ArchivDeutsches Ärzteblatt PP2/2020Begleitpersonen in stationären Einrichtungen: Hilfe in schweren Zeiten

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Begleitpersonen in stationären Einrichtungen: Hilfe in schweren Zeiten

Osterloh, Falk

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Die Nähe von Angehörigen ist für schwer kranke Patienten in stationären Einrichtungen von großer Bedeutung – für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Da Krankenkassen die Betreuung von Begleitpersonen aber nicht bezahlen, wird die Anwesenheit von Angehörigen mancherorts über Spenden finanziert. Zwei Beispiele aus der Praxis

Durch die Nähe zu den Eltern können kranke Kinder das Kinderhospiz als einen sicheren Ort wahrnehmen. Foto: Kinder- und Jugendhospiz Bethel
Durch die Nähe zu den Eltern können kranke Kinder das Kinderhospiz als einen sicheren Ort wahrnehmen. Foto: Kinder- und Jugendhospiz Bethel

Die ersten Anfälle hatte Vincent Jung im Alter von sechs Monaten. Da sich sein Zustand nicht besserte, ging seine alleinerziehende Mutter Sabine mit ihm zum Arzt. Die Diagnose war niederschmetternd: Lennox-Gastaut-Syndrom, eine schwere Form der Epilepsie, die mit häufigen Anfällen einhergeht – und mit einer schlechten Prognose. Kinder mit Lennox-Gastaut-Syndrom zeigen häufig eine kognitive Behinderung und eine deutlich verzögerte körperliche Entwicklung.

„Die Kinder sollen das Hospiz als Ort der Entspannung und damit unbedingt auch als einen sicheren Ort wahrnehmen können.“ Stefan Schwalfenberg, Kinder- und Jugendhospiz Bethel. Foto: Kinder- und Jugendhospiz Bethel
„Die Kinder sollen das Hospiz als Ort der Entspannung und damit unbedingt auch als einen sicheren Ort wahrnehmen können.“ Stefan Schwalfenberg, Kinder- und Jugendhospiz Bethel. Foto: Kinder- und Jugendhospiz Bethel

Als sich Vincents Zustand vor vier Jahren verschlechterte, entschloss sich seine Mutter, aus ihrer ländlichen Heimat in der Pfalz in eine Wohnung nach Bielefeld zu ziehen, weil sie sich dort eine bessere medizinische Versorgung ihres Sohnes erhoffte. Sie wurden immer wieder vorübergehend in das Kinder- und Jugendhospiz Bethel aufgenommen, das zu den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel gehört. „Bei der ersten Aufnahme berichtete die Mutter von sehr leidvollen und belastenden Phasen zu Hause mit einer hohen Frequenz an Krampfanfällen und einer ausgeprägten Unruhe ihres Kindes“, erzählt Stefan Schwalfenberg dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ), der als Oberarzt in dem Hospiz arbeitet. „Bei uns hat sich der Zustand von Vincent verbessert und seine Mutter konnte ihre Sorgen und ihre eigenen Bedürfnisse zusammen mit den Psychologen und den ehrenamtlichen Begleitern im Hospiz in den Fokus nehmen.“

Das Kinder- und Jugendhospiz Bethel ist eines von 14 Hospizen dieser Art, die es in Deutschland gibt; hinzu kommen drei Tageshospize. Die im Jahr 2012 gegründete Einrichtung hat ihren Ursprung in der onkologischen Station der Kinderklinik des Evangelischen Klinikums Bethel. In Kinder- und Jugendhospizen ist von großer Bedeutung, dass nicht nur die Kinder aufgenommen werden, sondern auch ihre Eltern und bei Bedarf noch weitere Angehörige. So verfügt das Hospiz nicht nur über acht Zimmer für erkrankte Kinder sowie zwei weitere für erkrankte Jugendliche im Erdgeschoss, sondern auch über zwölf Zimmer für Geschwisterkinder und Eltern in der ersten Etage. „Bei einigen Familien möchten auch die Großeltern das Kind im Hospizaufenthalt begleiten“, erzählt Schwalfenberg. „Insgesamt können bei uns durch die hospizeigene Hauswirtschaft 30 Gäste bekocht und umsorgt werden.“

Die Zimmer im Pflegebereich sollen in Bethel auf keinen Fall an ein Krankenhauszimmer erinnern. „Deshalb wurden sie mit warmen Farbtönen gestaltet“, sagt der 42-jährige Kinderarzt. „Durch große Fenster wirken sie hell und freundlich und sie besitzen alle eine Terrasse, die ohne Barriere mit dem Pflegebett befahren werden kann.“ Die notwendige medizinische Ausstattung, zum Beispiel der Sauerstoffanschluss oder die Anschlüsse für die Monitorüberwachung, seien durch dezente Schalter kaum zu erkennen. „Die Zimmer für die Angehörigen haben hotelartigen Charakter“, fährt Schwalfenberg fort. „Jedes Zimmer verfügt über einen eigenen Balkon und über ein Badezimmer mit Dusche, die Familienzimmer zudem über eine Verbindungstür.“ Hier gibt es auch Aufenthaltsräume als Rückzugsorte von den Gemeinschaftsräumen.

Die Unterbringung und Betreuung der Begleitpersonen gehört in Bethel zum Konzept der Einrichtung. „Die Kinder sollen das Hospiz als Ort der Entspannung und damit unbedingt auch als einen sicheren Ort wahrnehmen können“, sagt Schwalfenberg. „Und das geht nur, wenn sie ihre Bezugspersonen um sich haben und alle gemeinsam bei uns Ruhe und Entlastung finden.“ Die Kinder würden durch ihnen vertraute Pflegekräfte versorgt, könnten aber zu jeder Zeit auch ihre Eltern oder Geschwister um sich erleben. „Die Zielsetzung des Hospizes ist es, besondere Belastungsmomente oder Lücken im Netzwerk der Familie im häuslichen Umfeld zu erkennen und zu beseitigen“, erklärt Schwalfenberg.

Die Einrichtung im Kinder- und Jugendhospiz Bethel ist hell und farbenfroh. Foto: Kinder- und Jugendhospiz Bethel
Die Einrichtung im Kinder- und Jugendhospiz Bethel ist hell und farbenfroh. Foto: Kinder- und Jugendhospiz Bethel

Vor diesem Hintergrund verstehe sich das Kinderhospiz als ein Angebot, das die häusliche Versorgung langfristig sichere und den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien im Leben, Sterben und über den Tod hinaus Unterstützung, Entlastung und Begleitung biete. Anders als bei einem stationären Hospiz für Erwachsene, das sich primär auf die letzte Phase des Lebens beziehe, ermögliche ein Kinder- und Jugendhospiz die Begleitung der Familien von der Diagnose der lebensverkürzenden Erkrankung beziehungsweise der Einleitung einer palliativen Behandlung bis über den Tod hinaus. „Den Familien stehen etwa 28 Tage Hospizaufenthalt pro Jahr zu“, erklärt der Kinderarzt. „In Krisen- oder Finalbegleitungen kann dieser Zeitraum auch durch Einzelfallentscheidungen ausgebaut werden. Zumeist planen die Gäste ein bis zwei Wochen am Stück im Kinderhospiz ein, aber auch Aufenthalte über ein Wochenende oder für mehrere ‚Schnuppertage‘ zum Kennenlernen sind möglich.“

In den Ferienzeiten sind die Plätze in den Kinderhospizen oftmals schon am Ende des Vorjahres verplant und es gibt lange Wartelisten, da viele Familien bei schulpflichtigen Kindern auf diese Zeiträume angewiesen sind. Doch auch außerhalb der Ferien liegt die Auslastung des Kinder- und Jugendhospizes Bethel bei mehr als 80 Prozent – mit weiterhin steigenden Zahlen. „Häufig sind alle zehn Zimmer mit erkrankten Kindern belegt“, sagt Schwalfenberg.

Die Betreuung der kranken Kinder – die in Bethel nicht als Patienten, sondern als Gäste bezeichnet werden – finanziert sich über Tagespflegesätze, die die Hospize mit den Kranken- und Pflegekassen verhandeln. Die Mitaufnahme und Verpflegung der Familienmitglieder sowie die pädagogische, soziale, psychologische, seelsorgerische sowie tiergestützte Begleitung aller Gäste wird hingegen über Spenden bezahlt. „Auch die ärztliche Tätigkeit im Kinderhospiz ist noch nicht ausreichend abgebildet und wird in vielen Kinderhospizen über Spenden finanziert“, sagt Schwalfenberg. Er selbst hat im Kinderhospiz eine Viertelstelle. Hauptsächlich arbeitet er in einem Team der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV), dessen Büros sich in dem Hospiz befinden. „Die Höhe der Tagespflegesätze variiert heute noch stark von Region zu Region“, erklärt er, „obwohl es sich überall um dieselbe Arbeit handelt.“ Ziel der untereinander gut vernetzten Kinderhospize sei es, bei künftigen Verhandlungen überall einen ähnlichen Pflegesatz zu erreichen.

„In schweren Zeiten ist familiärer Zusammenhalt ein wichtiger, stützender Faktor für den Erkrankten.“ Simone Oster, „Menschenmögliches e.V.“ Foto: Menschenmögliches e.V.
„In schweren Zeiten ist familiärer Zusammenhalt ein wichtiger, stützender Faktor für den Erkrankten.“ Simone Oster, „Menschenmögliches e.V.“ Foto: Menschenmögliches e.V.

Vincent Jung und seine Mutter Sabine wurden über einen Zeitraum von drei Jahren im Kinder- und Jugendhospiz Bethel betreut. Dann sind sie in die Pfalz zurückgekehrt. „Wir haben versucht, in ihrer Heimat ein medizinisches Netzwerk zu vermitteln, das eine Betreuung auch in der ländlichen Heimatregion von Sabine und Vincent Jung ermöglicht“, erzählt Schwalfenberg. „Dabei haben wir ein SAPV-Team und auch ein Kinderhospiz in der Region gefunden.“ Zu Hause könne Sabine Jung nun wieder besser durch ihre Mutter und ihren Freundeskreis unterstützt werden. Vincent ist mittlerweile 14 Jahre alt. Heute geht es ihm den Umständen entsprechend gut. Mit Sabine Jung hält Schwalfenberg weiterhin Kontakt. „Als sie zu uns gekommen ist, war sie wegen der vielen Anfälle ihres Sohnes sehr verunsichert“, erzählt er. „In ihrer alten Heimat hat sie nun wieder mehr Kraft geschöpft und Vincents Unruhephasen sind seltener geworden.“

Für die Betreuung von kranken Kindern in stationären Einrichtungen sind Begleitpersonen sehr wichtig. Doch auch erwachsene Patienten profitieren von ihnen – wenn sie zum Beispiel weit entfernt von ihrem Zuhause in einer Spezialklinik operiert werden und dort für eine längere Zeit bleiben müssen. Der Verein „Menschenmögliches“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder von onkologisch schwer erkrankten Elternteilen zu betreuen und auf diese Weise die Familie als Ganzes zu unterstützen.

„Menschenmögliches“ wurde im Jahr 2011 an den Kliniken Essen-Mitte (KEM) aus dem Verein der Freunde und Förderer der Kliniken heraus gegründet. „Die Gründer waren junge und sozial engagierte Essener und Mülheimer Unternehmer, die Projekte mit Leuchtturmcharakter ins Leben rufen wollten“, erzählt die Geschäftsführerin des Vereins, Simone Oster, dem . Mitgefühl, Respekt, Engagement, Rücksicht und Mitmenschlichkeit seien Werte, die den Verein in seinen Grundsätzen ausmachten.

Eine der Einrichtungen, die „Menschenmögliches“ betreut, heißt „Schwere Last von kleinen Schultern nehmen“. Sie richtet sich vor allem an die Kinder krebskranker Patienten. „Wenn ein Elternteil an Krebs erkrankt, erleben die Kinder, dass ihre Bindungspersonen, die bisher Halt, Sicherheit und Schutz gegeben haben, von Sorgen bedrückt sind und ihnen nicht wie gewohnt zur Seite stehen können“, erzählt Oster. „Und Eltern erleben eine große Verunsicherung in ihrer Elternrolle und fürchten, ihre Kinder mit der Realität der Erkrankung zu überfordern.“ Die häufigsten Fragen von jungen Eltern bei dem Erstgespräch seien: Wie sage ich es meinem Kind? Und: Was wird, wenn ich sterbe?

In der Einrichtung werden die Kinder von schwer krebskranken Elternteilen von drei Familientherapeutinnen begleitet und betreut. Zudem beschäftigt „Menschenmögliches“ eine Palliativkrankenschwester in der Onkologie der KEM, die Patienten mit einer nicht heilbaren Erkrankung berät und ihnen Hilfestellung in der Organisation ihrer letzten Lebensphase gibt.

Krebskranke Patienten können während des Aufenthalts im Klinikum Essen-Mitte mit ihren Familien zusammensein – auch, wenn diese weit entfernt wohnen. Foto: Menschenmögliches e.V.
Krebskranke Patienten können während des Aufenthalts im Klinikum Essen-Mitte mit ihren Familien zusammensein – auch, wenn diese weit entfernt wohnen. Foto: Menschenmögliches e.V.

„Aber auch das gesamte System ‚Familie‘ wird auf Wunsch in Einzel- und/oder Familiengesprächen begleitet – von der Erstdiagnose über ein Rezidiv, die Sterbephase und bis über den Tod hinaus“, erklärt Oster. „Damit seelische Belastungen so klein wie möglich bleiben und ein stützendes Miteinander in den Familien entstehen kann.“ Die Familientherapeutinnen böten den Familien einen geschützten Rahmen, in dem diese ihre Gefühle benennen könnten, ihre Traurigkeit, Wut und ihre Verzweiflung. „Gemeinsam sortieren wir die berechtigten, verschiedenen Wahrnehmungen und unterstützen mit konkreten Handlungsoptionen einen Prozess für die Familie, um eigene, individuelle und ressourcenorientierte Lösungen zu entwickeln“, sagt Oster. „Damit wird ein wichtiger, präventiver Beitrag geleistet, um die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen zu minimieren sowie die psychosoziale Versorgung für Kinder kranker Eltern zu sichern.“

Oster erzählt von einer Familie, bei der sich die 16-jährige Tochter von ihrer krebskranken Mutter gewünscht hat, das Nähen zu lernen: „Gemeinsam haben sie ein Kleidungsstück entworfen und hergestellt, das die Tochter nach dem Tod ihrer Mutter behalten konnte.“ Die Intensität und Ehrlichkeit der beiden miteinander habe eine heilsame Wirkung für den Trauerprozess der Tochter gehabt. „Es wurden gemeinsam Erinnerungen bewusst gestaltet und festgehalten“, so Oster.

Die Einrichtung hilft darüber hinaus auch dem erkrankten Elternteil, wenn dieser in Essen operiert wird, aber nicht aus der Region stammt. „Den Familien, die nicht aus dem Essener Umfeld kommen, stellen wir während des stationären Aufenthalts des Elternteils kostenfrei eine Wohnung zur Verfügung“, erzählt Oster. „Denn in dieser schweren Zeit ist familiärer Zusammenhalt ein wichtiger, stützender Faktor für den Erkrankten und seine Angehörigen.“ Häufig erhalte sie die Rückmeldung von den Patienten, dass die Nähe der Familie einen positiven Effekt auf das eigene Wohlbefinden gehabt und die Therapie optimal ergänzt habe.

Das Ziel des Vereins ist, den Patienten einen niedrigschwelligen Zugang zu der Einrichtung zu ermöglichen. „Unsere Therapeutinnen gehen täglich auf die Stationen und bieten den Patienten und deren Familien Hilfe an“, sagt Oster.

Finanziert wird der Verein „Menschenmögliches“ durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und Charity-Veranstaltungen wie ein Golfturnier und eine Weihnachtsgala. Auch viele große Unternehmen aus der Region unterstützten den Verein, erklärt Oster. Wenn Familien über einen längeren Zeitraum begleitet werden, können die Leistungen des Vereins zudem über die Jugendhilfe abgerechnet werden. Im Jahr 2020 wird „Menschenmögliches“ sein Angebot ausweiten. „Wir werden zusätzlich zwei Therapeutinnen am Universitätsklinikum Essen beschäftigen“, berichtet Oster. Falk Osterloh

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