/mL. Die homosexuellen Paare berichteten über 76 088 Mal kondomlosen Analsex. 288 der HIV-negativen Partner (37 %) hatten kondomlosen Sex auch mit anderen Männern. Es traten 15 neue HIV-Infektionen auf, von denen kein Virus phylogenetisch zum jeweils antiretroviral behandelten Partner passte. Das Risiko für eine HIV-Transmission war für die homosexuellen Paare 0, das Konfidenzintervall lag bei 0,23/100 Paar-Beobachtungsjahre und war damit sogar niedriger als für die heterosexuellen Paare aus PARTNER-1. Auch bei Auftreten anderer sexuell übertragbarer Infektionen oder einer transienten Virämie mit bis zu 200 HIV-RNA-Kopien/mL ließ sich keine HIV-Transmission feststellen.

Fazit: Weder bei hetero- noch bei homosexuellen HIV-diskordanten Paaren wird über kondomlosen Sex HIV übertragen, wenn der HIV-positive Partner unter einer antiretroviralen Therapie virologisch gut supprimiert ist. „Diese Ergebnisse haben erhebliche Bedeutung, da sie individuell von der Angst befreien können, den Partner zu infizieren, aber auch im forensischen Kontext relevant sind“, kommentiert Prof. Dr. med. Jürgen Rockstroh, Bonn. „Dass eine wirksame antiretrovirale Therapie vor einer sexuellen HIV-Übertragung schützt, war für diskordante heterosexuelle Paare bereits eindrücklich in der HPTN-052-Studie und der PARTNER-1-Studie belegt worden. Kritiker wiesen aber darauf hin, dass der Schutz vor einer HIV-Transmission durch nachweislich unter HIV-Therapie erreichte Kontrolle der HIV-Vermehrung und bei nicht mehr nachweisbarer Viruslast sich nicht ohne Weiteres auf Männer übertragen lasse, die Sex mit Männern haben, vor allem bei ungeschütztem Analverkehr. Dieser Einwand ist durch die aktuelle Auswertung der PARTNER-Studie zu den homosexuellen Paaren nun eindeutig widerlegt.“

Auf Basis von Studienergebnissen zum Risiko einer HIV-Ansteckung unter laufender antiretroviraler Therapie habe sich die Initiative U = U für „Undetectable = Untransmissable“ gebildet. Hunderte Organisationen, darunter die amerikanische Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), hätten sich der Kampagne angeschlossen. Andrea Warpakowski

Rodger AJ, Cambiano V, Bruun T, et al.: Risk of HIV transmission through condomless sex in serodifferent gay couples with the HIV-positive partner taking suppressive antiretroviral therapy (PARTNER): final results of a multicenter, prospective, obeservational study. Lancet 2019; 393: 2428–38.

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