ArchivDeutsches Ärzteblatt5/2020Strukturmängel im Gesundheitswesen: Absurdes Theater

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Strukturmängel im Gesundheitswesen: Absurdes Theater

Maibach-Nagel, Egbert

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Egbert Maibach-Nagel, Chefredakteur
Egbert Maibach-Nagel, Chefredakteur

Es ist ein Zeitgeist-Phänomen unserer zunehmend postindustriellen Gesellschaft: Probleme – ob Klimawandel, in der Gesundheitsversorgung oder im Strukturwandel durch Digitalisierung – werden zwar klar benannt. Und fast jeder glänzt mit Rezepturen zur Abhilfe. Was aber kaum gelingt, ist die Einigung auf Wege zur Beseitigung der Mängel.

Paradebeispiel Gesundheitswesen: Die Überlastung von Pflegekräften, Ärztinnen und Ärzten ist offensichtlich, gilt als gesetzt und ist zu großen Teilen anerkannt. Laut Marburger Bund ist gut die Hälfte der Klinikärzte häufig, jeder zehnte ständig überlastet. 74 Prozent dieser Arztgruppe sehen sich durch ihre Arbeitszeiten gesundheitlich beeinträchtigt (siehe Seite 186). Für die Pflege gilt Vergleichbares. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?

Mitnichten. Zwar sind die Ansätze zur Verbesserung der Sachlage inzwischen mannigfaltig, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat in einem Interview der ARD-Tagesthemen versprochen, Strukturen zu schaffen, die Ärzten und Pflegekräften Zeit für ihre Aufgaben verschaffen. Aber egal, ob elektronische Patientenakte, Mindestzahlen für Pflegekräfte in Bereichen der stationären Versorgung oder auch der Versuch zur Entlastung in den Notfallaufnahmen der Krankenhäuser: Nahezu alle hierzu entwickelten Maßnahmen werden in der Umsetzung immer wieder vom Sankt-Florians-Prinzip der betroffenen Beteiligten begleitet. Andere soll es erwischen. Dass die Verwaltung des Mangels mittels Verschiebebahnhöfen innerhalb der betroffenen Ärzteschaft und Pflegekräften Abwehrmechanismen provoziert, ist nachvollziehbar. Immerhin bleibt – bei aller Argumentation aus jeweiliger Perspektive – dabei die Patientensicherheit oberste Maßgabe.

Dass aber die dem Föderalprinzip verhafteten Länder und Kommunen intersektorale Kooperation zwischen stationärer und ambulanter Versorgung laut jetzt vorliegendem Fortschrittsbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur „Zukunft der sektorenübergreifenden Versorgung“ als Vehikel begreifen, die Möglichkeiten stationär angesiedelter ambulanter Versorgung künftig auszuweiten, mutet schon als Artenschutz kommunaler Krankenhäuser an.

Spahns Ziel zur Entlastung der Notfallaufnahmen, das die strukturellen Fragen zur Schaffung gemeinsamer Anlaufstellen in Form von Integrierten Notfallzentren in den Händen der Ärzte beließ, wird durch diesen Vorstoß der Länder, für Krankenhäuser die Beteiligung an der ambulanten Versorgung neu zu regeln, erneut auf eine diskursive, wenn nicht disruptive Ebene gestellt.

Die dabei angestrebte einheitliche Vergütung gleicher Leistungen im ambulanten wie stationären Bereich klingt erst mal nett, hat aber das Zeug, Öl in das Streitfeuer zwischen klinischer und niedergelassener Versorgung zu gießen, statt die Notfallambulanzen zu entlasten. Zugegeben: Die Länder, respektive die Kommunen, gewännen auf diesem Weg die Möglichkeit zurück, manches kommunale marode Krankenhaus vor dem Aus zu retten.

Damit würde ein von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eingebrachtes und im ministeriellen Lösungsansatz präferiertes Instrument ad absurdum geführt: Wer zu Fuß in die Notfallaufnahme kommt, würde nach Prüfung nicht – wie angedacht – an einen niedergelassenen Arzt verwiesen, sondern voll legitimiert in der Ambulanz der stationären Versorgung behandelt. Quo vadis, Entlastung der Notfallaufnahme?

Egbert Maibach-Nagel
Chefredakteur

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