THEMEN DER ZEIT
Gentherapie: Härtefallprogramm gefordert


Eine europäische Zulassung für das Gentherapeutikum Zolgensma steht kurz bevor. Zur Überbrückung forderte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Hersteller Novartis auf, „kurzfristig“ ein Härtefallprogramm einzuführen. Das Unternehmen hat jedoch andere Pläne.
Die aktuelle Situation zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (SMA) mit dem hochpreisigen Gentherapeutikum Zolgensma® hat das BMG zu einer raschen Reaktion bewogen. Sie folgen der Anregung der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP), der Universitätsklinika, Krankenkassen und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), die sich für ein Härtefallprogramm ausgesprochen hatten. In einem Brief, der dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) vorliegt, forderte das BMG Novartis auf, das zwei Millionen Euro teure Medikament Zolgensma für bis zu zweijährige Kinder mit SMA bis zu seiner Zulassung für Deutschland kostenfrei abzugeben. Es solle nur dann zum Einsatz kommen, wenn eine Behandlung mit der in Deutschland zugelassenen Alternative Spinraza nicht infrage komme, präzisiert das BMG. Die Betonung der Bitte des Ministeriums liegt auf dem Wort „kurzfristig“. Denn nur eine zeitnahe Einführung eines Härtefallprogramms nach der Arzneimittel-Härtefall-Verordnung könnte den Zeitraum bis zur erwarteten Zulassung im ersten Quartal 2020 überbrücken. Staatssekretär Thomas Steffen hofft, mit dieser Übergangslösung die Verunsicherung betroffener Familien zu lindern.
„Solche zeitlich befristeten Härtefallprogramme gibt es von zahlreichen Unternehmen (darunter auch ihrem) bereits für andere Arzneimittel, sodass bereits umfangreiche Erfahrungen damit vorliegen“, schrieb Steffen. Auch die Firma Biogen habe 2017 vor Markteinführung von Nusinersen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, hieß es im Schreiben der GNP an das BMG vom 29. Oktober 2019.
Der Umstand, dass Zolgensma bereits vor Erteilung der Zulassung im Wege des Einzelimports in den Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes verbracht werde, gehe für alle Beteiligten mit einer „Vielzahl an offenen Fragestellungen“ einher, erklärte Steffen. Dazu gehörten insbesondere die bislang nicht durch eine europäische Zulassung verbindlich vorgegebenen Kriterien zur sicheren Anwendung von Zolgensma.
GKV kritisiert Zeitverzug
Für die „kurzfristige“ Einführung eines deutschen Härtefallprogramms gab es seitens Novartis bisher kein Anzeichen. Auf Anfrage schrieb der Hersteller, man arbeite an einem Vorschlag für ein internationales Programm. „Die Ausgestaltung eines solchen Programms wird eine gewisse Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen“, erklärte eine Sprecherin. Bei Gesprächen mit den Vertretern der Kassen habe man über mögliche Lösungen gesprochen und weitere Gespräche angeboten, um eine gemeinsame Lösung für Deutschland zu finden. Zu der Forderung nach einem Härtefallprogramm für Deutschland wollte sich das Unternehmen hingegen nicht äußern.
Vertreter der GNP halten den wenig konkreten Verweis von Novartis für „nicht ausreichend“. Auf Anfrage des DÄ fordern sie eine rechtssichere Regelung noch 2019. Auch der Spitzenverband Bund der Krankenkassen kritisierte das Vorgehen als „unverantwortliche Inaktivität“. Die Verlagerung der Diskussion auf internationale Ebene führe zu weiterem Zeitverzug, heißt es in einem Schreiben vom 29. November an Avexis/Novartis. Darin stellt Dr. med. Antje Haas, Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim GKV-Spitzenverband, zudem klar, dass Novartis selbst die verzögerte Zulassung zu verschulden habe. Denn die Firma konnte Rückfragen der europäischen Zulassungsbehörde nicht beantworten.
Die GNP geht davon aus, dass in Deutschland deutlich mehr als 100 SMA-Betroffene im Alter unter zwei Jahren leben. Noch vor der europäischen Zulassung wurden inzwischen mindestens zwei Patienten auf Kosten der Krankenkassen behandelt. Der personelle und finanzielle Ressourcenaufwand von gut 6 000 Euro wurde von den Kostenträgern aber bisher nicht vergütet. GKV, G-BA und der Verband der Universitätsklinika (VUD) hatten sich in ihrem Schreiben an das BMG über eine „beispiellose Medienkampagne“ beschwert. Diese hätte erheblichen Druck auf Krankenkassen und Ärzte entfaltet. Zudem erhielten die Familien juristische Unterstützung.
Damit der Fall Zolgensma keine Blaupause für weitere neue, teure Arzneimittel werde, um diese noch vor der Zulassung zu vermarkten, regten Kassen, VUD und G-BA an, Hersteller für ein Härtefallprogramm gesetzlich zu verpflichten. Kathrin Gießelmann
aerzteblatt.de
Therapie ohne Zulassung
Die Kostenübernahme für eine nicht zugelassene Gentherapie gefährdet eine indikationsgerechte Anwendung.
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