ArchivDeutsches Ärzteblatt10/2020Mobile Seuchenüberwachung: Dem Weg der Viren auf der Spur

MEDIZINREPORT

Mobile Seuchenüberwachung: Dem Weg der Viren auf der Spur

Krause, Gérard; Walter, Christin; Dörrbecker, Juliane

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Mithilfe des Epidemie-Management-Systems SORMAS können infizierte Personen schneller identifiziert und alle beteiligten Gesundheitseinrichtungen in Echtzeit informiert werden. Auch für das neue Coronavirus (SARS-CoV-2) wurde bereits ein Modul aktiviert.

Ansicht des Dashboards, auf dem die epidemiologischen Daten automatisch aktualisiert werden. Foto: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Ansicht des Dashboards, auf dem die epidemiologischen Daten automatisch aktualisiert werden. Foto: Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Detaillierte klinische und epidemiologische Daten in Echtzeit sowie ein zielgerichtetes Management der Schutzmaßnahmen sind Schlüssel für die Risikobewertung und erfolgreiche Eindämmung jeder Epidemie, insbesondere, wenn sie – wie jetzt bei SARS-CoV-2 – von einem neuartigen Erreger ausgelöst wird.

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung hat deswegen sein mobiles und digitales „Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System“ (SORMAS) innerhalb weniger Tage um ein SARS-CoV-2-spezifisches Modul ergänzt – und das noch bevor die WHO die aktuelle Epidemie als „Gesundheitliche Notlage Internationaler Tragweite“ eingestuft hatte. Das neue Modul bietet die für SARS-CoV-2- spezifischen klinischen, diagnostischen und Seuchenschutz-Funktionen ab.

Melde- und Managementsystem

Epidemiologen des Helmholtz-Zentrum, für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig hatten gemeinsam mit verschiedenen Partnern in Afrika und Deutschland im Zuge des Westafrikanischen Ebola- Ausbruchs 2016 damit begonnen, SORMAS als ein neues integriertes digitales Melde- und Managementsystem zu entwickeln, und innerhalb von 9 Monaten einen ersten Prototypen in Nigeria pilotiert.

Das System dient der frühzeitigen Erfassung von Infektionserkrankungen (Surveillance) und der Steuerung der daraus folgenden Seuchenschutzmaßnahmen. Über Smartphones oder Tablets sind alle relevanten Akteure entsprechend ihrer Aufgaben über SORMAS miteinander vernetzt. Derzeit sind dies 12 verschiedene Nutzergruppen wie zum Beispiel Labor, Ärzte, Gesundheitsaufseher, Epidemiologen, Flughafenärzte. Das System ist primär für den Einsatz in Regionen mit schlechter Infrastruktur ausgelegt und kann auch dann betrieben werden, wenn keine Mobilfunkverbindung besteht. Ein wichtiges Element ist die multi-direktionale Synchronisierung.

Derzeit werden über SORMAS 43 Krankheiten abgedeckt, 19 davon als Einzelfallmeldung (inklusive SARS-CoV-2), bei denen die krankheitsspezifischen Maßnahmen als Prozesse gesteuert und dokumentiert werden.

SORMAS wird seit Ende 2017 in einer zunehmenden Zahl von Distrikten in Nigeria eingeführt und konnte auch bei der Bekämpfung von drei gleichzeitig auftretenden großen Ausbrüchen von Affenpocken, Lassa-Fieber und Meningokokken erfolgreich unterstützen. Seit November wird SORMAS auch in Ghana pilotiert. Derzeit ist SORMAS damit bereits in insgesamt 400 Distrikten in beiden Ländern im Einsatz und deckt ein Gebiet mit über 85 Millionen Einwohnern ab.

SORMAS ist eine Open-Source- Software. Dies bedeutet, die Quellcodes sind frei zugänglich und das System kann ohne Lizenz- oder andere Gebühren frei verwendet werden. Der Betrieb steht in der Verantwortung der jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden, die auch über den Zugang der in SORMAS erstellten Daten entscheiden.

Soweit bekannt, ist SORMAS die derzeit einzige Software, die alle Anforderungskriterien der sogenannten „Global Goods Maturity Matrix for Digital Health Software“ erfüllt. In dieser Matrix werden 15 Kriterien bewertet, wie zum Beispiel die Einbindung einer breiten Nutzer- und Programmierer-Gemeinde oder die Datensicherheit.

Angesichts der aktuellen SARS-CoV-2-Epidemie häufen sich derzeit die Anfragen verschiedener nationaler Seuchenschutzbehörden, SORMAS in weiteren Ländern Afrikas und Asiens einzusetzen.

Prof. Dr. med. Gérard Krause

Christin Walter

Dr. rer. nat. Juliane Dörrbecker

Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Beispielszenario für die Verwendung von SORMAS

In einem Dorfgesundheitsposten fällt ein Patient mit Verdacht auf COVID-19-Erkrankung auf. Der dort tätige Krankenpfleger gibt alle Symptome und weitere klinische Daten ein und aktiviert die vom System vorgenommene Aktivierung der Geokoordinaten des Patientenwohnortes. Nach Verlegung des Patienten in das nächste Krankenhaus kann die Ärztin innerhalb von SORMAS bereits auf die Patienten-Daten zurückgreifen.

Beispielansicht des Dashboards, auf dem die epidemiologischen Daten automatisch aktualisiert werden (fiktive Daten). Abbildung: Prof. Dr. med. Gérard Krause
Beispielansicht des Dashboards, auf dem die epidemiologischen Daten automatisch aktualisiert werden (fiktive Daten). Abbildung: Prof. Dr. med. Gérard Krause

Sie entnimmt einen Nasenabstrich sowie eine Blutprobe und vermerkt in SORMAS, an welches Labor diese verschickt werden. Damit bekommt das Labor ebenfalls über SORMAS den Hinweis, dass die Proben unterwegs sind und betätigt später deren Eintreffen ebenfalls über das System.

Unterdessen erhält der örtliche „surveillance officer“ ebenfalls über das System den Auftrag, die Reiseanamnese und alle relevanten Kontaktpersonen in Erfahrung zu bringen und in SORMAS einzugeben. Daraufhin beauftragt der Leiter des „contact tracing teams“ an die jeweiligen „contact officer“ die Aufgabe, jede Kontaktperson in häusliche Quarantäne zu schicken, täglich Körpertemperatur zu messen, und etwaige Symptome zu erheben und die Daten entsprechend in SORMAS einzugeben. Über SORMAS werden die Besuche terminiert und koordiniert.

Sobald zum Beispiel eine Kontaktperson die häusliche Absonderung unterläuft oder ein Besuch ausfällt, erstellt das System eine Warnung an den Leiter des Teams, der dann weiterführende Maßnahmen veranlassen kann. Sobald der Laborbefund vorliegt, wird das Laborpersonal diesen in SORMAS eingeben.

Im Falle eines positiven Befundes wechselt die Fallkategorie automatisch auf „Bestätigt“, mit ebenfalls automatischer Aktualisierung in den statistischen und kartografischen Berichten des Systems. Sollte bei einer der Kontaktpersonen Fieber auftreten, würde automatisch der Status von „Kontaktperson“ auf „Verdachtsfall“ wechseln und oben beschriebene Prozesse würden dann auch hier in Gang gesetzt.

Mithilfe des SORMAS werden die epidemiologischen Analysen laufen aktualisiert, in sogenannten Dashboards übersichtlich dargestellt und stehen daher auch für die Berichterstattung innerhalb der internationalen Gesundheitsvorschriften zur Verfügung.

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www.sormas.org
2.
http://daebl.de/PQ96
3.
http://daebl.de/FP76
1.www.sormas.org
2.http://daebl.de/PQ96
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