ArchivDeutsches Ärzteblatt45/2019Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie: Grundpfeiler der modernen Medizin langfristig erhalten

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Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie: Grundpfeiler der modernen Medizin langfristig erhalten

Richter-Kuhlmann, Eva

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Um die Gefahr eines „postantibiotischen Zeitalters“ zu minimieren, legte Deutschland vor vier Jahren einen nationalen Aktionsplan vor: die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2020). Einige darin festgelegten Maßnahmen greifen bereits – Zeit für eine Zwischenbilanz.

Foto: mauritius images
Foto: mauritius images

Zweifelsohne gehören die zunehmenden Resistenzen gegenüber Antibiotika zu den größten gesundheitlichen Bedrohungen unserer Zeit. Als „globale Gesundheitskrise“ bezeichnete sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie schätzt, dass jährlich fast 700 000 Menschen weltweit infolge einer Infektion sterben, die mit Antibiotika nicht mehr behandelbar ist (1) und rief 2015 zur jährlichen weltweiten Antibiotikawoche im November auf. Kombiniert mit dem Europäischen Antibiotikatag am 18. November soll sie das Augenmerk auf einen sachgerechten Antibiotikaeinsatz lenken, der Resistenzentstehung vermindert.

Grundsätzlich sind Antibiotikaresistenzen natürliche Phänomene. Fehlgebrauch von Antibiotika und ihr übermäßiger Einsatz in der Human- und Veterinärmedizin begünstigen jedoch das Überleben resistenter Bakterien und beschleunigen so diesen Prozess – und das weltweit. In der Folge steigen Behandlungsdauer, Morbidität und Mortalität. Zudem besteht die Gefahr, dass Antibiotika als Grundpfeiler der modernen Medizin, die komplizierte Operationen und Transplantationen erst ermöglichen, versagen.

Globale Maßnahmen nötig

Um erfolgreich bei der Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen zu sein, muss diese auf verschiedenen Ebenen und global erfolgen. Auch neue Strategien zur Behandlung von Infektionen gelangen vermehrt in den Fokus (siehe nachfolgender Beitrag). Medizinische Innovationen allein sind jedoch nicht ausreichend, um bakterielle Krankheitserreger langfristig unter Kontrolle zu bringen.

Die WHO verabschiedete deshalb vor vier Jahren den Globalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verpflichtete zudem vor drei Jahren mit einer Deklaration zu Antibiotikaresistenzen ihre Mitgliedstaaten dazu, nationale Aktionspläne zu entwickeln, die auf den verschiedenen Ebenen der Human- und Veterinärmedizin ansetzen und die Maßnahmen bündeln.

Deutscher Plan steht seit 2015

Deutschland beschäftigt sich bereits seit 2008 mit einer nationalen Strategie. Vor vier Jahren veröffentlichten die Bundesministerien für Gesundheit, für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Bildung und Forschung gemeinsam die Deutsche Antibiotika-Resistenz-strategie (DART 2020). Sie soll mit ihrem „One-Health-Ansatz“ und sechs Einzelzielen sektorübergreifend in der Human- und Veterinärmedizin sowie in der Landwirtschaft dazu beitragen, die Entstehung von Antibiotikaresistenzen zu mindern.

Auch wenn die Laufzeit von DART 2020 noch nicht beendet ist, lohnt es sich, einen Blick auf den Zwischenbericht vom August dieses Jahres zu werfen (2), der die in Umsetzung befindlichen Maßnahmen beschreibt. Gerade 2018/19 wurden im Nachgang zur G-20-Präsidentschaft 2017 sowohl die internationalen Aktivitäten ausgebaut als auch auf nationaler Ebene mehrere Modellprojekte angestoßen.

Insbesondere bezüglich Ziel 1 von DART 2020, der Stärkung des One-Health-Ansatzes, gibt es positive Tendenzen. Im Fokus stehen hier die Zoonosen, deren Erforschung dem Gesundheitsschutz von sowohl Mensch als auch Tier dient. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) finanziert zudem seit Beginn dieses Jahres im Rahmen des Zoonosen-Förderschwerpunkts mehrere neue Projekte zu Antibiotikaresistenzen, beispielsweise eine genombasierte Surveillance übertragbarer Colistin- und Carbapenemresistenzen gramnegativer Erreger sowie ein Projekt zur Verbreitung von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus und Vancomycin-resistenten Enterokokken durch Haustiere.

„One Health“ im Fokus

Zudem wird die Forschungsplattform für Zoonosen ab sofort für weitere vier Jahre vom Bundesforschungsministerium gefördert. Ihr Ziel ist es, den One-Health-Ansatz in der Forschung zu stärken und Forschung und Gesundheitswesen zu verbinden. Institutionell besteht inzwischen eine Vernetzung: Die Plattform „German One Health Initiative“ verknüpft das Robert Koch-Institut (RKI), das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Paul-Ehrlich-Institut und das Friedrich-Löffler-Institut.

Von diesen Instituten spielt das RKI für die Humanmedizin eine besondere Rolle. Es koordiniert unter anderem seit 2008 die Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS), mit der Resistenzentwicklungen von Bakterien erfasst werden (Ziel 2 – Resistenzentwicklungen frühzeitig erkennen). Das System hat sich dem aktuellen Zwischenbericht zufolge etabliert: Im Jahr 2017 führte es die Daten von 483 Krankenhäusern zusammen – also von etwa einem Drittel der Allgemeinkrankenhäuser. Für die ambulante Versorgung wertet es Resistenzdaten von mehr als 18 000 Arztpraxen aus.

Seit 2014 überwacht das RKI zudem mit der Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance (AVS) den Verbrauch von Antibiotika in Krankenhäusern. Dieses System ist wie ARS ein zentraler Bestandteil von DART 2020 (Ziel 3 – Therapieoptionen erhalten), arbeitet jedoch unabhängig von diesem. Auch die jeweiligen Teilnehmer sind verschieden: Bei ARS werden Daten freiwillig durch Labore gemeldet und bei AVS durch Krankenhäuser. Mittlerweile sind 397 Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung sowie der Schwerpunkt- und Maximalversorgung sowie Rehabilitationseinrichtungen bei der AVS gemeldet. Seit Ende 2017 werden in der Datenbank zudem Angaben zu Lieferengpässen bei Antibiotika erfasst.

Vermehrt beteiligen sich Labore seit einigen Jahren an der freiwilligen Antibiotika-Resistenz- Surveillance (ARS) und tragen damit zur frühzeitigen Erkennung einer Resistenzentwicklung bei. Foto: Your Photo Today
Vermehrt beteiligen sich Labore seit einigen Jahren an der freiwilligen Antibiotika-Resistenz- Surveillance (ARS) und tragen damit zur frühzeitigen Erkennung einer Resistenzentwicklung bei. Foto: Your Photo Today
Der CRP-Schnelltest wird bereits in einigen KVen erfolgreich vor der Verordnung von Antibiotika eingesetzt. Foto: airborne77/stock.adobe.com
Der CRP-Schnelltest wird bereits in einigen KVen erfolgreich vor der Verordnung von Antibiotika eingesetzt. Foto: airborne77/stock.adobe.com

Um die Frage zu beantworten, inwieweit der Antibiotikaverbrauch die Resistenzsituation tatsächlich beeinflusst, werden nun im Rahmen des vom BMG bis 2021 geförderten Projektes ARVIA die Daten aus beiden Surveillance-Systemen auf Krankenhausebene in Bezug zueinander ausgewertet. Seit einigen Monaten steht ARVIA allen Kliniken zur Verfügung, die an der AVS teilnehmen und deren Labors sich bei der ARS beteiligen.

Ein weiterer Maßnahmenkomplex zum Erhalt der antibiotischen Therapieoptionen ist die Vermeidung von Infektionen (Ziel 4 – Infektionsketten frühzeitig unterbrechen und Infektionen vermeiden). Das RKI gibt dazu regelmäßig aktualisierte Leitlinien heraus, die von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) entwickelt werden und Standard für die Prävention sind.

Viele ambulante Projekte

Die meisten Antibiotika werden in Deutschland (85 Prozent) im ambulanten Bereich verordnet. Betrachtet man den aktuellen Zwischenbericht zu DART 2020, fällt auf, dass gerade dort seit dem vergangenen Jahr wichtige Aktionen zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes erfolgt sind. Seit Juli 2018 werden beispielsweise neue Methoden zur Erregeridentifizierung und zur Resistenztestung vergütet.

Weitere Modellprojekte laufen: Vorgestellt haben erst dieser Tage die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Hamburg und verschiedene Krankenkassen eines zum Einsatz des quantitativen CRP-Schnelltests in Hausarzt- und Kinderarzt- sowie HNO-Arzt-Praxen. In Sachsen-Anhalt können Patienten der AOK und der IKK gesund plus den CRP-Schnelltest seit 2018 als Kassenleistung in Anspruch nehmen. Die Verordnung von Antibiotika hätte sich seitdem bereits verringert, hieß es.

Die Voraussetzungen für einen sachgerechten Einsatz von Antibiotika zu schaffen und Ärzte und Patienten darüber zu informieren, ist ein weiteres Ziel von DART 2020 (Ziel 5 – Bewusstsein fördern und Kompetenzen stärken). Auch verschiedene Modellprojekte versuchen diese Vorgehensweise zu etablieren. Gefördert vom Innovationsfonds mit rund 14 Millionen Euro wird beispielsweise das Projekt RESIST („Resistenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz bei akuten Atemwegsinfektionen“) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, elf Kassenärztlichen Vereinigungen und der Verband der Ersatzkassen. Unterstützt wird durch den Fonds noch ein weiteres Projekt: „Antibiotika-Resistenz-Entwicklung nachhaltig abwenden“ (Arena), getragen von der AOK Bayern, der AOK Rheinland/Hamburg, der KV Bayern, der Agentur deutscher Arztnetze sowie mehr als 400 Arztpraxen.

Die Maßnahmen greifen bereits

Auch das mit rund 45 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium geförderte Konsortium „InfectControl2020“ (DART-Ziel 6 – Forschung und Entwicklung unterstützen) widmet sich in einem großen Projekt dem rationalen Antibiotikaeinsatz durch Information und Kommunikation.

Die zahlreichen bundesweiten Initiativen zur Stärkung eines angemessenen Antibiotikaeinsatzes scheinen nach Ansicht des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) bereits zu greifen: Niedergelassene Ärzte, die in Deutschland 85 Prozent aller Antibiotika verordnen, haben in den vergangenen Jahren signifikant weniger systemische Antibiotika verschrieben. Das geht aus der Ende August veröffentlichten Versorgungsatlas-Studie des Zi (3) hervor.

Während niedergelassene Ärzte 2010 gesetzlich Krankenversicherten noch 562 Antibiotikaverordnungen pro 1 000 Versicherten ausstellten, waren es 2018 nur noch 446 Verordnungen. Das ist ein Rückgang um 21 Prozent bezogen auf alle Altersklassen. Er kann der Studie zufolge in nahezu allen KV-Bereichen und für die überwiegende Zahl der eingesetzten Wirkstoffgruppen beobachtet werden. Starke Unterschiede in den Verordnungsraten von Antibiotika (siehe Grafik 1) unterstreichen nach Ansicht des Zi jedoch die Bedeutung regional zugeschnittener Programme der KV-Bereiche zur Förderung eines rationalen Antibiotikaeinsatzes.

Altersstandardisierte Verordnungsraten systemischer Antibiotika pro KV-Bereich im Jahr 2018
Grafik 1
Altersstandardisierte Verordnungsraten systemischer Antibiotika pro KV-Bereich im Jahr 2018

Wandel in der Pädiatrie

Bundesweit gewandelt hat sich das Verschreibungsverhalten in der Pädiatrie: So hat sich bei Neugeborenen und Säuglingen (Altersgruppe 0 bis 1 Jahr) die Verordnungsrate von 2010 bis 2018 fast halbiert (siehe Grafik 2). Kinder im Kindergartenalter (2 bis 5 Jahre) haben noch immer die höchste Verordnungsrate, aber gleichzeitig die stärkste absolute Reduktion der Verschreibungen (von 1 213 im Jahr 2010 auf 683 im vergangenen Jahr).

Altersgruppenspezifische Verordnungsraten systemischer Antibiotika in den Jahren 2010 bis 2018
Grafik 2
Altersgruppenspezifische Verordnungsraten systemischer Antibiotika in den Jahren 2010 bis 2018

Ein dem stationären Bereich vergleichbares Surveillancesystem für den Antibiotikaverbrauch, das einen strukturierten Feedbackmechanismus enthält, gibt es im ambulanten Bereich allerdings noch nicht. Das RKI startete daher im Februar im Rahmen eines BMG-geförderten dreijährigen Projekts eine Machbarkeitsstudie zur Etablierung eines solchen Systems. Die Studie SAMBA (Surveillance ambulanter Antibiotika-Verbrauch) überprüft die Möglichkeit der Implementierung eines Reporting-Systems, das Arztpraxen Feedback zum eigenen Antibiotikaverordnungsverhalten gibt sowie einen Vergleich mit anderen Praxen der Fachgruppe ermöglicht. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

1.
Bundesgesundheitsblatt: „Antibiotikaresistenz: Eine gesellschaftliche Herausforderung“; Band 61; Heft 5/201 CrossRef MEDLINE
2.
DART 2020; Vierter Zwischenbericht der Bundesministerien für Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft sowie Bildung und Forschung, Juli 2019
3.
Versorgungsatlas-Bericht Nr. 19/07, Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi), August 2019
Altersstandardisierte Verordnungsraten systemischer Antibiotika pro KV-Bereich im Jahr 2018
Grafik 1
Altersstandardisierte Verordnungsraten systemischer Antibiotika pro KV-Bereich im Jahr 2018
Altersgruppenspezifische Verordnungsraten systemischer Antibiotika in den Jahren 2010 bis 2018
Grafik 2
Altersgruppenspezifische Verordnungsraten systemischer Antibiotika in den Jahren 2010 bis 2018
1.Bundesgesundheitsblatt: „Antibiotikaresistenz: Eine gesellschaftliche Herausforderung“; Band 61; Heft 5/201 CrossRef MEDLINE
2.DART 2020; Vierter Zwischenbericht der Bundesministerien für Gesundheit, Ernährung und Landwirtschaft sowie Bildung und Forschung, Juli 2019
3.Versorgungsatlas-Bericht Nr. 19/07, Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi), August 2019
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