ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2020Organspenderegelung: Kein richtig oder falsch

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Organspenderegelung: Kein richtig oder falsch

Schmedt, Michael

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Michael Schmedt, Stellv. Chefredakteur
Michael Schmedt,
Stellv. Chefredakteur

Fair, respektvoll, emotional, aber immer um die Sache ringend. Immer wenn die Bundestagsabgeordneten ohne Fraktionszwang – wie vergangene Woche zur Neuregelung der Organspende – abstimmen dürfen, sind die Debatten beispielhaft. Solch eine intensive Diskussionskultur wünschte man sich manches Mal auch bei nichtmedizinethischen Themen. Das Votum für die erweiterte Zustimmungsregelung der Gruppe um Annalena Baerbock (Grüne) und Katja Kipping (Linke) war dann doch klarer als erwartet. (Seite 121) Denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wurden in den letzten Wochen nicht müde, für ihren Vorschlag der doppelten Widerspruchslösung zu werben. Spahns Vorschlag entspricht seiner Politik. Er sieht einen Missstand, will ihn beheben und das schnell. Dass die Entscheidung letztlich nicht für den rigoroseren Vorschlag fiel, mag auch daran gelegen haben, dass Spahn oft Emotionen schürte, indem er auf die vielen Menschen verwies, die schon Jahre auf ein Organ warten. Dies erzeugt einen moralischen Druck, dem man sich kaum erwehren kann. Denn die Widerspruchslösung lässt keinen Raum für einen Kompromiss. Dies spielte den Anhängern der Zustimmungslösung in die Karten, die immer wieder davor warnten, dass mit der Widerspruchsregelung das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über ihren eigenen Körper in Gefahr sei.

Dabei hätte der Zustimmungsregelung eine Pflicht zur Entscheidung durchaus gutgetan. Diese war anfangs sogar noch in der Initiative von Baerbock und Kipping vorhanden. Demnach hätte sich jeder Bürger, der einen Ausweis beantragt, bei der Abholung entscheiden müssen, ob er Organspender sein möchte oder sich zumindest äußern, dass er sich noch nicht entschieden hat. Die Antworten sollten in einem bundesweiten Register eingetragen werden. Diese Verpflichtung ging dann im politischen Prozess verloren, wohl um mehr Abgeordnete für den Vorschlag zu gewinnen. Daher ist die jetzige Regelung nicht die bessere. Menschen beschäftigen sich verständlicherweise nicht gerne mit dem Sterben und der Frage, was nach dem Tod mit ihrem Körper geschehen soll. Gerade weil 84 Prozent der Bevölkerung sich für die Organspende aussprechen, aber nur 36 Prozent einen Organspendeausweis besitzen, sollte sich der Bürger entscheiden müssen.

Dennoch kann man ein positives Resümee ziehen: Spahn hat das Thema Organspende wieder so in die Aufmerksamkeit der Bevölkerung gerückt, wie es notwendig ist. Zudem sind mit der Änderung des Transplantationsgesetzes im vergangenen Jahr Strukturverbesserungen in der Transplantationsmedizin beschlossen worden, die einen Anstieg der Organspendezahlen versprechen. Das Paradebeispiel Spanien macht deutlich, wie die ausreichende Finanzierung der Krankenhäuser und hauptamtliche Transplantationsbeauftragte die Organspenderate erhöhen.

Und Kategorien wie richtig oder falsch sollten außen vor bleiben. Wenn die BILD-Zeitung eine Patientin, die auf ein Herz wartet, zitiert: „Ich muss weiter auf ein neues Herz warten“ und damit suggeriert, mit der Widerspruchslösung hätte sich dies sofort geändert, hilft dies keinem. Es tut zudem den Abgeordneten Unrecht, denen eins sicher gemein ist: Sie wollen den Menschen helfen, die auf ein Organ warten. Die Entscheidung ist zwar nicht für die zielführendere Lösung gefallen. Dennoch haben sich die Chancen für mehr Organspenden mit zwei Gesetzen verbessert. Jetzt gilt es, diese zu nutzen.

Michael Schmedt
Stellv. Chefredakteur

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