MEDIZINREPORT
Arzneimitteltherapiesicherheit: Das Interaktionspotenzial hormoneller Kontrazeptiva


Ein beschleunigter Metabolismus hormoneller Kontrazeptiva, induziert durch die Komedikation, kann zu einem Versagen des Konzeptionsschutzes führen. Ethinylestradiol vermag andererseits die Exposition anderer Arzneimittel zu beeinflussen.
Sexualhormone als Substrate des Cytochrom-P450-(CYP-) Isoenzyms 3A4 können in Kombination mit CYP3A4-Induktoren in ihrer kontrazeptiven Wirksamkeit beeinträchtigt sein. Das in kombinierten hormonellen Kontrazeptiva am häufigsten eingesetzte Estrogen Ethinylestradiol hat darüber hinaus selbst das Potenzial, durch Hemmung von CYP-Isoenzymen die Plasmaspiegel anderer Arzneimittel zu erhöhen.
In der Interaktionstabelle (Tabelle) wird das Verhalten hormoneller Kontrazeptiva gegenüber CYP-Enzymen unter Berücksichtigung der Art ihrer Anwendung dargestellt. In kombinierten hormonellen Kontrazeptiva wird in Deutschland am häufigsten Ethinylestradiol verwendet. Die Dosis liegt bei oraler Einnahme gewöhnlich mit 15–35 µg/d deutlich unter der Schwelle von 100 µg/d, die bei alleiniger Gabe notwendig ist, um die Ovulation zu unterdrücken (1, 2).
Estrogene
In kombinierten hormonellen Kontrazeptiva verstärken Estrogene die ovulationshemmende Wirkung der Gestagene und dienen der Zyklus- beziehungsweise Blutungskontrolle (1). Ethinylestradiol wird primär über das CYP-Isoenzym 3A4 abgebaut (3). Starke Induktoren wie Carbamazepin, Phenytoin und Rifampicin (Grafik) senkten in klinischen Studien die AUC-(Fläche-unter-der-Konzentrations-Zeit-Kurve-)Werte des Estrogens um 38–66 % (4).
Die Exposition gegenüber Ethinylestradiol wurde durch die moderaten CYP3A4-Induktoren Bosentan, Eslicarbazepin und Oxcarbazepin um 31–47 % reduziert. Johanniskrauthaltige Arzneimittel konnten in 2 Studien die Bioverfügbarkeit von Ethinylestradiol um durchschnittlich 14 % beziehungsweise 32 % senken, in Einzelfällen aber bis zu 86 % (4).
Topiramat vermochte erst in einer Tagesdosis über 200 mg die AUC-Werte von Ethinylestradiol relevant um 18–29 % zu senken (5, 6). Hierbei ist zu beachten, dass das Antikonvulsivum in höheren Dosen teratogen wirkt (7).
CYP3A4-Inhibitoren haben nur einen begrenzten Effekt auf die Exposition gegenüber Ethinylestradiol. Ketoconazol und Voriconazol führten zu einem AUC-Anstieg von 40 % beziehungsweise 60 %. Unter Telithromycin kam es dagegen zu keiner Änderung und unter Boceprevir fielen die AUC-Werte um etwa ein Viertel (4).
Ethinylestradiol hemmt in vivo die Aktivität der CYP-Isoenzyme 1A2, 2B6 und 2C19. In einer Untersuchung mit dem CYP1A2-Testsubstrat Tizanidin stieg dessen Exposition in Kombination mit dem Gestagen Gestoden um das 3,9-Fache (8). Die Bioverfügbarkeit des CYP2B6-Substrats Selegilin wurde in Kombination mit ethinylestradiolhaltigen kombinierten hormonellen Kontrazeptiva um ein Vielfaches erhöht.
In einer Studie mit gesunden Probandinnen wurde über einen Blutspiegelanstieg von 40 % des CYP2C19-Substrats Omeprazol berichtet (9, 10). Die inhibitorische Wirkung des Estrogens auf CYP-Enzyme erfolgt wahrscheinlich nicht durch einen direkten Angriff am Enzym, da auf diese Weise für einen Hemmeffekt supratherapeutische Konzentrationen erforderlich sind. Wahrscheinlicher scheint eine transkriptionelle Hemmung der Genexpression zu sein.
Über einen estrogenrezeptorvermittelten Mechanismus wird für CYP2C9 und CYP2C19 berichtet (11, 12). Dabei handelt es sich um einen Interaktionsmechanismus, dessen klinische Relevanz allerdings noch unklar ist.
Ethinylestradiol beschleunigt den Abbau von Lamotrigin durch Induktion der UDP-Glucuronosyltransferase (UGT) 1A4. Hierdurch können die Lamotrigin-Plasmaspiegel schon nach wenigen Tagen auf die Hälfte abfallen und die Lamotrigin-Tagesdosis muss unter Plasmaspiegelkontrolle bis auf das Doppelte erhöht werden. In der Ethinylestradiol-einnahmefreien Zeit kommt es zu einer Deinduktion und infolge dessen steigen die Lamotriginspiegel auf 80–100 % des Ausgangswerts. Für den Fall, dass die Lamotrigindosis nicht wieder reduziert wird, drohen Intoxikationen.
Es empfiehlt sich daher der Wechsel auf eine alleinige Gestagentherapie. Sollen dennoch kombinierte hormonelle Kontrazeptiva eingesetzt werden, so sind diese besser ununterbrochen einzunehmen (Langzyklus). Allerdings wird bei bestehender Lamotrigintherapie etwa eine Verdoppelung der initialen Dosis unter Spiegelkontrolle notwendig sein.
Bei Neueinstellung auf Lamotrigin werden therapeutische Plasmaspiegel nur zögerlicher erreicht (1). Eine Alternative kann die Einnahme eines estradiolhaltigen Kontrazeptivums sein, weil dieses Estrogen eine geringere Potenz zur Induktion von UGT hat (1, 13).
Gestagene
Gestagene gewährleisten in kombinierten hormonellen Kontrazeptiva in erster Linie die Ovulationshemmung. Ihre Dosis liegt 1,5- bis 2-fach über der Ovulationshemmdosis (2). In estrogenfreien Ovulationshemmern liegt die Gestagendosis zum Beispiel bei Desogestrel mit 75 µg knapp oberhalb der Ovulationshemmdosis.
Bei den „Minipillen“ (30 µg Levonorgestrel) wird der kontrazeptive Schutz allein über periphere Wirkungen erzielt (1). Es gibt eine Vielzahl verschiedener Gestagene. Aufgrund des geringeren Risikos, eine venöse Thromboembolie zu erleiden, sollen unter anderem levonorgestrel- und norethisteronhaltige Kombinationen bevorzugt werden (14).
Carbamazepin, Eslicarbazepin, Oxcarbazepin und Phenytoin senkten in klinischen Studien die AUC-Werte von Levonorgestrel in einen Bereich von 36–47 %. Efavirenz reduzierte die Levonorgestrel-Exposition in einer Untersuchung um 58 %, obwohl das Virustatikum keinen Effekt auf die Ethinylestradiol-Plasmaspiegel hatte (4).
Vor diesem Hintergrund leitet sich die Empfehlung ab, Levonorgestrel zur Notfallkontrazeption bei Kombination mit CYP3A4-Induktoren in doppelter Dosis einzunehmen, wenn eine Kupferspirale nicht angewendet werden kann (15).
Die Bioverfügbarkeit von Nor-ethisteron wurde durch die starken CYP3A4-Induktoren Rifampicin und Carbamazepin um 50–60 % gesenkt. Moderate Induktoren wie Bosentan und Nevirapin führten zu einer vergleichsweisen geringen Reduktion um 14–21 % (4).
Starke CYP3A4-Hemmer hatten in klinischen Studien nur einen marginalen Effekt auf die Exposition der Gestagene Drospirenon, Levonorgestrel und Norethisteron. Am stärksten erhöhten Boceprevir und Ketoconazol die Drospirenon-Exposition um das 2,0- bis 2,7-Fache und Atazanavir die Norethisteronexposition um das 2,1-Fache (4).
Verordnung rückläufig
In Deutschland verhüten schätzungsweise 7 Millionen Frauen mit oralen hormonellen Kontrazeptiva Nach einer Erhebung der Technikerkrankenkassen (TK) bekamen in 2013 und 2014 rund 60 % ihrer weiblichen Versicherten im Alter von 16–19 Jahren die „Pille“ verschrieben. 2018 waren es nur noch 48 %. Besonders stark ist der Rückgang bei den 19-Jährigen. In diesem Alter nahmen 2013 noch 3 von 4 Frauen hormonellen Kontrazeptiva, 2018 waren es noch 59,5%.
Fazit
- Als „Victim-Drugs“ sind Sexualhormone durch CYP3A4-Induktoren von pharmakokinetischen Wechselwirkungen nicht nur in oral einzunehmenden Präparaten betroffen, sondern auch als Hormonimplantate, Hormonpflaster und hormonfreisetzende Vaginalringe. Es kann zu Durchbruchblutungen und/oder zu kontrazeptivem Versagen kommen (16).
- Aufgrund der lokalen Wirkweise sind Intrauterinsysteme mit Gestagenfreisetzung nicht mit einem metabolischen Interaktionsrisiko behaftet (13).
- Wegen der substanzspezifischen Effekte auf die Exposition gegenüber den Estrogenen und Gestagenen sollten die Fachinformationen von Begleitmedikationen zurate gezogen werden, um mögliche Wechselwirkungen zu identifizieren (16).
- Ein Grund für die zum Teil unterschiedlichen Effekte der Modulatoren auf die Exposition gegenüber den Steroidhormonen könnte auch in einer zusätzlich möglichen Induktion von UGT-Enzymen liegen, über die diese auch verstoffwechselt werden (3, 4, 13).
Holger Petri
Fachapotheker für Arzneimittelinformation und Klinische Pharmazie, Werner Wicker Klinik, Bad Wildungen-Reinhardshausen
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit0720
oder über QR-Code.
1. | Schwenkhagen A, Schaudig K, Stodieck SRG: Kontrazeption bei Frauen mit Epilepsie. Gynäkologe 2018; 51: 102–9 CrossRef |
2. | Schwenkhagen AM, Stodieck SRG: Which contraception for women with epilepsy? Seizure 2008; 17: 145–50 CrossRef MEDLINE |
3. | Zhang H, Cui D, Wang B, et al.: Pharmacokinetic drug interactions involving 17alpha-ethinylestradiol: a new look at an old drug. Clin Pharmacokinet 2007; 46: 133–47 CrossRef MEDLINE |
4. | Zhang N, Shon J, Kim MY, et al.: Role of CYP3A in Oral Contraceptives Clearance. Clin Transl Sci 2018; 11: 251–60 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
5. | Doose DR, Wang SS, Padmanabhan M, et al.: Effect of topiramate or carbamazepine on the pharmacokinetics of an oral contraceptive containing norethindrone and ethinyl estradiol in healthy obese and nonobese female subjects. Epilepsia 2003; 44: 540–9 CrossRef MEDLINE |
6. | Rosenfeld WE, Doose DR, Walker SA, et al.: Effect of Topiramate on the Pharmacokinetics of an Oral Contraceptive Containing Norethindrone and Ethinyl Estradiol in Patients with Epilepsy. Epilepsia 1997; 38: 317–23 CrossRef MEDLINE |
7. | Hernandez-Diaz S, Huybrechts KF, Desai RJ, et al.: Topiramate use early in pregnancy and the risk of oral clefts: A pregnancy cohort study. Neurology 2018; 90: e342–51 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Granfors MT, Backman JT, Laitila J, et al.: Oral contraceptives containing ethinyl estradiol and gestodene markedly increase plasma concentrations and effects of tizanidine by inhibiting cytochrome P4501A2. Clin Pharmacol Ther 2005; 78: 40–11 CrossRef MEDLINE |
9. | Laine K, Anttila M, Helminen A, et al.: Dose linearity study of selegiline pharmacokinetics after oral administration: evidence for strong drug interaction with female sex steroids. Br J Clin Pharmacol 1999; 47: 249–54 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
10. | Palovaara S, Tybring G, Laine K. The effect of ethinyloestradiol and levonorgestrel on the CYP2C19-mediated metabolism of omeprazole in healthy female subjects. Br J Clin Pharmacol 2003; 56: 232–7 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
11. | Mwinyi J, Cavaco I, Pedersen RS, et al.: Regulation of CYP2C19 expression by estrogen receptor α: implications for estrogen-dependent inhibition of drug metabolism. Mol Pharmacol 2010; 78: 886–94 CrossRef MEDLINE |
12. | Mwinyi J, Cavaco I, Yurdakok B, et al.: The ligands of estrogen receptor α regulate cytochrome P4502C9 (CYP2C9) expression. J Pharmacol Exp Ther 2011; 338: 302–9 CrossRef MEDLINE |
13. | Lupp A: Orale Kontrazeptiva: Risikoreiche Interaktionen. Dtsch Arzteblatt 2016; 113 (11): [18] VOLLTEXT |
14. | BfArM: Venöse Thromboembolien und kombinierte hormonale Kontrazeptiva. https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/KOK/_node.html (last accessed on 30 January 2020). |
15. | Gedeon Richter Pharma GmbH: Informationsbrief zu hormonalen Notfallkontrazeptiva (u. a. Postinor®): Neue Empfehlung für Anwenderinnen von CYP3A4-induzierenden Arzneimitteln vom 26. September 2018. |
16. | Fachinformation Zoely®. Stand: Januar 2019. |
Zeiss, René; Gahr, Maximilian; Schönfeldt-Lecuona, Carlos
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