THEMEN DER ZEIT
Nährwertkennzeichnung: Lebensmittel mit neuem Logo


Hersteller sollen verpackte Lebensmittel künftig mit dem Nutri-Score kennzeichnen. Das empfiehlt Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU). Maßgeblich für ihre Entscheidung war eine repräsentative Umfrage. Ein langer Streit kommt zu einem Ende – vorerst.
Nach jahrelangen Kontroversen feiern Verbraucherorganisationen und medizinische Fachgesellschaften jetzt einen Sieg über die Lebensmittellobby. 1 604 Verbraucherinen und Verbraucher haben entschieden – sie wollen den Nutri-Score, der in Frankreich und einigen anderen Ländern bereits zur Kennzeichnung von Nährwerten auf der Vorderseite von Verpackungen empfohlen wird.
Das leicht verständliche und transparente Label in Ampelfarben könnte schon im kommenden Jahr abgedruckt werden und die verpflichtende Nährwerttabelle auf der Rückseite ergänzen, stellte Klöckner in Aussicht. Vorausgesetzt es gebe keine Abstimmungsschwierigkeiten. Denn auch das Kabinett und der Bundesrat müssten zustimmen. Die Entscheidung für den Nutri-Score, dessen Nutzen bereits durch mehr als 30 wissenschaftliche Studien als belegt gilt, hat sich die Ministerin nicht leicht gemacht.
In einem ersten Schritt beauftragte sie das Max Rubner-Institut (MRI), bestehende Modelle zu vergleichen und ein eigenes Modell zu entwerfen. Anschließend folgte eine Verbraucherstudie durch das Markt- und Meinungsforschungs-Institut Info GmbH. Hierfür seien Ausgaben von 130 000 Euro brutto vorgesehen, teilte eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft dem Deutschen Ärzteblatt mit.
Eindeutige Ergebnisse
Für die Befragung standen vier Nährwertkennzeichnungs-(NWK-)Modelle zur Auswahl (siehe Tabelle). Sie sollen es Verbrauchern leichter machen, beim Einkauf ernährungsphysiologisch günstigere Produkte auszuwählen. Das Ergebnis war eindeutig: 57 Prozent der Befragten haben sich für die Einführung des Nutri-Scores ausgesprochen, 27 Prozent für das MRI-Modell. Weit abgeschlagen folgte das Keyhole-Modell mit sieben Prozent und mit vier Prozent der Vorschlag der Industrie. Auch im direkten Vergleich von je zwei Modellen war der Nutri-Score nicht zu schlagen. Würde man das Ergebnis in eine Fußballtabelle übersetzen, würde der Nutri-Score mit 243 zu 57 auf dem ersten Tabellenplatz landen, heißt es in den Umfrageergebnissen.
Noch deutlicher sprachen sich Menschen mit Adipositas für den Nutri-Score aus. Hier würden sich 64 Prozent für das französische Modell in Ampelfarben entscheiden. Das Meinungsforschungsinstitut untersuchte das Verständnis der NWKs aber auch im realen Zusammenhang. Dafür wurden Pizzapackungen mit den vier Logos versehen. Mit dem Nutri-Score gelang es 70 Prozent, die gesündere Alternative zu identifizieren. Das MRI-Modell verhalf 60 Prozent zur korrekten Lösung und das Keyhole-Modell 35 Prozent. Mit dem BLL-Modell konnten hingegen nur 20 Prozent die Pizza auswählen, die am ehesten zu einer gesunden Ernährung beitragen würde.
Zweifel an dem Ergebnis äußerte die Lebensmittellobby: Denn eine ernährungsphysiologisch sinnvolle Bewertung könne nur mit Blick auf das gesamte Ernährungsverhalten erfolgen, sagte Philipp Hengstenberg, Präsident des Lebensmittelverbands Deutschland. Eine vom Verband beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage hatte zudem ergeben, dass der Nutri-Score im Vergleich zum BLL-Modell intransparent und unverständlich sei.
Verbrauchern gehe es jedoch vor allem um eine Bewertung der Lebensmittel, betonte Klöckner. Auch der Deutsche Ärztetag 2019 forderte die Bundesregierung auf, den Nutri-Score aufzunehmen. Verbänden, die sich bereits zuvor für den Nutri-Score ausgesprochen hatten und die die Umfrage aufgrund diverser Studien für überflüssig erklärt hatten, entgegnete Klöckner: „Als Bundesregierung müssen wir seriös vorgehen“, rechtfertigte sie sich und betonte abermals, dass die Befragung europarechtlich zwingend vorgeschrieben sei, um ein Modell einführen zu können.
Kritik kam im Vorfeld unter anderem von foodwatch: „Es ist nicht seriös, wenn eine Ministerin eine weitreichende politische Entscheidung allein von einer schnell gemachten Umfrage abhängig machen würde und damit sämtliche wissenschaftliche Erkenntnis ignoriert“, sagte Martin Rücker, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation. Diese Umfrage sei nicht nötig gewesen, sondern wissenschaftliche Evidenz, betonte er auf Twitter.
Die EU ist am Zug
In einem Punkt scheinen sich Klöckner und Verbraucherorganisationen aber einig zu sein. Das Ziel soll eine verpflichtende Kennzeichnung sein. Dafür müsste sich die Europäische Union jedoch auf eine europaweite NWK einigen, was bisher nicht gelungen ist. Der Nutri-Score sei derzeit das einzige System, das die Chance hätte, zum EU-einheitlichen Kennzeichnungssystem zu werden, ist Rücker überzeugt. Diese Meinung vertritt auch Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der Deutschen Diabetes Gesellschaft. „Derzeit ist aber noch nicht absehbar, ob und wann es eine EU-Verordnung geben wird.“ Es gebe jedoch bereits eine Europäische Bürgerinitiative ProNutri-Score, die wir in Deutschland vorantreiben wollen, sagte Bitzer. Um erfolgreich zu sein, muss die Initiative eine Million Unterstützungsbekundungen erhalten. In Deutschland haben bereits mehr als 3 000 Menschen unterzeichnet – nötig wären jedoch 72 000.
Eine NWK ist jedoch nur einer von vielen Bausteinen, die eine gesündere Ernährung und weniger Adipositas gewährleisten sollen. Medizinische Fachgesellschaft und Verbraucherorganisationen fordern schon lange eine Zuckersteuer sowie ein Verbot von an Kinder gerichtetem Marketing für dick machende Produkte. Zu diesen Forderungen wollte Klöckner bisher keine Zugeständnisse machen. Kathrin Gießelmann
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