ArchivDeutsches Ärzteblatt PP3/2020Personalbemessung in Psychiatrie und Psychosomatik: Mehr Therapeuten nötig

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Personalbemessung in Psychiatrie und Psychosomatik: Mehr Therapeuten nötig

Bühring, Petra

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Psychiatrische und psychosomatische Fachgesellschaften haben ein „Plattform-Modell“ zur Bemessung der Personalausstattung entwickelt. Das Modell für eine am Bedarf des Patienten und an den Leitlinien orientierten Personalbemessung soll als Blaupause dienen.

Experten und Gesundheitspolitiker haben ein „Plattform-Modell“ zur Bemessung der Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik bei einem Fachsymposium am 13. Februar in Berlin diskutiert. Entwickelt wurde der Ansatz von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und anderen psychiatrischen Berufs- und Fachverbänden. Hintergrund ist die Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), die am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist. Sie legt verbindliche Mindestvorgaben für das Personal in den Kliniken fest. Nicht nur DGPPN-Präsident Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz zeigte sich „enttäuscht“ von der Richtlinie. „Das Plattform-Modell soll eine Lücke schließen – wir setzen große Hoffnungen hierein“, sagte Heinz. Das Modell für eine am Bedarf des Patienten, an den Leitlinien und an der Zukunft orientierten Personalbemessung in Psychiatrie und Psychosomatik solle als Blaupause dienen. Es habe bereits eine erste Machbarkeitsstudie erfolgreich durchlaufen. Die DGPPN und alle beteiligten Fachverbände plädieren deshalb für eine Berücksichtigung des Modells bei den Beratungen zur Weiterentwicklung der PPP-Richtlinie des G-BA. Veröffentlicht wurde das Konzept erstmalig im Nervenarzt (https://doi.org/10.1007/s00115–018–0669-z).

Notwendig ist ein neues Personalbemessungsinstrument nach Angaben von Prof. Dr. med. Thomas Pollmächer, Ärztlicher Direktor des Zentrums für psychische Gesundheit am Klinikum Ingolstadt, unter anderem wegen des zunehmenden Dokumentationsaufwands in den Kliniken. „Auch die Psychotherapie und die psychosozialen Therapien spielen heute eine weitaus größere Rolle in der Behandlung als noch 1991, als die Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) beschlossen wurde“, sagte Pollmächer. Entsprechend mehr Psychotherapeuten, Psychologen und Fachpfleger seien notwendig. Zudem erfordere die Maßgabe der Zwangsbehandlung als ultima ratio entsprechend mehr Zeit und damit mehr Personal für die Patienten. Notwendig sei ein neues Personalbemessungsinstrument zudem wegen der Veränderung der Behandlungskonzepte im Sinne multiprofessioneller Ansätze sowie wegen der massiv verkürzten Verweildauer in den Kliniken, ergänzte Prof. Dr. med. Arno Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin, Klinikum Itzehoe. „Auch die verstärkte sektorenübergreifende Zusammenarbeit und die veränderten gesellschaftlichen Anforderungen an die P-Fächer erfordern mehr Personal“, sagte er. Darüber hinaus müsse die Arbeit in der Psychiatrie attraktiv gestaltet werden, um Personal anwerben zu können.

Viel Zeit für Heranwachsende

Auf den erhöhten Behandlungsbedarf in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwies Prof. Dr. med. Michael Kölch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP). „Wir sehen heute viel mehr schwer kranke Patienten als noch vor 20 Jahren. Unsere Patienten sind die schwächsten in der Gesellschaft und ihre Familien auch.“ Gerade die Kooperation mit der Jugendhilfe und anderen Akteuren erfordere viel Zeit und Personal, das kooperativ arbeiten könne.

Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM), Prof. Dr. med. Johannes Kruse, betonte: „Der Aufbau einer therapeutischen Beziehung ist ganz wesentlich in allen P-Fächern – ausreichend Personal also ganz entscheidend.“ Das Plattform-Modell bearbeite ein „sehr komplexes Feld“ und sei in der derzeitigen Form „noch nicht komplett fertig“.

Modell positiv bewertet

Dr. med. Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, bezeichnete das Modell als „anpassungsfähig, flexibel, berufsgruppenbezogen und deshalb genial“. Dr. phil. Andrea Benecke vom Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer sieht in dem Modell „ein gutes Tool, um die psychotherapeutische Versorgung in den Kliniken zu verbessern“. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sagte: „Das Modell ist der Versuch einer bedarfsgerechten Personalbemessung und deshalb eine gute Grundlage, für eine bessere Versorgung psychisch kranker Patienten.“ Dirk Heidenblut von der SPD, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages, sieht „einen guten Einstieg in die Diskussion“ um die Personalbemessung in Psychiatrie und Psychosomatik. „Vieles ist mir aber noch zu unklar“, sagte er. Auch Ute Watermann vom GKV-Spitzenverband findet „vieles im Detail noch zu nebulös, um es beurteilen zu können“. Man brauche eine valide Studie, um den Aufschlag weiterzuentwickeln. Einig waren sich die Experten, dass die Fachgesellschaften allein eine solche Studie nicht finanzieren könnten. Dazu bedürfe es eines Auftrags aus der Politik. Petra Bühring

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