POLITIK
Arbeitsbedingungen im Krankenhaus: Burn-out schon beim Nachwuchs


Die aktuelle Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zeigt eine Gesundheitsgefährdung bereits junger Angestellter in der stationären Versorgung. Die Internisten forderten jetzt die Gesundheitsminister der Länder auf, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen.
Zunehmend berichten Ärztinnen und Ärzte über kritische Rahmenbedingungen im Krankenhaus, die sie an die Grenze ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit bringen. Dabei zeigt sich, dass Überarbeitung und Belastungssyndrome nicht nur Phänomene sind, die ausschließlich bei jahrzehntelang berufstätigen und möglicherweise überengagierten Kollegen auftreten.
Auch Nachwuchsärztinnen und -ärzte sind bereits von Burn-out-Symptomen betroffen, wie die Mitte November veröffentlichte Studie zu „Arbeitsbedingungen und Gesundheitszustand junger Ärzte und professionell Pflegender in deutschen Krankenhäusern“ beweist (1). An der interdisziplinären und interprofessionellen Onlinebefragung, die unter der Schirmherrschaft der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtsfürsorge (BGW) in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg, dem Marburger Bund, dem Hartmannbund sowie mehreren Berufsverbänden 2017 durchgeführt wurde, nahmen 855 Ärzte und 205 Pflegekräfte im Alter bis zu 35 Jahren teil. Das Resultat: Obwohl die Angestellten maximal sechs Jahre in ihrem Beruf arbeiten, leiden bereits die meisten unter dem Druck im Krankenhaus. Viele von ihnen haben zudem den Eindruck, dass unter ihrer persönlichen beruflichen Belastung auch die Patientenversorgung leidet. In der Konsequenz fordern Pflegende vor allem festgelegte Personalschlüssel und eine leistungsgerechte Bezahlung, junge Ärzte dagegen eine Reduktion der Arbeitsverdichtung und der Dokumentationspflichten (Tabelle).
Alarmierender Befund
Dass im Krankenhaus schwierige Arbeitsbedingungen herrschen und Angestellte häufig unter Stress leiden, wird in verschiedenen Studien beschrieben (2). Erschreckend ist für Dr. med. Kevin Schulte, Sprecher des Jungen Forums des Berufsverbandes Deutscher Internisten (BDI) und Co-Autor der Studie, allerdings das Ausmaß des Befundes dieser aktuellen Studie: „Mehr als 70 Prozent der jungen Angestellten im Krankenhaus leidet unter Burn-out-Symptomen und jeder Fünfte gab sogar an, aufgrund von arbeitsbedingtem Stress bereits Medikamente eingenommen zu haben“, berichtet er dem Deutschen Ärzteblatt. Konkret hätten 15 Prozent der jungen Pflegenden bereits Medikamente wegen Arbeitsstress eingenommen, bei den Ärzten lag dieser Anteil bei 22 Prozent (Grafik). „Das ist wirklich erschreckend und ein deutliches Zeichen dafür, dass es sich bei den betroffenen Kollegen nicht um Einzelfälle handelt, die den körperlichen und psychischen Belastungen im Krankenhaus nicht gewachsen sind“, betont der Internist. Stattdessen sei der Studienbefund symptomatisch für eine generelle Tendenz im deutschen Gesundheitswesen: „Viele Kollegen müssen aufgrund der gesetzten Rahmenbedingungen eine Versorgung leisten, die ihrem persönlichen moralischen Werteempfinden widerspricht.“ Bei dem Versuch, die Probleme des Gesundheitssystems zu lösen, würden sie ausbrennen. Sie hielten die Spannung nicht mehr aus. Schultes Fazit: „Die Gesundheit der Angestellten im Krankenhaus ist unter den aktuellen Arbeitsbedingungen gefährdet.“
Bei der bundesweiten anonymen Onlinebefragung kristallisierten sich diverse Belastungsfaktoren heraus. Zu diesen gehören die Arbeitszeiten. In der Studie zeigte sich, dass die tatsächliche Wochenarbeitszeit von Ärzten noch weitaus höher ist als die von den professionell Pflegenden (mehr als 48 Stunden/Woche: 71 Prozent versus 10 Prozent). Junge Pflegende leisten jedoch häufiger mehr als zwei Wochenenddienste pro Monat (21 Prozent) im Vergleich zu den Ärzten (13 Prozent).
Von verbalen und körperlichen Aggressionen durch Patienten sind professionell Pflegende auch häufiger betroffen als ärztliches Personal. Von jährlich mehr als vier verbalen Angriffen durch Patienten sind 84 Prozent der Pflegenden und 70 Prozent der Ärzte betroffen, von mehr als vier körperlichen Angriffen pro Jahr berichten 74 Prozent der Pflegenden und 34 Prozent der Ärztinnen und Ärzte.
Ein protektiver Faktor für die Gesundheit von Angestellten im Krankenhaus ist dagegen eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden, wie internationale Studien zeigen. Eine geringe interprofessionelle Zusammenarbeit ist dagegen eng mit geringer Arbeitszufriedenheit, Berufsaufgabe und Burn-out assoziiert. „In unserer Studie schätzen die Befragten die interprofessionelle Zusammenarbeit an deutschen Krankenhäusern als eher gering ein“, berichtet Schulte. Interessant sei, dass Pflegende diese noch häufiger als gering bewerteten als Ärzte.
Als ein weiterer unabhängiger Risikofaktor für einen reduzierten Gesundheitszustand und ein hohes Burn-out-Risiko für Ärzte und Pflegende ist deren Überengagement im Beruf bekannt. „Dies kann die aktuelle Studie bestätigen“, so Schulte. Für die Neigung zu einem Überengagement hätten sich aber keine relevanten Unterschiede zwischen den Gruppen bei insgesamt hohen Werten ergeben (Ärzte 64 Prozent, professionell Pflegende 63 Prozent). „Insgesamt verlangt das Ergebnis dieser Studie nach konkreten Verbesserungsmaßnahmen“, betont der junge Arzt. Es sei nicht akzeptabel, dass Ärztinnen und Ärzte im Einsatz für die Gesundheit ihrer Patienten ihre eigene Gesundheit gefährden.
Der BDI hat deshalb die Gesundheitsminister der Länder mit Verweis auf die Studie aufgefordert, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen und der psychischen Gefährdung von Ärzten Einhalt zu gebieten. 2013 sei durch den Bundestag das Arbeitsschutzgesetz novelliert worden, um eine gesundheitsgefährdende psychische Belastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vermeiden, erläutert Schulte. Arbeitgeber hätten also die Pflicht, Missständen entschieden entgegenzutreten. „Das Ergebnis unserer Studie zeigt jedoch, dass die geltende Rechtslage bislang in den Krankenhäusern nicht gelebt wird“, so Schulte. Drei Wochen nach dem Verschicken der Studie hätte sein Berufsverband noch nicht einmal eine Rückmeldung erhalten, berichtet er.
„Es ist sicher schwierig, die Länder zur Wahrnehmung ihrer Aufsichtspflicht zu bringen, aber die Ärzte können auch nicht mehr einfach nur klaglos alle Probleme lösen“, betont der Sprecher des Jungen Forums des BDI. Die Unterfinanzierung der Kliniken und die Rahmenbedingungen, die es Leistungserbringern im Gesundheitssystem erschwerten, gesund eine hochwertige Patientenversorgung zu gewährleisten, müssten dringlich geändert werden.
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
1. | Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz: Arbeitsbedingungen und Gesundheitszustand junger Ärzte und professionell Pflegender in deutschen Krankenhäusern, 13. November 2019. CrossRef |
2. | Deutsches Ärzteblatt Sonderausgabe Arztgesundheit 2019; http://daebl.de/SG51. |
Otto, Carolin
Forstner, Jörg von