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Versorgungsmängel: Angespannte Lage


Bundesgesundheitsminister Jens Spahn steht für eine extrem hohe Schlagzahl in der Gesetzesproduktion. Sein Umsatz von 16 in 2019 eingebrachten Gesetzesentwürfen ist Rekord und brachte auch in diesem Jahr wieder extreme Bewegung in die zunehmend angespannte Versorgungslage. Ob die vom Ministerium oft in Patchwork erstellte Gesetzesdecke später als Glücksgriff oder Schadensfall in die gesundheitspolitische Historie eingehen wird, darüber werden fachliche Gemüter wohl auch im kommenden Jahr weiter streiten.
Das aus der Ärzteschaft sicherlich nicht in diesem Ausmaß herbeigesehnte Arbeitsquantum der Legislative bewirkt eine mitunter als extrem hektisch bezeichnete Betriebsamkeit im Bundesgesundheitsministerium (BMG), die nicht ohne Kollateralschäden blieb: Dem Pflegekräftemangel in der stationären Versorgung durch die Festsetzung von Personaluntergrenzen zu begegnen, klang beispielsweise erstmal gut, sollte zu planendem Handeln zwingen. Aber in einem leergefegten Markt Personal einzustellen, erinnert eher an den sprichwörtlichen Griff in die Tasche nackter Menschen. Wo nichts ist, gibt es auch nichts zu holen. Die Folge: In der stationären Versorgung mussten Operationen abgesagt, Säle oder auch ganze Stationen mangels gesetzlich erforderlichen Personals geschlossen werden.
Ähnliches gilt für die vom Gesetzgeber geschaffenen Terminservicestellen: Wer die zunehmende Mangelsituation mit einem schnelleren Terminzugang zu Ärzten belastet, ändert nichts an der Versorgungslage. Das Ergebnis: Chroniker und ältere Stammpatienten werden durch Warten ausbaden müssen, was agile Erstzugänge für sich an Terminen erstreiten konnten. Spahn fröhnt hier dem „Rechte Tasche – linke Tasche“-Prinzip. Der Terminservice schafft nun mal keine zusätzlichen Ärzte.
Zugestanden sei, dass solche in der Öffentlichkeit politisch gut verkaufbaren Maßnahmen durch mehrgleisig angeschobene Personalbeschaffung, sei es durch die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze hierzulande, sei es durch Rekrutierung von Kräften aus anderen Teilen der Welt, flankiert werden sollen. Und wohlgemerkt: Diese Sachlage wird nicht dadurch leichter, dass sie nicht singulär für das Gesundheitssystem, sondern symptomatisch für viele Bereiche unserer Gesellschaft ist. Fakt bleibt: Bis für die Versorgung qualitativ gut ausgebildete Kräfte zur Verfügung stehen und Entlastung bringen können, bleibt eine Durststrecke zu bewältigen, die durch unbürokratische und auch motivationsstärkende Sofortmaßnahmen flankiert gehört.
Auch die Frage, ob die mit viel Verve verfolgte Digitalisierung als zusätzlicher Rationalisierungsmotor Schwung ins System bringen kann, hängt letztlich von der Bereitschaft zu pragmatischen Lösungen ab. Monokausal darauf zu hoffen, dass das Digitale Versorgungsgesetz, elektronische Patientenakte, digital gestützte Fernbehandlung oder elektronisch vermittelte konsiliarische Beratung zusätzliche Luft verschaffen, ist von intelligenten Konzepten, praktikablen Lösungen, aber auch von der Akzeptanz aller handelnden Beteiligten abhängig. Was das angeht, muss auch das BMG noch lernen. Hier muss erst das jetzt Angegangene konsolidiert werden, bevor weitere Baustellen geplant werden.
Die Redaktion wünscht allen Lesern ein gesundes, erfolgreiches und hoffentlich entspannteres 2020.
Egbert Maibach-Nagel
Chefredakteur
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