ArchivDeutsches Ärzteblatt8/2000Krankenhäuser: Neues Entgeltsystem nach US-Muster

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Krankenhäuser: Neues Entgeltsystem nach US-Muster

sc.; Lauterbach, Karl W.; Lüngen, Markus

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LNSLNS Ab dem Jahr 2003 soll die Krankenhausvergütung nach Fallpauschalen durch ein neues System ersetzt werden. Im Gesundheitsreformgesetz ist eine Orientierung an so genannten Diagnosis Related Groups vorgeschrieben.
Der Gesetzgeber hat im "GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000" nicht nur die Vergütung der stationären Krankenhausleistungen über ein vollpauschaliertes System vorgeschrieben, sondern im neuen § 17 b Krankenhausfinanzierungsgesetz den Einsatz eines Vergütungssystems auf der Grundlage von Diagnosis Related Groups (DRGs) vorgegeben. Die Auswahl eines entsprechenden Systems soll durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V. und die Spitzenverbände der Krankenkassen bis zum 30. Juni 2000 erfolgen. Darauf basierend kann die Anpassung des ausgewählten Systems an deutsche Gegebenheiten erfolgen. Ab dem 1. Januar 2003 soll es das seit dem 1. Januar 1995 geltende Entgeltsystem ersetzen. Die Umstellung vom heutigen Mischsystem auf eine DRG-basierte Vergütung wird erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die Art der Leistungsabrechnung, sondern auch auf die interne Organisation der Krankenhäuser, deren Betriebsziele und deren Wettbewerb untereinander haben.
Unterschied zum Fallpauschalsystem
Mit dem in Deutschland seit fünf Jahren vorgeschriebenen Fallpauschalsystem ist es bisher noch nicht gelungen, alle stationären Krankheitsfälle abzudecken. Die zögerliche Ausdehnung dieses Systems ist nicht nur durch die zum Teil unterschiedlichen Vorstellungen der Verhandlungspartner auf Bundesebene verursacht worden. Vielmehr bedingt die Konstruktion der Fallpauschalen, dass im chirurgischen Bereich schnell homogene Gruppen in Bezug auf medizinische und ökonomische Kriterien gebildet werden konnten, sich danach aber die Definition und Abgrenzung der Gruppen immer schwieriger gestaltete. Die Ursache liegt in der primären Orientierung des deutschen Systems an erbrachten Leistungen und der erst nachfolgenden Orientierung am Ressourcenverbrauch. DRGs hingegen wurden von Anfang an primär auf Kostenhomogenität ausgerichtet. Die Zugehörigkeit eines Behandlungsfalles zu einer DRG wird in erster Linie nach dem Ressourcenverbrauch für die stationäre Behandlung bestimmt, nicht aber nach dem zugrunde liegenden ärztlichen Eingriff. Um medizinisch völlig abweichende Fälle in einer DRG zu vermeiden, wurde vor Bildung der DRG eine Teilung in chirurgische und konservative Behandlungen (orientiert an einem erfolgten OP-Eingriff) und darunter in 25 verschiedene Hauptdiagnosegruppen (Major Diagnostic Categories, MDCs) vorgenommen (Tabelle).
Diese MDCs orientieren sich im Wesentlichen an den Körperregionen. Innerhalb der MDCs wurde die Bildung der DRGs nach Kostenhomogenität vorgenommen. Dabei wurde festgestellt, dass einige Merkmale der Patienten sehr starken Einfluss auf die Kosten haben. So steigen ab einem bestimmten Alter des Patienten die Behandlungskosten bei einigen Diagnosen stark an. Ebenso war teilweise der Einfluss von Nebendiagnosen (die bereits vor Eintritt in das Krankenhaus vorlagen) und Komplikationen (die im Laufe des Krankenhausaufenthaltes erschwerend hinzukamen) auf die Behandlungskosten sehr hoch. In diesen Gruppen wurden nochmals Unterteilungen in zwei getrennte DRGs vorgenommen, und zwar in solche mit Patienten über oder unter 70 Jahre und in solche mit oder ohne Komplikationen (Complications or Comorbidities = CCs). Sowohl Diagnosen der Patienten als auch die Prozeduren werden in den USA über den ICD-9-CM codiert. DRGs sind also auch kein lupenreines diagnoseorientiertes System (ebenso wie die deutschen Fallpauschalen kein rein prozedurenorientiertes System mehr sind).
Die Orientierung an der Kostenhomogenität hat gegenüber dem bisherigen deutschen Weg der medizinischen Homogenität den Vorteil, bei der einmal vorzunehmenden Zuschneidung der DRGs sofort sämtliche Patientenfälle zuteilen zu können. Zu bestimmen ist lediglich ein statistisches Homogenitätsmaß, bei welcher Streuung der Kosten je Fall die DRG nochmals geteilt wird. Fall-Zuordnung in den DRGs
Mit der Rechnungsschreibung wird der Patientenfall nach Abschluss des stationären Aufenthalts einer DRG zugeordnet. Es ist nicht möglich, noch andere Entgelte oder mehrere DRGs für einen Patientenfall abzurechnen. Sonderentgelte können nicht geltend gemacht werden. Die für die DRG-Zuordnung notwendigen Daten ähneln den auch heute bereits für die Datenübermittlung nach § 301 SGB V notwendigen Angaben. Es gibt jedoch einige Besonderheiten; so muss in einem DRG-System eine Hauptdiagnose angegeben werden. Die ungewichtete Angabe von mehreren Diagnosen nebeneinander ist nicht möglich, weil die Hauptdiagnose wesentlich zur Findung der DRG beiträgt. Allerdings ist es möglich und notwendig, weitere Diagnosen, die so genannten Nebendiagnosen, als Complications und Comorbidities (CCs) anzugeben. Diese entscheiden mit darüber, ob der Patient eventuell in eine höher vergütete DRG eingestuft werden kann. Jedoch haben nicht alle DRGs diese Unterscheidungsmöglichkeit, sondern lediglich solche, bei denen signifikante Unterschiede im Ressourcenverbrauch je nach CCs festgestellt wurden. Da also die Art und Anzahl der codierten Nebendiagnosen die Vergütungshöhe beeinflussen, wird die Intensität der Codierung zunehmen. Bei Einführung von DRGs ist eine sprunghafte Zunahme der codierten Nebendiagnosen festzustellen. Zudem wird die Schwere der codierten Erkrankungen zunächst stark zunehmen. Die Grenzen zwischen einer vollständigeren Dokumentation, einer freieren Auslegung durch den Arzt und einem (illegalen) Gewinnmaximierungsversuch sind oftmals unscharf. Die US-amerikanischen Erfahrungen mit der Anwendung des DRG-Systems lassen jedoch vermuten, dass dieses (legale und illegale) Upcoding nach drei bis fünf Jahren eine Abschwächung erfährt, weil eine Sättigung in der Codierintensität eintritt.
Neben Diagnosen werden für die Zuordnung der DRG noch die erbrachten Prozeduren und teilweise das Patientenalter oder im Bereich der Geburtshilfe auch das Geburtsgewicht zur Zuordnung der Diagnose benötigt. Technisch erfolgt die Zuordnung über Grouper Software, die aus den im Krankenhaus erfassten Daten automatisch wie in einem Entscheidungsbaum die richtige DRG findet. Höhe der Vergütung Die Höhe der Vergütung für einen Patientenfall setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, deren Höhe sich nicht nur nach der gefundenen DRG richtet. Am Beispiel der amerikanischen MedicareKrankenversicherung wird das Verfahren verdeutlicht: Jeder DRG ist ein individuelles relatives Gewicht zugeordnet. Ähnlich der Punktzahl in den deutschen Fallpauschalen wird damit der Erlösabstand der DRGs untereinander bestimmt. Diese Relativgewichte (Cost-Weights) können aufgrund der nationalen Unterschiede kaum aus den amerikanischen DRG-Systemen übernommen werden und müssten für Deutschland neu kalkuliert werden. Dieses DRG-spezifische Relativgewicht wird multipliziert mit der Base-Rate, die das durchschnittliche Entgelt für alle Patientenfälle wiedergibt und damit die Funktion des derzeitigen deutschen Punktwertes übernimmt. !
Entgegen dem derzeitigen deutschen System wird in DRG-Systemen oftmals eine Anpassung der so gefundenen Größe über zusätzliche multiplikative Faktoren vorgenommen. Damit sollen strukturelle Besonderheiten von Krankenhäusern ausgeglichen werden, die nicht in deren Einflussbereich liegen, wie beispielsweise Kosten für Aus- und Weiterbildung, Teilnahme an der Notfallversorgung oder auch eine exponierte regionale Lage. Generell muss für jedes Merkmal abgeklärt werden, ob es überhaupt maßgebliche Mehrkosten verursacht und - wenn ja - ob diese Mehrkosten durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sind. Daneben werden als additiver Faktor häufig solche Kosten erstattet, die nicht mit der normalen Behandlung vergütet werden und gut kalkulierbar sind, wie beispielsweise Kosten der Blutprodukte bei Blutern, Kosten der Organbeschaffung und auch direkte Kosten der Ausbildung. Die so zusammengesetzte Vergütung für einen Patienten gilt für den Normalfall. Ausnahmeregelungen sind vorzusehen, wenn der Patient durch sehr hohe Kosten oder sehr lange Verweildauern aus dem Rahmen fällt. In den USA wird die Vergütung der Investitionskosten bereits über einen Zuschlag auf die Patientenvergütung vorgenommen. Dieses in Deutschland unter dem Stichwort Monistik diskutierte Modell ließe sich mit einer DRG-basierten Vergütung problemlos umsetzen, ist jedoch keinesfalls zwingend damit verbunden. Berechnung des Krankenhausbudgets
Das Krankenhausbudget kann unter einer DRG-basierten Vergütung ebenso wie derzeit mit den Krankenkassen individuell vor Ort verhandelt werden. Allerdings werden nicht mehr Preise (Pflegesätze) und Mengen (Fälle) der Verhandlungsgegenstand sein, sondern nur noch Mengen (DRG). Die Preise dafür sind festgelegt und können nur über die regelmäßige Neufestsetzung der Base-Rate oder der Cost-Weights für alle Leistungserbringer einheitlich adjustiert werden. Diese Mengenverhandlungen können auch wieder mit einem Mengenziel abschließen, bei dessen Über- oder Unterschreitung Ausgleichsmechanismen in Kraft treten, wie sie heute bekannt sind. Die zusätzliche Einhaltung eines Globalbudgets stellt dann aus Sicht der Abrechnung lediglich eine weitere Ausgleichsfunktion dar.
Unterschiedliche DRG-Systeme Die ersten, nach 1983 auf breiter Ebene eingesetzten DRGs werden nach der amerikanischen Aufsichtsbehörde Health Care Financing Administration als HCFA-DRGs benannt und umfassen rund 500 Fallgruppen. Die HCFA-DRGs bilden die ökonomische Fallschwere eines Patientenfalles lediglich über die für alle DRGs unspezifisch geltende Zuordnung der CCs aus einer Liste von 2 979 Komorbiditäten und Komplikationen. Sobald eine der CCs dokumentiert wird, kann die höhere Vergütung angegeben werden, vorausgesetzt, eine solche Vergütungsgruppe wurde aufgrund von Kosteninhomogenität überhaupt vorgesehen. Dieses rudimentäre System wurde im Rahmen der AP-DRGs (All Patient- DRGs) verfeinert. Sie wurden für den Staat New York entwickelt und inhaltlich gegenüber den auf ältere Patienten zugeschnittenen HCFA-DRGs beispielsweise um Geburten und HIV- Krankheiten erweitert. Bei AP-DRGs wurde ermittelt, welche der CCs sehr hohe Zusatzkosten verursacht (so genannte Major CCs). Diese CCs wurden zusammen mit der zugrunde liegenden DRG in eine neue Gruppe gefasst, sodass sich die Gesamtzahl der DRGs auf 641 erhöhte. Einen neuen Ansatz bieten die APR-DRGs (All Patient Refined DRGs), die erstmals nicht nur die ökonomische Fallschwere (das heißt die Kosten der Behandlung) abbilden, sondern darüber hinaus auch eine Anpassung an die medizinische Fallschwere ermöglichen. Jeder Patient wird dazu auf einer vierstufigen Fallschwere- oder wahlweise auch Mortalitätsskala eingeordnet. Die Zuordnung erfolgt anhand dokumentierter Daten durch einen Software Grouper. Durch diese Abbildung lassen sich auch sehr gut Qualitätssicherungsmaßnahmen durchführen. Allerdings erfordern APR-DRGs erhöhten Dokumentations- und Codieraufwand, sodass zum jetzigen Zeitpunkt ihr Einsatz in Deutschland auf kleinere innovative Projekte begrenzt bleiben dürfte. Zudem existieren weltweit noch keine intensiven Erfahrungen mit diesem System. Die Weiterentwicklung von DRG-Systemen erfolgte hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der exakteren Abbildung der Fallschwere und darauf aufbauend der besseren Zuordnung des ermittelten leistungsgerechten Ressourcenverbrauchs auf einzelne Patientenfälle. Kritisch eingewandt wird jedoch, dass sich diese Effekte über die Gesamtzahl der Patientenfälle eines Krankenhauses wieder ausgleichen können.
Auswirkungen auf die Qualität
Eine DRG-basierte Vergütung könnte einen Anreiz bedeuten, den Patienten mit möglichst geringem Aufwand zu behandeln und dann frühzeitig zu entlassen. Um dem vorzubeugen, sind parallel mit DRGs auch Qualitätssicherungsprogramme einzuführen. Die amerikanischen Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Anstieg der Mortalität nicht eingetreten ist. Die Verweildauer sank im Rahmen eines langfristigen Trends weiter ab, wobei Entlassungen mit instabilem Zustand des Patienten leicht zunahmen, durch eine ebenfalls langfristig ansteigende qualitative Verbesserung der Nachsorge jedoch aufgefangen wurden. Die Anstrengungen zur Qualitätssicherung in den deutschen Krankenhäusern müssten ergänzt werden durch zusätzliche (stichprobenweise) Messungen der Ergebnis- und Prozessqualität, der Codierqualität und auch des Einweisungsverhaltens. Der Trend geht dabei weg von reinen Kontrollen und hin zu einer Beratungsfunktion, durch die Leistungserbringer ihre Qualität vergleichen und verbessern können. Neben Qualitätsproblemen werden häufig Gefahren der Patientenselektion unter einer DRG-basierten Vergütung gesehen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass gerade DRG-Systeme die Kosten der Behandlung als Grundlage der Vergütung heranziehen. Als teuer vorauszusehende Patienten werden durch die vorausgegangene Kalkulation der Fälle auch höher vergütet. Daher ist es ökonomisch durchaus sinnvoll, wenn sich ein Krankenhaus auf hohe Fallschweren spezialisiert, wenn es die entsprechenden Voraussetzungen hat. Um DRGs in Deutschland einzuführen, bedarf es neben der gesetzlichen Grundlage vor allem organisatorischer Vorbereitungen. So muss das entsprechende System ausgewählt werden, wobei die Kombination aus bereits erfolgter internationaler Erfahrung und Differenzierung der Fallschweremessung für AP-DRGs sprechen. Es müssen die Relativgewichte kalkuliert und die ergänzenden Vergütungsanteile in ihrer Art und Höhe festgelegt werden. Schließlich muss vor allem in den Krankenhäusern ein Prozess in Gang kommen, der über die Umstellung der Patientenabrechnung und Codierweiterbildungen für Ärzte weit hinausgeht. DRGs wurden ursprünglich entwickelt, um die Leistungen des Krankenhauses besser definieren und darauf aufbauend Kostenkalkulationen und Qualitätssicherungsprojekte einrichten zu können. Dies ist auch heute noch ein Nutzen, den jedes Krankenhaus ausschöpfen sollte. So gesehen liegt die Funktion von DRGs zwar als auslösendes Moment in der Anreizsetzung der stationären Vergütung. Langfristig bewirken sie aber eine grundlegende Neuausrichtung der Organisationsstruktur eines Krankenhauses.


Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-444-447
[Heft 8]


Anschrift der Verfasser
Prof. Dr. med. Dr. sc.
Karl W. Lauterbach
Dipl.-Volkswirt Markus Lüngen
Institut für Gesundheitsökonomie
und Klinische Epidemiologie
der Universität zu Köln
Gleueler Straße 176-178
50935 Köln

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