ArchivDeutsches Ärzteblatt10/2020Geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid: Paukenschlag aus Karlsruhe

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Geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid: Paukenschlag aus Karlsruhe

Richter-Kuhlmann, Eva

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Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das Verbot von geschäftsmäßiger Sterbehilfe zu kippen, hat für heftige Diskussionen gesorgt. Während die einen es als Sieg der Autonomie des Menschen sehen, werten es andere als einen Angriff auf den Lebensschutz.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe urteilte am 26. Februar, dass § 217 des Strafgesetzbuchs gegen das Grundgesetz verstößt und erklärte ihn für nichtig. Foto: picture alliance/Uli Deck/dpa
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe urteilte am 26. Februar, dass § 217 des Strafgesetzbuchs gegen das Grundgesetz verstößt und erklärte ihn für nichtig. Foto: picture alliance/Uli Deck/dpa

Von Freude und Erleichterung bis zu Unbehagen und Entsetzen – die Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe zur Suizidbeihilfe sind äußerst heterogen, auch unter den Ärztinnen und Ärzten. In einem Punkt stimmen aber alle überein: Die Richter des Zweiten Senats haben am Aschermittwoch eine unerwartet weitreichende Entscheidung von enormer Bedeutung für die gesamte Gesellschaft getroffen. Ein Paukenschlag, der die bisher geltende Rechtslage außer Kraft setzt.

Die Verfassungsrichter erklärten nach Klagen von schwerkranken Menschen, Sterbehelfern und Ärzten den 2015 eingeführten Strafrechtsparagrafen 217, der die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verbietet, für nichtig. Er entleere die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung, begründeten sie ihr Urteil. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, betonte BvefG-Präsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Dieses schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen – unabhängig von einer bestimmten Schwere einer Erkrankung.

Zwar dürfe der Gesetzgeber die Suizidbeihilfe regulieren, er müsse dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt, meinen die Richter. Dies sei durch § 217 Strafgesetzbuch nicht gewährleistet.

Weg frei für Sterbehilfevereine

Denn dieser droht denjenigen mit Strafe, der in der Absicht, die Selbsttötung von anderen zu fördern, diesen hierzu „geschäftsmäßig“, also wiederholt, Gelegenheit verschafft. Der Gesetzgeber wollte 2015 damit verhindern, dass Suizidhilfevereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten. Dem Urteil des BVerfG zufolge ist das nun grundsätzlich wieder erlaubt.

Der Zweite Senat regte in seinem Urteil zudem eine „konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker“ und gegebenenfalls auch Änderungen beim Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht an. Dies könne in ein „Schutzkonzept zur Suizidhilfe“ eingebunden werden. Voßkuhle betonte, der Staat könne unabhängig vom Urteil Suizidvorbeugung betreiben und palliativmedizinische Angebote ausbauen. Er sprach von einem „breiten Spektrum an Möglichkeiten“, die das Parlament habe, beispielsweise gesetzlich festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten oder Erlaubnisvorbehalten.

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. (I) Klaus Reinhardt, versteht das Urteil deshalb als „Auftrag an den Gesetzgeber, diese Möglichkeiten auszuloten und rechtssicher auszugestalten“. „Die Gesellschaft als Ganzes muss Mittel und Wege finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führt“, betont Reinhardt. Soweit das Gericht auf die Konsistenz des ärztlichen Berufsrechts abhebe, werde demnächst auch eine innerärztliche Debatte zur Anpassung des ärztlichen Berufsrechts erforderlich sein.

Positiv bewertet der BÄK-Präsident, dass auch künftig kein Arzt zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden kann. „Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen“, sagte er. „Die Beihilfe zum Suizid gehört unverändert grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.“

Ärzte unterliegen keinem Zwang

Bereits bei der Urteilsverkündung hatte BVerfG-Präsident Voßkuhle betont, dass Ärzte bislang nur eine geringe Bereitschaft zeigten, Suizidhilfe zu leisten. „Sie sind hierzu auch nicht verpflichtet“, erklärte er. „Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab.“ Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts bestätigte auch, dass Ärzte bislang nur eine „geringe Bereitschaft“ zeigten, Suizidhilfe zu leisten.

Prof. Dr. med. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), nennt einen Grund dafür: „Viele Menschen wissen gar nicht, welche Möglichkeiten sie haben, zum Beispiel mit dem Abbruch oder dem Verzicht von lebenserhaltenden Behandlungsmaßnahmen“, sagt er. Selbst eine künstliche Beatmung müsse beendet werden, wenn der betroffene Patient dies wünsche. „Wir brauchen deshalb mehr Informationen über die bestehenden Möglichkeiten, keine offene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid“, so der Palliativmediziner.

Heftige Kritik übte die Deutsche PalliativStiftung. Karlsruhe setze die Selbstbestimmung der ohnehin Starken über den Schutz der Schwächsten, erklärte der Vorstandsvorsitzende Dr. med. Thomas Sitte. „Jetzt wird die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke und Lebensmüde zur normalen Dienstleistung.“ Wer Sterbehilfe erlaube, mache über kurz oder lang Sterben zur Pflicht – „erst recht in einer so ökonomisierten Gesellschaft wie der unseren“, befürchtet der Fuldaer Palliativmediziner.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sieht das Urteil in seiner Konsequenz insbesondere für Psychiater kritisch. Ihnen drohe eine neue Rolle zuzukommen. Als Gutachter würden sie absehbar darüber entscheiden müssen, inwieweit die Selbstbestimmungsfähigkeit und der freie, uneingeschränkte Wille eines Menschen in Hinblick auf seinen Sterbewunsch gegeben sei. Diesen Rollenwechsel hält die Fachgesellschaft für inakzeptabel.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Andreas Gassen, zeigte sich offen für Beihilfe zum Suizid durch Ärzte. „Grundsätzlich wollen die Ärzte Leben erhalten. Es ist aber auch nicht ärztliche Aufgaben, Leben um jeden Preis endlos zu verlängern“, sagte Gassen der Rheinischen Post. „Es muss Menschen möglich sein, in Würde zu sterben, wenn sie das wollen.“

Erleichterung bei den Klägern

Mit großer Erleichterung aufgenommen wurde das Urteil von denjenigen Ärzten, die gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe geklagt hatten. „Es ist ein gutes Urteil für Menschen in verzweifelten Situationen, die wir jetzt wieder ganz normal nach unserem Gewissen behandeln dürfen“, sagte der Palliativmediziner Dr. med. Matthias Thöns. Er könne nun seinen Patienten wieder ganz normal stark wirksame Schmerzmittel aufschreiben, ohne Angst vor dem Strafrecht haben zu müssen. „Und ich kann Patienten in verzweifelten und seltenen Situationen einen Ausweg zeigen und muss sie nicht auf brutale Suizidmethoden verweisen.“

Mit Freude nahm der Vorsitzende des Vereins Sterbehilfe Deutschland und frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis. Er kündigte an, dass sein Verein zu der Praxis zurückkehren werde, die bis zur Einführung des jetzt für nichtig erklärten § 217 des Strafgesetzbuches möglich gewesen sei. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) wertete das Urteil als „eine Sternstunde des Verfassungsrechts“. Einige Ärzte hätten danach bereits ihre Bereitschaft signalisiert, ärztliche Assistenz bei einem freiverantwortlichen Suizid leisten zu wollen, sagte DGHS-Vizepräsident Prof. Dr. jur. Robert Roßbruch.

Politik reagiert gespalten

Auch vonseiten der Politik und der Regierungsparteien kommen unterschiedliche Reaktionen auf das Urteil. Relative Klarheit herrscht bei allen aber darüber, dass nun gesetzliche Neuregelungen notwendig sind. So will die Union nach dem Urteil einen neuen Anlauf für eine Regulierung der Sterbehilfe unternehmen. Suizidbeihilfe dürfe nicht zur Normalität werden, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Union, Karin Maag (CDU).

Die SPD sieht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der Pflicht. „Die Neuregelung der Sterbehilfe hat zu einer Verunsicherung bei Ärztinnen und Ärzten geführt“, sagte sagte SPD-Fraktionsvize Bärbel Baas. Diese bräuchten aber Rechtssicherheit. „Ich wünsche mir klare Regeln, wann insbesondere ärztliche Begleitung erlaubt und wann gewerbliche Angebote ausgeschlossen sind.“

Die Bundesregierung will das Sterbehilfe-Urteil des BVerfG zunächst prüfen und auswerten. Spahn will dann über mögliche Neuregelungen bei der Suizidbeihilfe beraten und eine verfassungsgerechte Lösung finden. Das Urteil gebe dem Gesetzgeber ausdrücklich Spielraum zu Regulierungen und Konkretisierungen, sagte der CDU-Politiker. Aus ihm leite sich aber kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab. „Für mein Verständnis gilt das auch für Behörden“, betonte er. Es sei auch nicht darüber geurteilt worden, ob das Bundesinstitut für Arzneimittel den Kauf von Medikamenten zur Selbsttötung erlauben müsse. Dazu laufe ein separates Verfahren.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

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