THEMEN DER ZEIT
Krankenhaus: Lebensbedrohliche Einsatzlagen
; ; ; ; ;


Terroristische Anschläge oder Amoktaten stellen Krankenhäuser vor große Herausforderungen. Experten haben Maßnahmen in zehn Bereichen definiert, die Krankenhäuser umsetzen sollten, um sich auf solche Ereignisse vorzubereiten.
Terroristische Anschläge, Amoktaten oder andere Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LebEL) stellen nicht nur alle Einsatzkräfte der polizeilichen und der nicht polizeilichen Gefahrenabwehr vor extreme Herausforderungen. Auch die Krankenhäuser sind mit außergewöhnlichen Anforderungen konfrontiert (1–4).
Bei LebEL kommt es je nach Art des Anschlages in den meisten Fällen zu einem Massenanfall von Verletzten (MANV). Hierbei wird primär die Versorgungskapazität des Krankenhauses akut überlastet (5–7). Wird das Krankenhaus selbst zum Ziel eines Anschlages, zum Beispiel infolge eines Sprengstoffanschlages auf das Krankenhaus oder durch den Angriff eines bewaffneten Täters im Krankenhaus, steigt die Komplexität des Schadensereignisses für das Krankenhaus, da eine akute Gefährdung des Personals, der Patienten und Besucher sowie der Infrastruktur des Krankenhauses gegeben ist (8). Bei der Vorbereitung auf solche Ereignisse müssen entsprechende Schutzziele definiert und Maßnahmen ergriffen werden, um diese zu erreichen. Oberstes Ziel ist eine medizinische Versorgung möglichst vieler Patienten unter Beachtung des Schutzes des Personals und der Krankenhausinfrastruktur.
Nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien in den Jahren 2015 und 2016 wurden auch in Deutschland mehrere Terroranschläge und ein folgenschwerer Amoklauf verübt. Im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) übernahm das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Planung und Durchführung eines strukturierten Auswerteprozesses, um die jüngsten Anschläge in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern zu analysieren und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse für das präklinische Management von LebEL (9) befasst sich die hier vorgestellte Arbeit mit den Konsequenzen für die Vorbereitung der Krankenhäuser auf eine solche Lage. Die präsentierten Ergebnisse wurden in enger Zusammenarbeit mit benannten Vertretern der an der Bewältigung von LebEL beteiligten Organisationen und Institutionen erarbeitet.
Besonderheiten für Krankenhäuser bei Lebensbedrohlichen Einsatzlagen: Krankenhäuser werden in der Frühphase des Ereignisses ein unklares Lagebild haben. Im Unterschied zu konventionellen MANV-Ereignissen muss – bis zur eindeutigen Bestätigung eines abgeschlossenen Ereignisses – von einem dynamischen und andauernden Schadensereignis ausgegangen werden. Für Krankenhäuser selbst besteht die Gefahr, Ziel eines Anschlages zu werden. Dies ist primär, aber auch sekundär, durch die Einlieferung von unerkannten Tätern im Sinne eines sogenannten Second Hit möglich.
Aufgrund der Bedrohungslage ändern sich die taktische Vorgehensweise und die medizinische Versorgung der Patienten vor Ort. Bei einem Großschadensereignis ohne Bedrohung der Einsatzkräfte wird eine priorisierte und möglichst geordnete Verteilung der Patienten auf die zur Verfügung stehenden Krankenhäuser vorgenommen. Bei einer LebEL ist mit einem unkoordinierten Patientenzustrom vom Schadensort in die Krankenhäuser zu rechnen. Krankenhäuser müssen mit einem schnellen Abtransport der Patienten vom Schadensort und einem sehr schnellen Anstieg der Patientenzahlen rechnen. Dies gilt vor allem auch für die Patienten mit den schwersten Verletzungen. Die Verletzungsmuster unterscheiden sich von denen eines konventionellen MANV. Insbesondere ist mit penetrierenden, blutenden Verletzungen durch Schuss- oder Stichwaffen zu rechnen (6, 10). Darüber hinaus muss mit Verletzungen durch Kraftfahrzeuge, Explosionen, Verbrennungen oder auch durch CBRN-Gefahrstoffe gerechnet werden.
Medizinische Versorgung: Wichtigste Voraussetzung zur Bewältigung eines MANV im Rahmen eines Terroranschlags ist das Vorhandensein eines funktionierenden und umfassenden Krankenhaus Alarm- und Einsatzplanes (KAEP). Ziel der Organisation der medizinischen Versorgung ist es, die Behandlungskapazität an den gesteigerten Bedarf anzupassen. Dies gilt für den konventionellen MANV wie auch für den MANV nach einer LebEL gleichermaßen. Um dies zu erreichen, gibt es wichtige Maßnahmen und Voraussetzungen, die im Kasten 1 dargestellt sind.
Patienten, die im Rahmen eines MANV in ein Krankenhaus eingeliefert werden, müssen gesichtet und nach den Sichtungskategorien entsprechend der Behandlungsdringlichkeit kategorisiert werden. Es erfolgen dann die Verlegung und Weiterbehandlung in den entsprechend gekennzeichneten Bereichen. Sind mehrere Patienten der Sichtungskategorie I Rot gleichzeitig im Behandlungsbereich Rot, so wird eine Priorisierung der erforderlichen Maßnahmen innerhalb dieser Patientengruppe in Bezug auf die Gesamtlage erforderlich. Im Anschluss an die Priorisierung müssen die Patienten gemäß ihrer Priorität im Gesamtbild der Lage und der medizinischen Erfordernisse für die erforderliche Therapie disponiert werden. Dies beinhaltet die Bereitstellung personeller, räumlicher und materieller Ressourcen. Nach der Disposition erfolgt die Realisierung der festgelegten Therapie durch das jeweilige Behandlungsteam. Nach Abschluss der auf das Überleben fokussierten Therapie steht das Behandlungsteam für weitere Aufgaben wieder zur Verfügung. Die Grundvoraussetzung für die Fokussierung der Behandlung ist die Sichtung mit nachfolgender Kategorisierung. Hierfür ist ein verantwortlicher Arzt vorzusehen. Für diesen Verantwortungsbereich kann der Begriff LArS (Leitender Arzt der Sichtung) verwendet werden.
Für den Kernprozess der medizinischen Versorgung (Priorisieren – Disponieren – Realisieren) ist ebenfalls ein qualifizierter Arzt einzuteilen. Hierfür kann der Begriff ZONK (Zentraler operativer Notfallkoordinator) genutzt werden. Er verantwortet fachlich medizinisch den Kernprozess der medizinischen Versorgung.
Die operative Einsatzleitung (auch medizinische Einsatzleitung genannt) organisiert und verantwortet das Funktionieren des Krankenhauses unter der Fokussierung auf den erforderlichen Kernprozess der medizinischen Versorgung. Die operative Einsatzleitung hat die Gesamtverantwortung des Einsatzes bis zur Übernahme der Gesamtverantwortung durch die Krankenhauseinsatzleitung (KEL) (11).
Sicherheit: Krankenhäuser sind für die Ausarbeitung und Umsetzung von Sicherheitskonzepten grundsätzlich selbst verantwortlich. Im Vorfeld ist zu prüfen, ob bestehende allgemeine Sicherheitskonzepte angewendet werden können oder ergänzt und erweitert werden müssen. Ein alltäglich angewandtes Sicherheitskonzept ist die Basis für die bestmögliche Sicherheit während einer LebEL. Eine solche Lage bindet Polizeikräfte vor Ort in einem Ausmaß, dass für den Schutz von Krankenhäusern insbesondere am Beginn der Einsatzlage keine beziehungsweise nur begrenzte polizeilichen Kräfte zur Verfügung stehen. Regelmäßige Sicherheitsinspektionen können dazu beitragen, Krankenhäuser auch schon im Alltag, zum Beispiel im Rahmen einer Verhinderung von Diebstählen, sicherer zu machen.
Das Sicherheitskonzept eines Krankenhauses sollte zweistufig sein. Die erste Stufe beinhaltet grundlegende Sicherheitskonzepte wie den Brandschutz, die IT-Sicherheit oder die Vergabe von Zugangsberechtigungen. Die zweite Stufe umfasst Eskalationskonzepte, die im Schadensfall zur Anwendung kommen. Hierzu gehörende Elemente sind in Kasten 2 dargestellt.
Bei der Festlegung des Sichtungsplatzes sollte bedacht werden, dass sich unter den eingelieferten Patienten auch nicht erkannte Täter und/oder bewaffnete Einsatzkräfte befinden können. Es muss unter allen Umständen vermieden werden, dass Explosivstoffe, zum Beispiel Sprengstoffwesten oder -gürtel, und/oder Waffen wie Messer oder Schusswaffen in das Krankenhaus gelangen. Daher sollte der Sichtungsplatz möglichst vor dem Krankenhaus oder in einem Bereich des Krankenhauses sein, der eine Zugangskontrolle erlaubt. Damit kann die Gefahr des Eindringens des bewaffneten Täters in die kritische Infrastruktur Krankenhaus zumindest reduziert werden. Bei der Auswahl des Sichtungsplatzes sollte auch eine mögliche Explosion mit betrachtet werden, um Schadensauswirkungen am Gebäude so gering wie möglich zu halten.
Grundsätzlich sollten Gepäckstücke von Patienten am Schadens-ort verbleiben. Da nicht auszuschließen ist, dass Patienten bei ihrer Einlieferung trotzdem Gepäckstücke, Taschen, Rucksäcke oder Ähnliches mitführen, sollte möglichst abgesetzt vom Krankenhaus eine Gepäckablage eingerichtet werden, in der solche Gegenstände verwahrt werden. Insbesondere bei Selbsteinweisern ist damit zu rechnen, dass die oben genannten Gegenstände mitgeführt werden. Das Thema Sicherheit sollte mit der zuständigen Polizei vor Ort regelmäßig besprochen und Planungen abgestimmt werden.
Ressourcen (Bedarf, Verfügbarkeit und Verteilung): Als eine allgemeine Planungsgröße kann gelten, dass ein Krankenhaus unter maximaler Ausschöpfung seiner Möglichkeiten in der Lage sein sollte, in einer LebEL eine Anzahl von Patienten zu versorgen, die zehn Prozent seiner Bettenzahl entspricht. Das würde für ein Krankenhaus mit 1 000 Betten die Anzahl von 100 Patienten bedeuten. Hierbei ist zu beachten, dass es sich um das gesamte Spektrum aus Patienten der Sichtungskategorien SK I Rot, SK II Gelb und SK III Grün handelt. Es sollte ein Anteil von SK-I–Patienten von 15 bis 20 Prozent angenommen werden (10). Wichtig ist eine solche Planungsgröße, um objektiv und nachvollziehbar entsprechende Ressourcenengpässe zu ermitteln.
Ein entscheidendes Ziel zur Bewältigung eines Schadensereignisses ist es, die Behandlungskapazität an den akut erhöhten Bedarf anzupassen. Hierzu ist es für die KEL essenziell, den Behandlungsbedarf und die verfügbaren Ressourcen zu kennen. Da beides der Lagedynamik unterliegt, ist die KEL in besonderem Maße auf die Aktualität des Lagebildes und die aktuelle Beurteilung der eigenen Lage angewiesen. Die eigene Lage ergibt sich aus den verfügbaren personellen, räumlichen und materiellen Ressourcen. Derzeit gibt es kein evaluiertes und funktionierendes Werkzeug zur automatisierten Erfassung und Darstellung dieser Bilanz. Es ist ein zentrales Ergebnis des Auswertungsprozesses, dass hieran in den nächsten Jahren gearbeitet werden muss. Maßnahmen zur Lenkung von Personal und Material sind in dem Kasten 2 dargestellt.
Dokumentation, Patienten- und Opferidentifikation: Wie bei einem konventionellen MANV müssen die im Krankenhaus eintreffenden Patienten erfasst und in das Krankenhaus-Informationssystem aufgenommen werden. Es müssen Vorkehrungen getroffen werden, dass dies auch ohne Kenntnis der persönlichen Patientendaten möglich ist. Sämtliche Patienten müssen am Sichtungsplatz und später bei Aufnahme registriert werden.
Daten der Verletztenanhängekarte sind zu berücksichtigen. Eine Übernahme der eindeutigen Nummer dieser Karte ist eine Maßnahme, die die Auskunft an Angehörige, die Identifizierung und die Nachverfolgung der Patienten erheblich erleichtert. Bei der Zuweisung zu den Krankenhäusern sollte vermieden werden, dass Tatverdächtige und Betroffene in die gleichen Kliniken eingeliefert werden. Die Prozesse der Betroffenenerfassung müssen inner- und außerklinisch aufeinander abgestimmt werden. Die Patienten- und Opferidentifizierung hat eine hohe Priorität.
Eine Standardisierung der Personenauskunftsstellen ist anzustreben. „GSLnet“ als für die Polizei konzipiertes webbasiertes Erfassungsprogramm dient derzeit in vielen Bundesländern als Arbeitsmittel (12). Hier besteht allerdings noch keine Eingabemöglichkeit für Krankenhäuser. Auch ist derzeit geplant, die Erfassung zukünftig mit einer anderen Softwarelösung vorzunehmen. Die Verwendung einer Software für die Erfassung von Patientendaten außerhalb des Katastrophenfalls muss in den Bundesländern geregelt werden, gegebenenfalls müssen Rechtsgrundlagen angepasst werden.
Angehörigenbetreuung: Im Rahmen einer LebEL ist mit einem starken Aufkommen zu betreuender Angehöriger zu rechnen. Hierfür sind Vorbereitungen zu treffen. Diese umfassen unter anderem die unverzügliche Einrichtung eines Telefondienstes für telefonische Anfragen an das Krankenhaus und die Einrichtung einer Sammelstelle für Angehörige einschließlich einer psychologischen Betreuungsmöglichkeit sowie die Bestimmung eines Abschnittsleiters.
Psychosoziale Betreuung: Bei Terroranschlägen kommt der psychosozialen Betreuung eine besondere Bedeutung zu. Diese sollte sich nicht nur auf die Angehörigen und Patienten beziehen. Auch das Personal der Krankenhäuser wird in einer solchen Situation erheblich belastet. Die Krankenhausleitung muss aus Gründen der Fürsorgepflicht dieser Betreuung eine besondere Aufmerksamkeit schenken.
In vielen Bundesländern sind beziehungsweise werden für die psychosoziale Nachsorge zentrale Anlaufstellen aufgebaut. Diese werden zukünftig Hilfsangebote für alle Betroffenen anbieten.
Schnittstellen: Krankenhäuser stellen bei der Bewältigung von LebEL neben den Einsatzorganisationen eine wichtige Säule in der Verletztenversorgung dar. Dementsprechend wichtig ist die Einbindung der Krankenhäuser in die gesamte Vorbereitung auf derartige Lagen. Es müssen daher die Schnittstellen zu anderen Organisationen und Behörden, die in die Bewältigung von LebEL involviert sind, betrachtet und definiert werden. Im Rahmen der Erarbeitung der KAEP sind die vorbereitenden Maßnahmen mit diesen Behörden, Organisationen und Einrichtungen abzustimmen.
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Aufgrund des hohen öffentlichen Interesses ist die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiges Element bei der Bewältigung von LebEL. Innerhalb eines Krankenhauses müssen klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten hierfür definiert werden. Die Festlegung eines Presseraumes muss im Vorfeld erfolgen und dann entsprechend bekannt gegeben werden. Dieser Raum muss über eine geeignete Ausstattung verfügen, zum Beispiel Stromanschlüsse, Internetzugänge und WLAN. Dabei sollten auch im Außenbereich Aufstellflächen für Übertragungswagen berücksichtigt und ausgewiesen werden. Der Zugang zu Presseraum und Aufstellflächen sollte möglichst abgesetzt von Patienten-, Betroffenen- und Angehörigenströmen erfolgen, um eine Einwirkung von Pressevertretern auf diese Personen zu vermeiden. Damit wird auch der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen unterstützt. Diese Wege und Flächen sind einschließlich ihrer Kennzeichnung ebenfalls vorzuplanen.
Es müssen regelmäßige, verifizierte und abgestimmte Informationen an die Presse gegeben werden. Dabei ist die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eng mit Polizei und Staatsanwaltschaft abzustimmen. Social Media und ihre eigene Dynamik in derartigen Einsatzlagen müssen berücksichtigt werden.
Schulung und Übung: Eine regelmäßige Schulung des Krankenhauspersonals ist unabdingbar für die Vorbereitung eines Einsatzes. Der KAEP wird nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn neben den Schulungen auch Übungen durchgeführt werden. Nur hierdurch werden Schwachstellen identifiziert. Übungsplanung und -umsetzung stellen für die Krankenhäuser einen hohen Aufwand dar, der bisher vielerorts nicht finanziert wird. Es ist eine Sicherstellung der Finanzierung von Krankenhausübungen auf Basis einer Rechtsgrundlage zu fordern. Best-Practice-Beispiel dafür ist das Vorgehen in Berlin (13).
Diskussion: Ein Schwerpunkt der Diskussionen im Rahmen der Ergebniskonferenz war die Bereitstellung von validen Informationen über die Schadenslage und die Bedeutung eines aktuellen Lagebildes für die Krankenhäuser. Die medizinischen und organisatorischen Konsequenzen im Krankenhaus sind groß und müssen daher auf der Basis einer möglichst validen Datenlage erfolgen. Den Teilnehmern der Ergebniskonferenz war es besonders wichtig, auf die möglichst exakte Information der Krankenhäuser explizit hinzuweisen. Besonders deutlich wird diese Notwendigkeit, wenn man die Anwendung modifizierter medizinischer Versorgungsstrategien betrachtet. Stellt man bei einer Vielzahl von erwarteten Patienten das Überleben möglichst vieler Patienten vor das funktionelle Outcome des Einzelnen, dann muss derjenige, der diese Entscheidung im Krankenhaus trifft, eine größtmögliche Sicherheit bei der Einschätzung der Lage haben.
Ein weiteres Schwerpunktthema war die Erfassung und Weitergabe von Patientendaten. Durch die unterschiedlichen, parallel geführten präklinischen Erfassungssysteme des Rettungsdienstes und der Polizei und dem nicht geregelten Austausch zwischen diesen Systemen ist die Identifikation und Nachverfolgung von Patienten erschwert. Hinzu kommt, dass die in den Krankenhäusern erfassten Patienten in diese Systeme nicht oder nur mit Verzögerung eingepflegt werden und somit eine entscheidende Rückkopplung fehlt. Auch besteht häufig Unklarheit darüber, welche Informationen ausgetauscht werden dürfen. Die Nutzung eines einheitlichen Dokumentationssystems ist daher dringend zu fordern.
Fazit: Das Vorhandensein eines gut funktionierenden und geübten Konzeptes für den MANV ist eine wesentliche Grundlage für die Bewältigung einer Lebensbedrohlichen Einsatzlage. Auf diese Konzepte aufbauend müssen die wesentlichen Spezifika erkannt und in den KAEP eingearbeitet werden.
- Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2019; 116(40): A 1772–7
Anschrift für die Verfasser:
Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Wurmb
Leiter der Sektion Notfall- und Katastrophenmedizin
Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie
Universitätsklinikum Würzburg
Oberdürrbacherstraße 6
97080 Würzburg
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4019
oder über QR-Code.
(1) Maßnahmen zur Anpassung der Behandlungskapazität
- Eine schnelle und regelmäßige offizielle Lageinformation durch die Rettungsleitstelle über die Schadenslage ist essenziell zur Abschätzung des Patientenaufkommens und zur Einschätzung der Dynamik
- Frühzeitige Etablierung einer Krankenhauseinsatzleitung (KEL)
- Beurteilung der eigenen Lage des Krankenhauses durch die ersten Entscheidungsträger im Krankenhaus (operative Einsatzleitung)
- Frühzeitige Einrichtung eines Sichtungsplatzes und dessen personelle Besetzung, um eine sofortige Sichtung der eintreffenden Patienten zu ermöglichen
- Lageangepasste Sichtung nach definiertem Algorithmus durch trainiertes Personal
- Festlegung einer Wegeführung und der Raumordnung zur Bildung von Versorgungsschwerpunkten (nach Sichtungskategorien)
- Anpassung der medizinischen Versorgungsstrategien unter Berücksichtigung der Gesamtlage (Tactical Disaster Surgical Care)
- Vorgehen nach dem Prinzip: Kategorisieren, Priorisieren, Disponieren, Realisieren, Reevaluieren
(2) Sicherheit und Ressourcen
Erhöhung der Sicherheit
- Zugangsbeschränkungen mit Regelung der Patienten-, Mitarbeiter- und Angehörigenströme (Wegeführung)
- Mitarbeiteridentifizierung mittels Mitarbeiterausweis
- Definition von besonders zu schützenden Kernbereichen, die für das Aufrechterhalten der medizinischen Versorgung essenziell sind, zum Beispiel die Notaufnahme, der OP-Trakt, die Intensivstationen und die Technikbereiche
- Ergreifen besonderer Maßnahmen für die Sicherheit am Sichtungsplatzes
- Festlegung einer Gepäckablage (Effekten) außerhalb des Krankenhauses
Lenkung von Personalressourcen
- Zur Steuerung des Personals muss ein bedarfsgerechtes Alarmierungssystems etabliert werden
- Die Durchhaltefähigkeit muss durch Personalplanung und Ablösekonzepte sichergestellt werden
- Es müssen Personalregistrierung, Personalsammelstellen, Verfügungsräume und Abschnittsleiter für diese Räume definiert werden
- Die Integration von Personal, das aus eigener Initiative in den Dienst kommt, muss organisiert sein
Lenkung von Materialressourcen
- Die besonderen Verletzungsmuster, die im Rahmen von Terroranschlägen zu erwarten sind, erfordern eine spezielle Materialbevorratung
- Da mit einer erhöhten Zahl an penetrierenden Traumata zu rechnen ist, sind vor allem die Verfügbarkeiten von OP-Sieben und Sterilgut zu prüfen
- Es muss die Verfügbarkeit von Möglichkeiten zur Notdekontamination bei Angriffen mit chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Gefahrstoffen (CBRN-Lagen) geprüft werden
- Die Verfügbarkeit von medizinischen Versorgungsgütern, wie zum Beispiel Medikamente und Blutkonserven, muss im Vorfeld geprüft und gegebenenfalls aufgestockt werden
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Dr. med. Kowalzik, Dr. rer. nat. Weber
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz: Priv.-Doz. Dr. med. Franke
Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung, Berlin: Cwojdzinski
Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung: Bernstein
1. | Haug CJ: Report from Paris. N Engl J Med 2015; 373: 2589–93 CrossRef MEDLINE |
2. | Okumara T, Suzuki K, Fukada A et al.: The Tokyo Sarin Attack: Disaster Management Part 2 – The Hospital Response. Academic Emergency Medicine 1998; 5: 618–24 CrossRef MEDLINE |
3. | Turegano-Fuentes F, Caba-Doussoux P, Jover-Navalon JM et al.: Injury Patterns from Major 7 Urban Terrorist Bombings in Trains: The Madrid Experience. World Journal of Surgery 32008; 8 2: 1168–75 CrossRef MEDLINE |
4. | Gutierrez de Ceballos JP, Turegano-Fuentes F, Perez Diaz D et al.: Casualties treated at the closest hospital in the Madrid March 11, terrorist bombings. Crit Care Med 2005; 33: S107–12 CrossRef MEDLINE |
5. | Wurmb T, Rechenbach P, Scholtes K Alarm- und Einsatzplanung an Krankenhäusern – Das konsequenzbasierte Modell. Med Klin Intensivmed Notfallmed 2016; 112: 618–21 CrossRef MEDLINE |
6. | Friemert B, Franke A, Bieler D et al.: Versorgungsstrategien beim MANV/Terror-MANV in der Unfall- und Gefäßchirurgie. Chirurg 2017; 88: 856–62 CrossRef MEDLINE |
7. | Hossfeld B, Adams HA, Bohnen R, et al.: Zusammenarbeit von Rettungskräften und Sicherheitsbehörden bei bedrohlichen Lagen. Anästh Intensivmed 2017; 58: 573- |
8. | Wurmb T, Scholtes K, Kolibay F Die Rolle der Krankenhäuser bei der Bewältigung von Bedrohungslagen. BBK Bevölkerungsschutz 2017; 2: 28–9. |
9. | Wurmb T, Kowalzik B, Rebuck J. et al.: Bewältigung von besonderen Bedrohungslagen. Ergebnisse eines bundesweiten Auswerteprozesses am Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe – Teil 1: Präklinisches Management. Notfall Rettungsmed 2018; 21: 664-67 CrossRef |
10. | Juncken K, Heller AR, Cwojdzinski D, Disch AC, Kleber C Verteilung der Sichtungskategorien bei Terroranschlägen mit einem Massenanfall von Verletzten. Unfallchirurg 2019; 122: 299–308 CrossRef MEDLINE |
11. | Franke A, Bieler D, Friemert B, Kollig E, Flohe S: Prä- und innerklinisches Management bei MANV und Terroranschlag. Chirurg 2017; 88: 830–40 CrossRef MEDLINE |
12. | Roosen T. GSL.net: Ein IT-Programm zur gemeinsamen Nutzung für Personenauskunftsstellen, Rettungsdienst und Polizei. Magazin Bevölkerungsschutz 2/2006. |
13. | Schweigkofler U, Kleber C, Auhuber TC, Jung HG, Cwojdzinski 33 D, Hoffmann R Kostenabschätzung für MANV Übungen im Krankenhaus. Unfallchirurg 2019: 122: 381–6 CrossRef MEDLINE |