ArchivDeutsches Ärzteblatt42/2019Ärzteteams: Rollenkonflikte vermeiden

MANAGEMENT

Ärzteteams: Rollenkonflikte vermeiden

Schlein, Ulrike

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

In neuen, aber auch in eingespielten Teams wird oft die Wichtigkeit von Rollenerwartungsklärungen verkannt. Dabei tragen das Wissen um Zuständigkeiten und Verantwortungen nicht nur zu reibungslosen Arbeitsabläufen, sondern auch zu einem guten Teamklima bei.

Foto: k yu/stock.adobe.com
Foto: k yu/stock.adobe.com

Häufig passiert es, dass eine erfahrene Führungskraft Chefärztin oder Chefarzt wird und beim Stellenwechsel an eine andere Klinik noch einige vertraute Fachärztinnen und Fachärzte als Verstärkung mitnimmt. Die Beteiligten verbindet zum Teil eine langjährige gemeinsame Arbeitsgeschichte – sie kennen ihre Stärken und Schwächen, Ecken und Kanten.

Selbstverständnis im Team

Oft gehen diese langjährigen Arbeitskolleginnen und -kollegen davon aus, dass es aufgrund der gemeinsamen Arbeitserfahrungen nichts oder nur wenig zu besprechen gibt. Eher wird der Fokus auf inhaltliche oder organisatorische Themen in der neuen Klinik gelegt. Die Beteiligten stürzen sich in den Alltag, schauen sich die neue Abteilung an und beginnen, Veränderungen vorzunehmen – all das vor dem Hintergrund komplexer Arbeitsabläufe, neuer Kollegen innerhalb der Abteilung, einem hohen Tempo und oftmals immensen Ansprüchen.

Häufig kommt eine weitere Komponente hinzu: So werden Fachärzte der alten Klinik zu Oberärzten an der neuen, aus Oberärzten werden leitende oder geschäftsführende Oberärzte und aus früheren leitenden Oberärzten Direktoren oder Chefärzte. Damit ändern sich die Anforderungen, die Verantwortungen, die Aufgaben – also die Rollen.

Vor dem Hintergrund einer langjährigen Zusammenarbeit und der daraus entstehenden Vertrautheit werden oftmals die Herausforderungen, die mit solchen Rollenwechseln einhergehen, unterschätzt. Für die einzelne Person entstehen in der neuen Position Unsicherheiten und ungeahnte Anforderungen. Und auch in der Zusammenarbeit ändert sich vieles. Neue Arbeitsbeziehung, bringen neue Rollenkonstellationen mit sich. Diese Entwicklungen können unauffällig vor sich gehen, darum werden Erwartungen häufig nicht frühzeitig abgeklärt. Ein weiterer Grund kann sein, dass die Notwendigkeit nicht erkannt wird und die Wechselwirkungen nicht sofort sichtbar sind oder erst später unangenehm werden. Nehmen die Beteiligten die Chance nicht wahr, ihre Rollenverteilung gemeinsam zu reflektieren und zu klären, kann das negative Folgen haben.

Konflikte durch diffuse Rollen

Deutlich wird dies an einem Beispiel aus dem Beratungsalltag: Der Direktor einer Uniklinik und sein Stellvertreter kannten sich, seitdem der Jüngere beim Älteren als Doktorand begonnen hatte. Sie ergänzten sich gut und wussten, was sie aneinander hatten. Im Laufe der Jahre entwickelten sich Spannungen zwischen den beiden, die im Rahmen der morgendlichen Visite besonders deutlich wurden. Beide besaßen die Weiterbildungsermächtigung für die neurologische Intensivmedizin – der Direktor war für die Gesamtabteilung verantwortlich, der Oberarzt war der Leiter der Intensivstation.

Stellten die Stationsärztin oder der Stationsarzt die Patienten vor, lieferten sie die Informationen nicht immer knapp, prägnant und in einer gut nachvollziehbaren Struktur. Der Chef intervenierte dann, hakte nach und traf zum Teil detaillierte Entscheidungen für die Behandlung. Der Leiter der Intensivstation wirkte bei diesen Visiten unbeteiligt, war sehr ruhig und seine Körpersprache zeigte zum Teil Abwehr. Je ruhiger er wurde, desto intensiver stieg sein Vorgesetzter in die Therapieplanung ein. Erhöht wurde die Spannung durch die Tatsache, dass die Behandelnden nur wenige Minuten pro Patient hatten. Die jungen Ärzte und Pflegekräfte beobachteten irritiert den unausgesprochenen „Kampf der Giganten“ auf der Visiten-Bühne. Hatte der Chef die Station verlassen, wurde der Oberarzt wach, begann mit der eigentlichen Visite, legte die Behandlungsstrategie und die nächsten Diagnostik- und Therapieschritte fest, unterstützte die Weiterbildungsassistenten und jungen Fachärzte bei Interventionen und ging zum Teil anders vor als vom Chef in der Visite gesagt, empfohlen oder angeordnet. Wie die Worte des Chefs einzuordnen waren, wusste niemand so recht.

Bereitschaft zur Veränderung

Um den Knoten zu lösen, nahm die jüngere Führungskraft an verschiedenen Veranstaltungen zur Führungskräfteentwicklung teil – zunächst mit etwas Widerwillen, zunehmend jedoch mit Neugier und Interesse. Insbesondere ein Workshop zu den Systembedingungen in einer Uniklinik habe es ihm angetan, schilderte er später in der Einzelberatung. Er begann, das Erlebte mit immer mehr Wissen und mit externer Unterstützung einzuordnen. Ähnlich wie das Wissen über die Pathophysiologie im erkrankten Organismus konnte er die Wechselwirkungen und Folgen in der Arbeitsbeziehung zwischen sich und jüngeren Kollegen, aber auch zwischen sich und seinem Chef erkennen, ohne Fehler oder Schuldige suchen zu müssen. Er fand Freude daran, zu experimentieren und sich zu verändern, und bekam positive Rückmeldungen von Teamkollegen dafür.

Auf seine Initiative wurde das Gespräch mit seinem Chef zur Rollenerwartungsklärung, das in den zurückliegenden Jahren verpasst wurde, nun in moderierter Form nachgeholt. Auf der Basis ihres durch die jahrelange Zusammenarbeit gewachsenen Vertrauens konnten sie Wünsche, Erwartungen, aber auch Kränkungen und Verletzungen aussprechen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn oftmals bekommen Führungskräfte in herausgehobenen Positionen kaum noch ein Feedback zur eigenen Wirkung. Viele Mitarbeitende schweigen, ertragen und ziehen sich zurück, wenn die Arbeitsatmosphäre sich verschlechtert. Durch ihr Gespräch entwickelten die beiden Ärzte ein Verständnis über die Wechselwirkungen und Teufelskreise, in denen sie oft feststeckten. Darauf aufbauend konnten sie Vereinbarungen treffen. Sie beleuchteten ihre Arbeitsbeziehung in den verschiedenen Facetten und überdachten die Konstellation bei der morgendlichen Visite auf der Station. Der Klinikdirektor trat danach nicht mehr als Entscheider auf, der unter Zeitdruck steht und zum Teil nur begrenzten Einblick in die Gesamtsituation der Patienten hat. Er verstand sich als Betrachter der Behandlungsstrategie. Er bekam einen Blitz-Rapport und verschaffte sich so einen Überblick. Bei Fragen anderer Fachdisziplinen war er auf diese Weise ausreichend informiert. Zu Detailfragen oder einzelnen Behandlungsschritten verhielt er sich abstinent und sprach dem Leiter der Intensivstation sein Vertrauen in dessen Fachexpertise aus. Der Oberarzt übernahm nach dieser Klärung wieder deutlich die Führung auch während der Frühvisite, die jetzt nicht mehr Chefvisite hieß. Auf diese Art haben die beiden Ärzte zu einer neuen Struktur und zu einem Konsens gefunden, die das gemeinsame Arbeiten nachhaltig erleichtern. Dr. med. Ulrike Schlein

Persönlichkeit und Rolle

Der Begriff „Rolle“ kommt aus den Sozialwissenschaften und beschreibt die ausgesprochenen und auch unausgesprochenen Erwartungen, die die Angehörigen eines Sozialgefüges an die Inhaberin oder den Inhaber einer Position herantragen sowie das Selbstverständnis, das diese Person von sich selbst in der professionellen Rolle hat. Diese Erwartungen können sich auf die Aufgabe – das heißt die Funktion – beziehen, die eine Person zu erfüllen hat, ebenso wie auf die Art und Weise ihres Verhaltens. Es geht also um das „Was“ und das „Wie“.

Im professionellen Kontext stellt die Reflexion der eigenen Rolle im System einer Klinik, einer Abteilung, eines Medizinischen Versorgungszentrums et cetera die Grundlage für alles Weitere dar. Ist man sich seiner eigenen Verantwortung und der damit verbundenen Entscheidungskompetenzen bewusst, so werden in herausfordernden Situationen die Priorisierung von Aufgaben, Entscheidungen und auch die Kommunikation mit anderen deutlich leichter fallen.

Durch die kontinuierliche Reflexion der eigenen professionellen Rolle gelingt es, beispielsweise kritische Anmerkungen von Vorgesetzten sowie Kolleginnen und Kollegen als Rückmeldung zum eigenen Handeln zu verstehen und nicht als Ablehnung oder Kritik an der gesamten eigenen Persönlichkeit. Das erlaubt es, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Deshalb lohnt es sich, sich mit der Unterstützung der Personalabteilung oder auch auf eigene Initiative durch individuelle Beratungen und Seminare auf neue Positionen vorzubereiten oder zwei bis dreimal im Jahr das eigene (Führungs-)Handeln mit einem Blick von außen zu betrachten.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote