

Der Fachkräftemangel ist derzeit das größte Problem in der Pflege. Ein Bündnis aus Krankenhäusern, Pflegeverbänden und Verdi hat nun ein Instrument vorgestellt, um den stationären Pflegebedarf zu messen. Mit dessen Hilfe sollen wieder mehr Menschen für den Beruf gewonnen werden.
Ein Bündnis aus der Gewerkschaft Verdi, dem Deutschen Pflegerat (DPR) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) hat mit der Pflegepersonal-Regelung (PPR) 2.0 ein Instrument vorgelegt, mit dem der Bedarf an Pflegekräften im Krankenhaus gemessen werden soll. Damit kommt es einer Aufgabe aus dem Abschlussbericht der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) nach, mit der die Bundesregierung dem aktuellen Fachkräftemangel in der Pflege begegnen will.
„Das wirksamste Mittel gegen den akuten Fachkräftemangel in der Pflege ist eine Personalausstattung, die eine gute Pflege ermöglicht und die Beschäftigten vor Überlastung schützt“, sagte Sylvia Bühler aus dem Vorstand von Verdi Mitte Januar bei der Vorstellung des Instruments in Berlin.
Teufelskreis durchbrechen
„Mit der PPR 2.0 wird der Teufelskreis von schlechten Arbeitsbedingungen, Überlastung von Pflegekräften und Fachkräftemangel durchbrochen“, betonte Bühler. Sie sei ein wichtiges Signal, um die Menschen für den Beruf zu begeistern und die Beschäftigten in der Pflege zu halten.
Die PPR 2.0 ist eine Weiterentwicklung der Pflegepersonalregelung, mit der in den 1990er-Jahren bereits der Bedarf an Pflegekräften im Krankenhaus gemessen wurde. „Damals wurden in der Folge 30 000 neue Pflegekräfte in Krankenhäusern eingestellt“, erklärte der Präsident des DPR, Franz Wagner, „bevor die Politik die Reißleine gezogen und die PPR wieder außer Kraft gesetzt hat“.
Mit der PPR 2.0 soll der Pflegebedarf im Krankenhaus auf der Basis von Minutenwerten gemessen werden. Sie setzt sich zusammen aus Grund- und Fallwerten sowie Leistungen im Bereich einer allgemeinen und einer speziellen Pflege (A- und S-Bereich) am Patienten.
Der Grundwert beinhaltet dabei Leistungen ohne direkten Patientenbezug, zum Beispiel Leitungsaufgaben und Teambesprechungen. Im Fallwert sind zum Beispiel die Aufnahme und die Entlassung der Patienten zusammengefasst.
Die allgemeine Pflege umfasst unter anderem Leistungen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilisation. Sie wird in vier Leistungsstufen unterteilt. A1 wird dabei für Grundleistungen verwendet, A4 für hochaufwendige Leistungen, die derzeit im Pflegekomplexmaßnahmen-Score abgebildet sind. Die spezielle Pflege berücksichtigt beispielsweise Leistungen im Zusammenhang mit operativen und invasiven Maßnahmen, die medikamentöse Versorgung sowie Wund- oder Hautbehandlungen. Zur Stufe S4 gehört die pflegerische Übernahme ärztlicher Leistungen in mehreren Fällen.
„Das Instrument umfasst die Versorgung zwischen 6 Uhr und 22 Uhr auf den bettenführenden Stationen – bislang allerdings nicht für die Intensivmedizin und für die Pädiatrie“, erklärte Wagner. „Dafür werden zeitnah weitere Instrumente entwickelt.“ Die Erfassung erfolge einmal täglich automatisiert aus der Pflegedokumentation und sei somit bürokratiearm.
„Die PPR 2.0 wurde Ende 2019 an 44 Krankenhäusern erprobt“, so der DPR-Präsident. „Die Rückmeldung aus den Häusern ist: Das Instrument funktioniert gut.“ Da die teilnehmenden Krankenhäuser nicht repräsentativ ausgewählt worden seien, gebe es bislang allerdings keine Zahl für einen auf Basis der PPR 2.0 errechneten Gesamtpflegebedarf. „Wir gehen aber davon aus, dass 40 000 bis 80 000 Pflegekräfte im Krankenhaus fehlen“, so Wagner.
Langfristige Aufgabe
„Wir werden also viel zusätzliches Personal brauchen, um die PPR 2.0 voll erfüllen zu können“, sagte der Präsident der DKG, Dr. rer. pol. Gerald Gaß. „Das ist eine mittel- bis langfristige Aufgabe – aber auch eine Aufgabe, auf die sich die Krankenhäuser durch Maßnahmen wie die Erhöhung von Ausbildungsplätzen einstellen können.“
Am Tag zuvor habe das Bündnis die PPR 2.0 Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in einem persönlichen Gespräch vorgestellt, erklärte Gaß. Dabei habe der Minister die Prüfung des Instruments signalisiert. „Wir sind zuversichtlich, dass unser Vorschlag auf Interesse stößt“, meinte der DKG-Präsident. „Die Krankenhäuser sehen sich in jedem Fall in der Lage, die PPR 2.0 ab dem Jahr 2021 umzusetzen.“
Junge Menschen gewinnen
Wichtig sei es, mithilfe der PPR 2.0 insbesondere mehr junge Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen. „Dafür müssen wir in den Ausbildungsstätten die Kapazitäten zur Verfügung stellen“, sagte Gaß. „Im Rahmen des digitalen Zukunftsprojekts Industrie 4.0 werden in der Industrie viele Arbeitsplätze wegfallen. Es gibt einen Strukturwandel am deutschen Arbeitsmarkt hin zu mehr Dienstleistungsorientierung. Diese Chance müssen und wollen wir nutzen.“
Zudem sei es das Ziel, dass Teilzeitkräfte wieder in Vollzeit arbeiten und dass Pflegekräfte aus dem Ausland für eine Arbeit in Deutschland gewonnen werden. Darüber hinaus sei es wichtig, die Entbürokratisierung voranzutreiben. Denn auf diese Weise könne Zeit für die Arbeit am Bett gespart werden.
Ebenfalls vorgestellt wurden von den drei Partnern konsentierte „Eckpunkte zur Umsetzung der PPR 2.0“. Darin heißt es, dass der mit der PPR 2.0 gemessene Pflegebedarf die Grundlage für die Verhandlungen des Pflegebudgets darstellen solle. Wie die Bundesregierung Ende 2018 im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz beschlossen hat, verhandeln ab diesem Jahr Krankenhäuser mit den Krankenkassen jährlich den individuellen Bedarf an Pflegekräften im Krankenhaus. Die entsprechenden Pflegepersonalkosten müssen von den Krankenkassen bezahlt werden. Die Fallpauschalen, in denen die Pflegepersonalkosten bislang enthalten waren, wurden zuvor entsprechend bereinigt.
In den Budgetverhandlungen sollen zusätzlich zu dem nach PPR 2.0 gemessenen Pflegebedarf auch die Ausfallzeiten berücksichtigt werden, Praxisanleitungen und die nicht in der PPR enthaltenen Nachtdienste, heißt es in den Eckpunkten. In den Nachtdiensten sollen dabei grundsätzlich mindestens zwei Pflegepersonen arbeiten, davon mindestens eine Pflegefachkraft. Ausfallkonzepte sollen zudem „so viel Personal vorsehen, dass die im Krankenhaus gemessenen durchschnittlichen Ausfallzeiten kompensiert werden“. Kurzfristige Dienstplanänderungen seien dabei zu vermeiden.
Den Eckpunkten zufolge sollen die Krankenhäuser künftig die Sollbesetzung laut Dienstplan und die Ist-Besetzung einer Station dokumentieren und im Intranet veröffentlichen. Zudem sollen die Pflegepersonaluntergrenzen, die derzeit in verschiedenen Krankenhausbereichen gelten, wegfallen.
Die Resonanz auf die PPR 2.0 ist positiv. „Mit dem neuen Pflegepersonalbemessungsinstrument werden die Weichen in die richtige Richtung gestellt, um Patienten qualifiziert zu versorgen und ihnen die benötigte Zuwendung entgegenzubringen, die den Heilungsprozess unterstützt“, erklärte zum Beispiel der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes, Christoph Radbruch.
Vernünftiger Vorschlag
„Heute ist ein guter Tag für die Pflege im Krankenhaus“, meinte der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Harald Weinberg. „Endlich gibt es einen vernünftigen Vorschlag für eine bedarfsgerechte Personalbemessung.“ Daraus müsse jetzt schnell ein Gesetz werden. Falk Osterloh
BÄK fordert Personalvorgaben für alle Berufsgruppen
Im August vergangenen Jahres hat der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) ein Positionspapier veröffentlicht, in dem er sowohl verbindliche Personalvorgaben für Ärzte im Krankenhaus fordert als auch die Einführung eines Ampelsystems, mit dem die Personalausstattung einer Station sofort klar ersichtlich ist.
„Viele Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus arbeiten am Rande der Belastungsgrenzen, was zu einer Gefährdung der Arztgesundheit und der Patientensicherheit führen kann“, heißt es in dem Positionspapier „Prinzipien und Kriterien zu Personalvorgaben für Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus“. Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG-Entgelten sowie die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen in verschiedenen Bereichen würden ohne wirksame Gegenmaßnahmen zu einer weiteren Verschärfung der Arbeitsbelastung für die übrigen Berufsgruppen im Krankenhaus führen. Auch deshalb bedürfe es verbindlicher, patienten- und aufgabengerechter Personalvorgaben für alle im Krankenhaus tätigen Berufsgruppen.
Bei der Einführung der Pflegepersonaluntergrenzen hat sich gezeigt, dass in manchen Krankenhäusern die Untergrenzen zu Obergrenzen gemacht wurden. Ein Ampelschema soll die Untergrenzen nach Auffassung der BÄK künftig als Untergrenzen ausweisen. Eine Personalausstattung unterhalb der Grenzwerte liegt demnach im roten Bereich und führt zu einer Patientengefährdung. Im gelben Bereich liege eine adäquate Personalausstattung vor, heißt es weiter, bei der die ärztliche Arbeitsbelastung hoch ist und es für die Patienten zu Einschränkungen in der Versorgung kommen kann. Erst im grünen Bereich liege eine „patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung vor“.
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