ArchivDeutsches Ärzteblatt6/2020Digitalisierung: Viel mehr als nur Datenschutz

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Digitalisierung: Viel mehr als nur Datenschutz

Beerheide, Rebecca

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Mit dem Patientendaten-Schutzgesetz legt das Bundesgesundheitsministerium das zweite Digitalisierungsgesetz dieser Legislatur vor. Darin werden die künftigen Aufgabenbeschreibungen für die Gesellschaft für Telematik, Ärzte und Krankenkassen festgelegt.

Foto: Pcess609/stock.adobe.com
Foto: Pcess609/stock.adobe.com

Klare Regeln für die Datenhoheit der Patienten, neue Vergütungen für Ärztinnen und Ärzte und eine neue Organisation der Regelungen für die Telematikinfrastruktur (TI): Mit der Vorlage des Gesetzes zum „Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur“, kurz Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG), setzt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) seine Bemühungen für mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen und eine bessere Vernetzung von medizinischen Einrichtungen fort.

Laut dem Referentenentwurf, den das BMG Ende Januar in die Abstimmung mit anderen Ministerien geschickt hat, sollen Patienten spätestens ab dem 1. Januar 2022 detailliert festlegen können, welche Daten sie auf ihrer elektronischen Patientenakte (ePA) mit welchem Arzt teilen. Dieses sogenannte „feingranulare Berechtigungskonzept“ wird in der ersten Ausbaustufe der ePA, die zum 1. Januar 2021 von den Krankenkassen bereitgestellt werden muss, noch nicht möglich sein. Für diese Zeit ohne detailliertes Zugriffsmanagement soll es spezielle Aufklärungs- und Informationspflichten für die Krankenkassen gegenüber den Patienten geben. Die Nutzung der ePA bleibt für Versicherte freiwillig.

Zehn Euro pro Patientenakte

Mit dem neuen PDSG bekommen Versicherte einen Anspruch darauf, dass Ärztinnen und Ärzte diese Akte auch befüllen. Für das erstmalige Befüllen der Akte erhalten die Mediziner eine einmalige Vergütung von zehn Euro für das Jahr 2021. Eine Vergütung für das Befüllen ab dem 1. Januar 2022 soll zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband im Bundesmantelvertrag festgelegt werden.

Die Aufgabe, erstmals die Akte zu befüllen, können Ärzte auch „auf Personen, die als berufsmäßige Gehilfen oder zur Vorbereitung auf den Beruf bei ihnen oder in an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen Einrichtungen“ übertragen. Sprich: Auch Medizinische Fachangestellte oder in Krankenhäusern Pflegekräfte können diese Unterstützung für Patienten übernehmen.

Denn auch Krankenhäuser sollen Zuschläge bekommen, wenn in Abteilungen dort erstmalig die Akte befüllt wird. „Die Erstbefüllung kann pro Versicherten und elektronischer Patientenakte nur einmal erbracht werden“, heißt es in dem Gesetz. Auch in Apotheken soll es möglich sein, gesetzlich Versicherte bei der Einrichtung einer elektronischen Patientenakte zu unterstützen. Die Höhe der Vergütung muss hier allerdings noch festgelegt werden.

Das BMG geht davon aus, dass die Kosten für das Befüllen der Akte für die Krankenkassen im ersten Jahr bei etwa 140 Millionen Euro liegen werden. Dabei legt das Ministerium zugrunde, dass etwa 20 Prozent der GKV-Versicherten 2021 ihre Akte befüllen lassen. Es sei ein großer Erfolg der künftigen ePA, wenn etwa 14 Millionen Versicherte im ersten Jahr die ePA nutzen, heißt es aus dem BMG. Damit dämpft das Ministerium frühzeitig Erwartungen, dass in den ersten Monaten des kommenden Jahres alle 72 Millionen GKV-Versicherte eine ePA nutzen werden. Weitere Honorare für Ärzte soll es auch bei der Aktualisierung der Notfalldaten geben, die von derzeit acht Euro auf 16 Euro verdoppelt werden soll.

Versicherte bekommen den Auskunftsanspruch auch gegenüber ihrer Krankenkasse, die ebenfalls ab dem 1. Januar 2022 alle Daten „über die bei ihr in Anspruch genommenen Leistungen“ in die ePA speichert. Zur Struktur der relevanten Datensätze sollen sich GKV-Spitzenverband, KBV, Bundesärztekammer, Bundeszahnärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft verständigen.

Datenschutz in Praxen

Das Gesetz, das im Entwurf derzeit 139 Seiten hat und rund 80 neue Paragrafen in das Sozialgesetzbuch V bringen soll, regelt auch in vielen Details den Schutz und die Sicherheit der Daten von Patienten. Dazu gehören nicht nur die Verpflichtungen der Krankenkassen, die Daten technologisch einwandfrei zu sichern. Auch wird beispielsweise der heutige „Beschlagnahmeschutz“ für Papierakten in Arztpraxen auf die elektronischen Daten ausgeweitet. Außerdem wird festgelegt, dass die Nutzer der TI, also Arzt- und Psychotherapeutenpraxen, Krankenhäuser sowie Apotheken, für den Schutz und Sicherheit der von ihnen verarbeiteten Daten in ihren Räumen verantwortlich sind.

Die Gesellschaft für Telematik (gematik) wiederum ist verantwortlich dafür, dass die TI sicher ist. Betreiber von Diensten und Komponenten innerhalb der Datenautobahn der TI müssen der gematik Störungen und Sicherheitsmängel melden. Es droht ein Bußgeld von 250 000 Euro, wenn dies nicht passiert. Generell gibt das Gesetz der gematik eine wichtige Rolle bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens: Nach der Übernahme von 51 Prozent durch das BMG im Rahmen des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vor knapp einem Jahr werden die Aufgabenbereiche sowie Kompetenzen der gematik klarer definiert. Dazu gehört beispielsweise die stärkere Überwachung der Ausgabe von Gesundheitskarten, Heilberufeausweisen und die Zertifizierung von Geräten zum Zugang zur TI.

Das Gesetz legt auch neue Regelungen für das E-Rezept fest: So soll es im Laufe des Jahres 2021 eine von der gematik entwickelte Standard-App geben, mit der ein elektronisches Rezept in der Apotheke eingelöst werden kann. Das kann eine Vor-Ort-Apotheke oder eine Versandapotheke sein.

Mit dem Gesetz kommt das BMG auch einer Forderung aus der Wissenschaft sowie der KBV nach, für mehr Interoperabilität zu sorgen: So soll mit einem Kauf einer Lizenz von SNOMED CT die semantische Interoperabilität zur Entwicklung weiterer digitaler Anwendungen verfügbar sein. Diese wird zum Beispiel mit den Medizinischen Informationsobjekten, kurz MIOs (siehe Seite 242), die derzeit die KBV entwickelt, unterstützt. Die Kosten für den Kauf der Lizenz wird dem Gesetzentwurf zufolge auf 1,6 Millionen Euro im Jahr 2021 berechnet, in den Folgejahren liege es bei rund 800 000 Euro, die im Haushalt des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eingestellt werden müssen.

Datenspende soll kommen

Auch eine weitere Forderung der Forschung wird mit dem Patientendaten-Schutzgesetz erfüllt: So sollen Patienten ab 2023 freiwillig ihre Daten an die Forschung spenden können. Mit dieser Datenspende erhofft sich vor allem die Forschung neue Möglichkeiten.

Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der damit sein 22. Gesetz in dieser fast zweijährigen Amtszeit vorlegt, ist dieses Thema ein „Dauerprojekt im positiven Sinne“: „Gesundheitsdaten sind wahrscheinlich die sensibelsten persönlichen Daten, die es gibt“, sagte Spahn. „Ziel ist, dass elektronische Patientendaten nicht in falsche Hände geraten. Ziel ist es aber auch, Patientinnen und Patienten die Chance zu geben, ihre Daten auch vernünftig nutzen zu können.“ Nach seinen Plänen will er das Gesetz in vier bis sechs Wochen im Bundeskabinett beschließen lassen. Rebecca Beerheide

Zentrale Regelungen des Gesetzes

  • Patienten müssen bei der Einrichtung und Führung ihrer elektronischen Patientenakte durch Ärzte und Krankenkassen unterstützt werden. Die Akte ist versichertengeführt und freiwillig in der Nutzung. Patienten können ab 2022 entscheiden, welcher Arzt oder Apotheker auf welche Daten zugreifen kann. Davor wird es eine Übergangszeit von einem Jahr geben, in der möglicherweise einzelne Dokumente gesammelt werden können.
  • Für die Unterstützung der Patienten und Versicherten bekommen Vertragsärzte ein Honorar von zehn Euro im ersten Jahr, Krankenhäuser einen Zuschlag von fünf Euro. Die Honorierung für Apotheken muss noch entschieden werden. Auch für die Aktualisierung der Notfalldaten können Ärzte ein Honorar abrechnen.
  • Zugriffskonzepte auf die Akte für Versicherte, aber auch Mediziner wird bis 2022 auch in „feingranularen Berechtigungskonzepten“ definiert. Dabei geht es auch darum, welche Berufsgruppen auf die Daten zugreifen können.
  • Stärkung der Gesellschaft für Telematik: Das Gesetz gibt juristisch klare Vorgaben und stärkt beispielsweise die zentrale Zuständigkeit für die Ausgabeprozesse von Versichertenkarten sowie Heilberufsausweisen.
  • Für die Interoperabilität wird eine bundesweite Lizenz von SNOMED CT erworben. Die Verantwortung zur Nutzung liegt dann beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
  • Datenspende für die Forschung: Ab 2023 sollen Versicherte freiwillig ihre Daten aus den elektronischen Patientenakten an die Forschung weitergeben können.
  • Auch die Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst sollen 2021 an die TI angeschlossen werden.

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