POLITIK
Lieferengpässe: Ruf nach europäischer Strategie


Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung fordern ein gemeinsames Vorgehen der Europäischen Union, um Lieferengpässe von Arzneimitteln zu begrenzen. Zu den Zielen zählt, die Wirkstoffproduktion auf möglichst viele Hersteller zu verteilen.
Seit Jahren haben Ärzte und Apotheker mit Arzneimittellieferengpässen zu kämpfen. Einige Maßnahmen hat der Gesetzgeber bereits ergriffen (siehe Kasten). Doch zusehends zeigt sich: Sie reichen nicht aus. Deshalb haben die Bundesärztekammer (BÄK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nun eine einheitliche Strategie der Europäischen Union (EU) angemahnt, um die Ursachen der Liefer- und Versorgungsengpässe zu bekämpfen. Dafür trafen sie sich am 23. Januar in Brüssel mit Vertretern von Europäischer Kommission, Europäischem Parlament sowie der Ärzteschaft auf EU-Ebene, Generikaherstellern und Krankenkassen.
„Die Ursachen für die Liefer- und Versorgungsengpässe sind vielfältig“, erklärten beide Organisationen im Anschluss an das Treffen. „Sie beinhalten unter anderem die Verlagerung der Produktion von Rohstoffen und Arzneimitteln ins außereuropäische Ausland, eine Marktkonzentration auf wenige Hersteller, Qualitätsprobleme und unzureichende Transparenz hinsichtlich bestehender oder drohender Engpässe.“
Produktion zurück nach Europa
BÄK-Präsident Dr. med. (I) Klaus Reinhardt sprach sich dafür aus, die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen nach Europa zurückzuholen. „Dies würde die Lieferwege verkürzen und die Überwachung der Arzneimittelherstellung erleichtern“, erklärte er. Außerdem könne so sichergestellt werden, dass europäische Standards, etwa beim Umweltschutz, bei der Produktionssicherheit und bei den Arbeitsbedingungen eingehalten werden.
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, forderte pragmatische Lösungen. Gegenseitige Schuldzuweisungen seien wenig hilfreich. „Die Lieferengpässe eröffnen der EU die Chance, ihre Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und gleichzeitig einen echten Mehrwert für die Mitgliedsstaaten zu schaffen.“
Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, sowie deren stellvertretender Vorstandsvorsitzender Dr. med. Stephan Hofmeister schlugen vor, die Wirkstoffproduktion auf möglichst viele Hersteller zu verteilen. „Außerdem sollte für die Hersteller eine Meldeverpflichtung im Falle von Engpässen bestehen“, forderte Hofmeister. „Eine Taskforce auf EU-Ebene könnte Vorschläge erarbeiten, wie eine solche Verpflichtung aussehen soll.“ Basierend auf einer europäischen Liste versorgungsrelevanter Arzneimittel sollte aus Sicht von BÄK und KBV im Falle bestehender oder absehbarer Engpässe eine Meldung an die zuständigen nationalen Stellen und die Europäische Arzneimittel-Agentur verpflichtend sein.
Beide Ärzteorganisationen halten ein koordiniertes Handeln auf EU-Ebene für notwendig. Denn einseitige nationale Maßnahmen drohten, die Versorgungslage in anderen europäischen Mitgliedsstaaten zu verschlechtern, ohne die Verfügbarkeit insgesamt zu verbessern. Der Präsident des Ständigen Ausschusses der Ärzte der Europäischen Union, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, forderte, dass Europa die Führung bei der Suche nach Lösungen für dieses weltweite Problem übernehmen müsse. Falk Osterloh
Maßnahmen gegen Lieferengpässe
Durch das im Jahr 2017 verabschiedete Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) wurden Pharmaunternehmen verpflichtet, bei Kenntnissen über Lieferengpässe bei bestimmten Arzneimitteln sofort die Krankenhäuser zu informieren. Um Lieferengpässe von vornherein zu vermeiden, erhalten die zuständigen Behörden die Möglichkeit, von Herstellern Informationen zu Absatzmengen und Verschreibungsvolumen des betreffenden Arzneimittels zu fordern. Um die Akutbehandlung von Patienten zu verbessern, können Krankenhausapotheken Im-portarzneimittel bis zu einer bestimmten Grenze auf Vorrat bestellen.
Wie im sogenannten Pharmadialog vereinbart, findet seit 2016 ein „Jour fixe“ zum Thema Lieferengpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und der Fachkreise statt, bei dem die Versorgungslage beobachtet und bewertet wird. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bietet eine Übersicht zu aktuellen Lieferengpässen für Humanarzneimittel an, die auf den Meldungen durch die pharmazeutischen Unternehmer beruhen. Diese basieren auf einer ebenfalls im Pharmadialog erklärten Selbstverpflichtung der Industrie. Die Liste der als versorgungsrelevant angesehenen Wirkstoffe wird im Jour fixe zu Liefer- und Versorgungsengpässen regelmäßig aktualisiert.
Derzeit planen Union und SPD, weitere Maßnahmen im Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz aufzunehmen. Demnach soll der Jour fixe beim BfArM gesetzlich verankert werden und unter anderem die Versorgungsrelevanz eines Lieferengpasses unter Berücksichtigung möglicher bestehender Therapiealternativen bewerten. Zudem soll das BfArM die Möglichkeit erhalten, im Einzelfall eine Lagerhaltung anzuordnen.
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