THEMEN DER ZEIT
Drug-Checking: Im Zweifel lebensrettend


Konsumenten von Partydrogen sind immer der Gefahr von Überdosierung oder toxischer Verunreinigung ausgesetzt. Eine Analyse der Substanzen mittels Drug-Checking kann die Risiken minimieren – auch weil die Betroffenen auf diese Weise von der Suchthilfe erreicht werden.
Vor mehr als 25 Jahren wurde in den Niederlanden das erste Angebot eingerichtet, bei dem Konsumierende ihre Drogen analysieren lassen können. Unter dem sogenannten Drug-Checking versteht man die chemische Analyse von illegal erworbenen psychotropen Substanzen, verbunden mit einem Beratungsgespräch, um potenzielle Konsumenten vor besonders gesundheitsschädlichen Substanzen warnen zu können. Inzwischen wird Drug-Checking in Österreich, der Schweiz, Spanien, Frankreich und anderen Ländern offiziell angeboten. Deutschland tut sich hingegen schwer mit der Legalisierung von Drogentests: In den 1990er-Jahren führte der Suchthilfeverein Eve & Rave in Berlin das erste Drug-Checking auf Partys durch. Dieses musste nach polizeilichen Ermittlungen eingestellt werden. Die Angeklagten wurden zwar freigesprochen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gab jedoch damals eine Weisung an alle staatlichen Labors, keine Proben mehr von zivilen Organisationen anzunehmen.
Die Stimmung im BMG ändert sich gerade: Daniela Ludwig, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, seit September im Amt, zeigt sich offen dafür, Drogenchecks als mögliches Instrument der Suchtpolitik in Deutschland zu prüfen. „Drug-Checking ist eine Möglichkeit der Schadensminimierung und des Gesundheitsschutzes, die wir genauer in den Fokus nehmen müssen“, sagte die CSU-Politikerin beispielsweise zuletzt nach dem Besuch bei einem entsprechenden Projekt im österreichischen Innsbruck. Darauf habe sie sich mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verständigt. Die Sprecherin für Drogenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, Dr. med. Kirsten Kappert-Gonther, sagte dazu: „Drug-Checking kann Leben retten. Es ist ein Fortschritt, dass diese Erkenntnis inzwischen auch bei der CDU/CSU angekommen ist.“ Schadensminimierende Ansätze sollten besser gefördert werden und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sollte Drug-Checking-Projekte ihrer Meinung nach grundsätzlich genehmigen.
Wirkstoffgehalte stark erhöht
„Drug-Checking ist gerade in den letzten Jahren nötiger denn je geworden: Die Wirkstoffgehalte in Ecstasy-Tabletten haben sich deutlich erhöht und schwanken stark. Zudem tauchen immer wieder Drogen auf, die toxische Synthesenebenprodukte oder unerwartete Wirksubstanzen enthalten“, erklärt Dr. phil. Bernd Werse vom Centre for Drug Research an der Goethe- Universität Frankfurt am Main gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). Dabei erfülle das Drogentesten vielerlei Funktionen: durch die individuelle Rückmeldung werde der Konsument vor Schäden bewahrt; die Mitarbeiter der Suchthilfe könnten ihn beraten und bei Bedarf in Therapie vermitteln. Zudem würden durch Aushänge riskanter Pillen auch andere gewarnt; das Zusammentragen der Daten erfülle darüber hinaus eine Marktmonitoring-Funktion, sagt Werse.
Auch der Psychiater Dr. med. Felix Betzler, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin, erklärt gegenüber dem DÄ: „Aus medizinischer Sicht ist Drug-Checking unbedingt sinnvoll, weil wir wissen, dass der Konsum ohnehin stattfindet. Unser Interesse im Sinne des Harm Reduction ist dann natürlich, dass die Konsumenten möglichst viel über die Risiken wissen.“ Nach einer Studie, mit der Betzler und Mitarbeiter den Substanzkonsum und die Erwartungen an Präventionsangebote in der Berliner Partyszene untersucht haben (1), bewerteten Partygänger Drug-Checking zur Prävention als am sinnvollsten, gefolgt von der Förderung von verantwortungsvollem Konsum und festen Beratungsstellen.
Betzler leitet unter anderem die Spezialsprechstunde „Partydrogen“, die seit einem halben Jahr an der Charité angeboten wird. Dorthin kommen Menschen, die eine psychiatrische Erkrankung in Zusammenhang mit Substanzkonsum haben: zum Beispiel Panikattacken nach Stimulanzien oder anhaltende Wahrnehmungsveränderung und Psychosen nach Halluzinogenen. Notwendig geworden sei die Spezialsprechstunde, weil Berlin eine sehr ausgeprägte Partyszene hat. „Die Auswirkungen sehen wir in den Rettungsstellen und auf den Stationen“, sagt Betzler.
Amphetamine und MDMA häufig
Besonders sinnvoll ist Drug-Checking nach Ansicht des Psychiaters bei den Substanzen, die sehr häufig konsumiert werden und bei denen ein hohes Risiko für Überdosierung oder Verunreinigung besteht. Der SuPrA-Survey hat gezeigt, dass nach Alkohol und Cannabis am häufigsten Amphetamine (Speed) und MDMA (Ecstacy) konsumiert werden. Die Hälfte aller Partygänger konsumiert innerhalb eines Monats beides. Rund ein Drittel konsumiert Kokain und ebensoviele Ketamin. Betzler sieht wie Drogenforscher Werse einen „enormen Anstieg“ der Konzentration in MDMA-Pillen: „Beim Drug-Checking geht es deshalb nicht nur darum Verunreinigungen zu vermeiden, sondern Überdosierungen. Die intuitive Annahme, dass eine Pille eine Konsumeinheit ist, gilt nicht mehr“, betont der Arzt. Unwissende Touristen oder Erstkonsumenten landeten ohne die Tests deshalb schnell in der Rettungsstelle.
Partygänger würden ihr Konsumverhalten durchaus an den Ergebnissen des Drug-Checkings ausrichten. Das hat ein noch unveröffentlichter Survey in der Berliner Partyszene ergeben, den Betzler und Mitarbeiter durchgeführt haben. Im Fall eines sehr hohen Wirkstoffgehaltes der Probe würde über 90 Prozent der Konsumenten weniger einnehmen, um Überdosierung zu vermeiden. Bei Verunreinigung mit einer unerwarteten Substanz würde über 60 Prozent die Substanz komplett verwerfen. „Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen ihren Konsum risikoärmer gestalten würden, doch dazu müssten sie wissen, was in den Pillen drin ist“, sagt Betzler. Eine Studie aus der Schweiz zeigt, dass es keine Zunahme des Konsums nach der Einführung von Drug-Checking-Angeboten gibt, sondern tatsächlich einen Rückgang (2).
Das erste Modellprojekt zum Drug-Checking in Deutschland soll demnächst in Berlin an den Start gehen. Drei freie Träger der Suchthilfe haben ein Konzept erarbeitet, das ein stationäres Drogentesten in die bestehenden Drogenberatungsstrukturen einbindet. Aufgrund der komplexen Rechtslage musste zuvor eine Stellungnahme eingeholt werden. Prof. Dr. jur. Cornelius Nestler, Institut für Strafrecht an der Universität Köln, bestätigte, dass sich die Mitarbeiter der Suchthilfe im Rahmen des Projekts nicht strafbar machen. „Bei einem ersten Gespräch mit einem Mitarbeiter der Einrichtung wird die Drogenprobe genommen und ein Beratungsgespräch angeboten. Das Drug-Checking erfolgt durch hochwertige instrumentelle Analysemethoden“, erläutert Lena Hoegemann von der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Der Konsument erhalte einen Nicknamen oder einen Zahlen-Ziffern-Code. Das aufbereitete Analyseergebnis könne dann online, telefonisch oder in einem weiteren Beratungsgespräch erfragt werden. „Wir wollen Drogenkonsumenten frühzeitig erreichen, Überdosierungen vermeiden, und auch mit einer Evaluation neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Konsumverhalten und Drogenmarkt in Berlin gewinnen“, berichtet Hoegemann. Einen genauen Startzeitpunkt kann sie indes nicht nennen: derzeit liefen Abstimmungen mit einem möglichen Testlabor. Mittel für das Projekt seien im Haushalt für 2020/21 eingestellt.
Mobiles Drug-Checking sinnvoll
Bei dem anvisierten Modellprojekt in Berlin müssen die Konsumenten ein paar Tage warten, bevor sie ein Testergebnis bekommen. „Es ist wünschenswert, Drug-Checking auch direkt in den Clubs oder auf Festivals durchzuführen, dort wo die Drogen konsumiert werden“, sagt Drogenforscher Werse. Aber auch stationäre Angebote würden genutzt, wie Beispiele aus dem Ausland zeigten. In Zürich beispielsweise, wo das Drogeninformationszentrum im Auftrag des Sozialdepartments der Stadt seit 2001 Drug-Checking anbietet, können Substanzen jeden Dienstag und Freitag abgegeben werden. Das Ergebnis kann drei Tage später abgefragt werden. Zusätzlich findet achtmal im Jahr ein mobiles Drug-Checking statt. Die Orte sind der Webseite www.saferparty.ch zu entnehmen, die auch vor gefährlichen Pillen warnt, die aktuell im Umlauf sind. Partydrogen-Experte Betzler findet perspektivisch ein zusätzliches mobiles Drug-Checking ebenfalls sinnvoll. Doch auch ein stationäres widerspreche nicht der Realität. Seine Studie hat ergeben, dass sich die Mehrzahl der Konsumenten die Drogen nicht bei dem Event, sondern davor kaufen. Petra Bühring
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0520
oder über QR-Code.
1. | Betzler F, Ernst F, Helbig J, Viohl L: Substance use and prevention programs in berlin’s party scene: results of the SuPrA-Study. European Addiction Res 2019; 25(6):1–10 CrossRef MEDLINE |
2. | Hungerbühler I, Bücheli A, Schaub M P: Drug Checking: A prevention measure for a heterogeneous group with high consumption frequency and polydrug use – evaluation of Zurich‘s drug checking services. Harm Reduction Journal 2011; 8(1): 16 CrossRef |
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