

Unbeabsichtigte Selbstverletzungen sind weit verbreitet. Die Betroffenen fügen sich in vielfältiger Weise Verletzungen zu, haben jedoch keine Suizidabsicht. Ein Psychologenteam um Stephen P. Lewis von der University of Guelph (Kanada) hat jetzt 233 Personen im Alter von 19 Jahren befragt, wie sie sich den Prozess der Genesung von ihrer psychischen Störung vorstellen. Die Teilnehmer berichteten, dass ihr Ziel das völlige Unterlassen von Selbstverletzungen sei. Allerdings sei dies ein komplexer, nicht linear verlaufender und individueller Weg mit Höhen und Tiefen, bei dem es auch Rückschläge geben könne. Der Prozess umfasse zum Beispiel, Alternativen für das schädigende Verhalten und zur Emotionsregulation zu finden, Coping-Strategien anzuwenden, psychisch stabil zu werden, die Selbstakzeptanz zu stärken und Resilienz zu entwickeln.
Nach Lewis und Kollegen sollten Psychotherapeuten mit ihren Patienten zu Beginn und während einer Therapie Gespräche über den Genesungsprozess führen, um zu erfahren, welche Rolle die Selbstverletzung im Leben der Patienten spielt, und um es den Patienten zu ermöglichen, ihre Bedürfnisse, Erfahrungen und Ziele zu reflektieren. „Patienten sollten nicht dazu angehalten werden, ihre selbstverletzungsbezogenen Gedanken zu reduzieren oder zu unterdrücken“, schreibt Lewis, denn dann würden sie persistieren und an Bedeutung gewinnen. Stattdessen sollten sie akzeptiert werden, wobei zum Beispiel die Akzeptanz- und Commitmenttherapie helfen kann. ms
Lewis SP, Kenny TE, Whitfield K, Gomez J: Understanding self‐injury recovery: Views from individuals with lived experience. Journal of Clinical Psychology 2019; 75 (12): 2119–39.