POLITIK
Risikostrukturausgleich: Finanzreform für Kassen kommt


Nach langjähriger Diskussion wird der milliardenschwere Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen reformiert. Im Gesetz wird für Ärzte klargestellt, dass Versorgungsstrukturverträge erhalten bleiben. Pharmaunternehmen müssen zudem schneller über Lieferengpässe informieren.
Eine umfassende Finanzreform für Krankenkassen, mehr Informationspflichten bei Lieferengpässen und eine kleine Strukturreform beim GKV-Spitzenverband: Der Bundestag hat Mitte Februar mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie mit Zustimmung der FDP und den Grünen das Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) verabschiedet. Damit wurde die jahrelang geforderte Reform des milliardenschweren Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen, dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA), beschlossen. Für Ärztinnen und Ärzte stellt das Gesetz klar, dass diagnosebezogene Vergütungen bei Hausarzt- und Selektivverträgen bestehen bleiben und damit die Regelungen, die im Heil- und Hilfsmittelgesetz (HHVG) von 2016 entschieden wurden, ausreichend sind.
Zusätzlich wurden mit dem Gesetz weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln festgelegt. Dazu gehören mehr Meldepflichten von Herstellern und Großhändlern bei absehbaren Engpässen und mehr Befugnisse der Bundesbehörden wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Hier soll ein Beirat eingerichtet werden, der die Versorgungslage analysiert. Auch kann das BfArM künftig Vorräte für einzelne Präparate verlangen.
„Gesetzlich Versicherte sind die Gewinner des Gesetzes“, sagte der parlamentarische Staatssekretär Thomas Gebhart (CDU) bei der abschließenden Bundestagsdebatte über das Gesetz. „Der Wettbewerb soll künftig um die Versorgung gehen, nicht darum, wer die besten Finanztricks hat.“ Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nahm wegen eines Treffens der EU-Gesundheitsminister in Brüssel nicht an der Parlamentssitzung teil. Gebhart bedauerte aber, dass das Gesetz nicht auch echte Wahlfreiheit für Versicherte bei der Auswahl der Krankenkassen biete. „Hier haben wir einen Kompromiss. Für uns wäre es logisch gewesen, dass die regionalen AOKen geöffnet werden“, so Gebhart. Im ursprünglichen Entwurf des Vorhabens hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geplant, die elf AOKen für alle Versicherten zugänglich zu machen. Momentan können Menschen nur in der zuständigen AOK an ihrem Wohn- oder Arbeitsort Mitglied werden. Dieses Vorhaben, das auch mit einer bundesweiten Aufsicht über die AOKen verbunden gewesen wäre, war aber am Widerstand der SPD sowie den Gesundheitsministern der Länder gescheitert.
„Dieses Gesetz wird die Finanzen der Krankenkassen ordentlich durchwirbeln“, erklärte SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas, zuständig für Gesundheitspolitik. Sie begrüßte auch, dass es nun keine Verkleinerungen des GKV-Verwaltungsrates von 52 auf 40 Sitze gibt, wie ursprünglich vom BMG gefordert. Auch wurde einem neuen Gremium beim GKV-Spitzenverband, dem Lenkungsausschuss, weniger Macht eingeräumt als vom BMG geplant. Diese Änderungen hatten die Parlamentarier vor Verabschiedung des Gesetzes noch eingefügt.
Kern des Gesetzes ist der milliardenschwere Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen. Dafür werden neue Rechen- und Ausgleichskomponenten eingeführt, wie beispielsweise die Regionalkomponente, mit der die unterschiedlichen Kosten der Versorgung in den Regionen abgefedert werden können. Ab 2021 soll damit kalkuliert werden können.
Krankheitsvollmodell kommt
Statt der bisher 80 Krankheiten, die bei der Berechnung der Zuteilungen aus dem Morbi-RSA berücksichtigt wurden, sollen in einem Krankheitsvollmodell nun 300 Diagnosen abgebildet sein. Dies bedeutet für Ärzte auch die Einführung von Codierrichtlinien. Außerdem wird ein sogenannter Hochrisikopool eingeführt, aus dem besonders hohe Behandlungskosten für einzelne Versicherte ausgeglichen werden sollen. Abgeschafft wird das Rechenkriterium der Erwerbsminderungsrente. Die Bundestagsabgeordneten haben in das Gesetz noch eine Bestimmung zur Evaluation eingeführt: So soll die neue Berechnung mit Regionalkomponente sowie der RSA-Manipulationsbremse in zwei Gutachten jeweils im Jahr 2023 verpflichtend evaluiert werden. Das BMG kann zusätzlich weitere Themen zur Evaluation in Auftrag geben.
Die Opposition im Deutschen Bundestag bewertet das Gesetz unterschiedlich: Der FDP geht das Gesetz nicht weit genug: „Es werden mit dem Gesetz keine Präventionsanreize gesetzt“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin Christine Aschenberg-Dugnus in der Debatte Mitte Februar. Auch reiche eine Evaluation in erst vier Jahren nicht aus, hier müsse öfter überprüft werden.
Für die Grünen ist das Gesetz mehr als überfällig: „Wir haben bereits 2016 entsprechende Vorschläge vorgelegt und es ist bedauerlich, dass die Korrekturen erst jetzt eingeführt werden“, so Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen. Die Linken bezeichneten das Gesetz als „Irrweg“ und sehen die Handschrift einer „Ideologie des Wettbewerbs.“ Auch die AfD lehnte das Gesetz ab.
Positiver sind die Reaktionen unter den Krankenkassen: So sehen sie das verabschiedete Vorhaben als einen „Schritt in die richtige Richtung“: „Mit dem FKG hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gezeigt, dass mit dem nötigen politischen Willen auch Reformen bei unpopulären Themen machbar sind“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, dem Deutschen Ärzteblatt. „Zwar hat das FKG bis zur Verabschiedung im Bundestag auch absolut sinnvolle Maßnahmen eingebüßt. Dennoch ist das Ergebnis ein deutlicher Schritt in die richtige Richtung“, so Baas weiter.
Für den Dachverband der Innungskrankenkassen (IKK) besteht nun die „Hoffnung, dass durch die Reform des Morbi-RSA endlich wieder ein fairer Wettbewerb zwischen den Kassen möglich wird“, erklärte Jürgen Hohnel, Geschäftsführer des IKK-Verbandes, in einer Mitteilung. Sorgen bereite ihm aber der weitere Eingriff des BMG in die Selbstverwaltung sowie die Versuche, Gremien neu zu strukturieren.
Der Vorstandsvorsitzende der Barmer-Ersatzkasse, Christoph Straub, nannte die Reform „wegweisend“: „Sie wird dazu führen, dass die Beitragszahler zielgenauer in eine gute Versorgung der Versicherten fließen.“ Auch der Verband der Ersatzkassen sieht den „Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich gestärkt“.
Signal an Selektivverträge
Der Hausärzteverband begrüßte ausdrücklich, dass die Regelungen zur Diagnosecodierung im Zusammenhang mit der Abrechnung ärztlicher Leistungen nicht verschärft wurden. „Das ist ein gutes Signal für die Verträge zur Hausarztzentrierten Versorgung nach § 73 b SGB V und der besonderen Versorgung nach § 140 a SGB V“, sagte Verbandschef Ulrich Weigelt. An die Mitglieder des Hausärzteverbandes schrieb er: „Wir verdienen unser Honorar durch unsere Leistungen, die wir durch eine korrekte Diagnosecodierung plausibilisieren. Dies müssen wir auch, sonst gibt es kein Honorar.“
Auch der AOK-Bundesverband begrüßte diese Entwicklung: „Offenbar hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass eine solche Regelung versorgungspolitisch absolut kontraproduktiv ist und vielen sinnvollen Versorgungsverträgen den Garaus gemacht hätte“, sagt AOK-Vorstandsvize Jens Martin Hoyer. Anders als die anderen Krankenkassen sieht der AOK-Bundesverband die Reform des Morbi-RSA „zwiespältig“: „Zwar soll das sinnvolle Vollmodell kommen. Aber auch die von uns kritisierte Regionalkomponente, die vor allem die Überversorgung in Ballungsräumen zementieren wird, steht im Gesetz.“ Rebecca Beerheide
Weitere Regelungen im Gesetz
Mit dem Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) werden weitere Regelungen eingeführt:
- So soll es eine Vertragstransparenzstelle geben, bei der alle Selektivverträge, dazu gehören Hausarzt- und Versorgungsverträge, zentral erfasst werden sollen. Diese Transparenzstelle soll beim Bundesamt für Soziale Sicherung angesiedelt sein. Das Verzeichnis soll bis zum 30. September 2021 fertig gestellt sein.
- Die Mindestrücklagen von Krankenkassen werden gesenkt. Bislang mussten 25 Prozent einer Monatsausgabe einer Krankenkasse als Reserve verfügbar sein, künftig müssen nur noch 20 Prozent der Monatsausgabe in den Bilanzen angezeigt werden.
- Es wird geregelt, dass zugelassene Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) nur Gegenstand einer Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen sind. Damit muss der Gemeinsame Bundesausschuss nicht mehr bewerten, ob ein ATMP entweder eine Nutzenbewertung oder einer Methodenbewertung unterliegt.
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