ArchivDeutsches Ärzteblatt5/2020MB-Monitor 2019: Ärzte fühlen sich überlastet

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MB-Monitor 2019: Ärzte fühlen sich überlastet

Korzilius, Heike

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Krankenhausärztinnen und -ärzte wünschen sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Außerdem fordern sie eine deutliche Entlastung von Verwaltungstätigkeiten, damit sie mehr Zeit für die Patientenversorgung haben. Befragt wurden 6 500 Mitglieder des Marburger Bundes.

Foto: Juanmonino/iStock
Foto: Juanmonino/iStock

Die Ärztinnen und Ärzte an deutschen Krankenhäusern fühlen sich überlastet, viele von ihnen so sehr, dass ihre Gesundheit leidet. Das hat eine Befragung des Marburger Bundes (MB) unter seinen Mitgliedern ergeben. Die Ergebnisse des alle zwei Jahre erhobenen MB-Monitors stellte die Ärztegewerkschaft am 23. Januar in Berlin vor. 6 500 angestellte Ärzte beteiligten sich an der Online-Umfrage, die das Institut für Qualitätsmessung und Evaluation im Auftrag des MB im September und Oktober 2019 durchführte. Erstmals konnten sich diese dort auch zum Thema Arbeit und Gesundheit äußern.

Dem MB-Monitor zufolge haben drei Viertel der Befragten das Gefühl, dass die Gestaltung der Arbeitszeiten sie in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, zum Beispiel in Form von Schlafstörungen oder häufiger Müdigkeit. 15 Prozent der Ärzte gaben an, dass sie durch ihre Arbeit schon einmal so stark psychisch belastet waren, dass sie ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen mussten. 49 Prozent sagten, sie fühlten sich häufig überlastet. Und jeder Zehnte gab an, er gehe ständig über seine Grenzen hinaus. Drei Viertel äußerten, ihr Privatleben leide unter der hohen Arbeitsbelastung.

„Das ist ein schockierender Befund“, sagte die 1. Vorsitzende des MB, Dr. med. Susanne Johna. Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern müssten sich grundlegend verbessern. Nur dann könnten Ärzte ihre Patienten so versorgen, wie es ihren Vorstellungen entspreche. „Wer auf Dauer an seinen eigenen Ansprüchen scheitert und keine Zeit hat für Gespräche mit Patienten, für kollegialen Austausch und nach der Arbeit für Familie und Freunde, fängt irgendwann an, die eigene Tätigkeit infrage zu stellen“, meinte Johna. Weder der Politik noch den Krankenhäusern dürfe diese Entwicklung gleichgültig sein. Bereits jetzt denke jeder fünfte Klinikarzt über einen Berufswechsel nach.

Trend zu Teilzeit ungebrochen

Der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance zeigt sich nach Ansicht von Johna insbesondere daran, dass der Trend zur Teilzeitarbeit ungebrochen ist. Gaben im MB-Monitor 2013 noch 15 Prozent der Ärzte an, mit reduzierter Stundenzahl zu arbeiten, waren es 2019 bereits 26 Prozent. Demnach war es das Ziel der meisten Befragten, sich einen freien Tag in der Woche zu schaffen. Diese „private Arbeitszeitreform“ sei ein klares Indiz dafür, dass die Krankenhäuser zu wenig in eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben investierten, sagte Johna. Das zeige sich auch daran, wie die geleistete Arbeitszeit von der gewünschten abweiche. Vollzeittätige Ärzte arbeiteten im Durchschnitt 56,5 Stunden in der Woche, inklusive aller Dienste und Überstunden. Die meisten wünschten sich dagegen eine wöchentliche Arbeitszeit von nicht mehr als 48 Stunden, der gesetzlich verankerten Höchstarbeitszeit.

37 Prozent der Ärzte leisteten eine bis vier Überstunden pro Woche, 38 Prozent leisteten fünf bis neun Überstunden, 21 Prozent zehn bis 19 Stunden und vier Prozent mehr als 20 Stunden pro Woche. Hochgerechnet auf die 186 000 Krankenhausärzte ergäben sich so rund
65 Millionen Überstunden pro Jahr. „Das ist inakzeptabel“, betonte Johna. Zu viel Zeit verbringen die Ärzte aus ihrer eigenen Sicht mit Verwaltungstätigkeiten. Der tägliche Zeitaufwand für Datenerfassung, Dokumentation und Organisation sei im Vergleich zu früheren Befragungen deutlich gestiegen, erklärte Johna. Gaben 2013 lediglich acht Prozent der Ärzte an, mindestens vier Stunden täglich mit Verwaltungstätigkeiten befasst zu sein, seien es in der aktuellen Umfrage 35 Prozent. „Das ist eine enorme Arbeitszeitverschwendung“, kritisierte die MB-Vorsitzende. Diese Zeit könnten Ärzte statt am Schreibtisch besser am Krankenbett verbringen. Entlastung könne durch eine bessere Besetzung der Stationssekretariate geschaffen werden. Verhindert werde das zurzeit unter anderem dadurch, dass das Verwaltungspersonal in den Fallpauschalen nicht angemessen abgebildet werde.

Am Ende komme es aber vor allem darauf an, die „Überbürokratisierung“ der Krankenhäuser endlich zu beenden. „Wir brauchen eine Generalinventur“, forderte Johna. Vorgaben, die unnötig seien, müssten gestrichen werden. Hier sei die Politik gefordert, der Regulierungswut der Krankenkassen nicht mehr länger nachzugeben.

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Tarifpolitik verspricht Lösungen

Den Wünschen der Krankenhausärzte nach einer geringeren Arbeitsbelastung und einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben trage die Tarifpolitik des MB bereits zu großen Teilen Rechnung, erklärte der 2. Vorsitzende des MB, Dr. med. Andreas Botzlar. Um Belastungen überhaupt messen zu können, müsse zunächst einmal in allen Krankenhäusern eine manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung eingeführt werden, forderte er. Dafür trete der MB auch in den aktuellen Tarifverhandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) für rund 20 000 Ärztinnen und Ärzte an bundesweit 23 Universitätskliniken ein. Außerdem fordere der MB, dass die Zahl der Bereitschaftsdienste in der Nacht und am Wochenende begrenzt und eine verlässliche Dienstplangestaltung eingeführt werde. Dem MB-Monitor zufolge leisten 23 Prozent der Ärzte im Durchschnitt drei bis vier Dienste im Monat und 21 Prozent fünf bis sechs. Am höchsten ist die Belastung bei Ärzten in der Weiterbildung. 29 Prozent leisten fünf bis sechs Dienste im Monat und acht Prozent sogar sieben und mehr. Zu viele Dienste und ungeregelte Arbeitszeiten seien die größten Störfaktoren für soziale Teilhabe, erklärte Botzlar.

Die Tarifverhandlungen mit den Ländern seien zurzeit allerdings relativ festgefahren, räumte Botzlar ein. Die TdL habe in den bisherigen Verhandlungen den Eindruck vermittelt, als seien ungeregelte Arbeitszeiten, fehlende Arbeitszeiterfassungen, pauschale Kappungen der geleisteten Arbeitszeit, ungeplante Inanspruchnahmen und regelmäßige Wochenenddienste bei einer Anstellung in einem Universitätsklinikum billigend in Kauf zu nehmen, hatte Botzlar bereits bei anderer Gelegenheit kritisiert.

Bei der Vorstellung des MB-Monitors bekräftigte er jetzt, dass die Ärzte diese Haltung nicht länger hinnehmen würden. Am 4. Februar werde es deshalb zu einem ganztägigen Warnstreik kommen. Die Ärzte der betroffenen Universitätskliniken rief Botzlar auf, an diesem Tag nach Hannover zu kommen, wo vor den erneuten Verhandlungen mit der TdL eine zentrale Kundgebung des MB stattfinden werde.

Spahn will Strukturen prüfen

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte angesichts der von den Krankenhausärzten beklagten Überlastung, man müsse sich auch um die Gesundheit derer kümmern, die rund um die Uhr die Patientenversorgung aufrechterhielten. Die Bundesregierung wolle Strukturen schaffen, damit Ärzten und Pflegenden wieder mehr Zeit für ihre Patienten bleibe. Dazu müsse man sich auch die Krankenhausstrukturen anschauen. Mit Blick auf die Arbeitsorganisation und Arbeitszeitmodelle seien aber auch die Arbeitgeber gefragt, sagte Spahn am 23. Januar in den ARD-Tagesthemen. Heike Korzilius

Weitere Umfrageergebnisse im Internet:
http://daebl.de/RX37

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