THEMEN DER ZEIT
Robotik in der Pflege: Ethikrat sieht großes Potenzial


Robotik kann einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen und der Arbeitsqualität in der Pflege leisten, sofern sie verantwortungsvoll eingesetzt wird.
Während technikaffine Japaner schon länger humano-ide Roboter als Pflegeassistenten und Begleiter akzeptieren, ist das hierzulande anders: Umfragen zufolge wird technische Assistenz bei schwerer körperlicher Pflegearbeit oder zur Pflegedokumentation gebilligt, wohingegen eine Implementierung in sozialen und emotionalen Bereichen der Pflege eher mit Skepsis betrachtet wird. Welche ethischen Herausforderungen ergeben sich aus der zunehmenden Nutzung robotischer Systeme in der Pflege? Mit dieser Frage hat sich der Deutsche Ethikrat in seiner kürzlich veröffentlichten Stellungnahme „Robotik für gute Pflege“ befasst und Chancen und Risiken ausgelotet. Die Einschätzung der Ethiker: Robotik kann einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität pflegebedürftiger Menschen und der Arbeitsqualität in der Pflege leisten, sofern sie verantwortungsvoll eingesetzt wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Einsatz von Robotertechnik zwischenmenschliche Beziehungen nicht ersetzt und die Technologie nicht gegen den Willen der Betroffenen oder zur bloßen Effizienzsteigerung genutzt wird. Zudem müssten die Betroffenen in die Entwicklung der Techniken einbezogen werden, so der Ethikrat.
Defizitansatz vermeiden
Aus Sicht der Experten taugt Robotik im Pflegebereich jedoch keinesfalls dazu, Personalengpässe oder den Pflegenotstand zu beseitigen. So warnt der Ethikrat vor einem in erster Linie defizitorientierten Fokus, der etwa die Förderung der Erforschung und Entwicklung robotischer Systeme vor allem mit den Problemen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Pflege und der wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen begründet.
Der Einsatz von Robotik in der Pflege müsse nicht einem Defizitansatz, sondern könne einem Ressourcenmodell folgen, betonte hingegen der Ethikratvorsitzende Prof. Dr. theol. Peter Dabrock. „Menschlichkeit und Technik müssen kein Gegensatz sein“, sagte er. Vielmehr hat Robotik aus Sicht des Ethikrates das Potenzial zur Förderung „guter Pflege“.
„Im Zentrum guter Pflege steht das Wohl der zu pflegenden oder hilfebedürftigen Person in ihrer Individualität“, erläuterte die Gerontologin Prof. Dr. phil. Adelheid Kuhlmey, eine der Autorinnen der Studie. Für die Gepflegten liege dieses Potenzial nicht nur in der Erhaltung von Selbstständigkeit sowie von körperlichen und kognitiven Fähigkeiten, sondern auch in deren möglicher Rückgewinnung durch rehabilitative Maßnahmen. „So können robotische Systeme auch zu Mitteln werden, Veränderungs- und Anpassungspotenzial auszuschöpfen und verloren gegangene Fähigkeiten wieder neu aufzubauen“, sagte Kuhlmey.
Die Expertin wies zugleich auf erheblichen Forschungsbedarf hin: „Über die tatsächlichen Auswirkungen des Einsatzes von Robotern auf Menschen mit einem Assistenz- oder Pflegebedarf ist noch viel zu wenig bekannt“, meinte sie. Ob die heute verfügbaren Robotertechniken in diesem anspruchsvollen Sinn zur Realisierung „guter“ Pflege beitragen könnten, sei „wissenschaftlich noch viel zu wenig erforscht“.
Auch der Geriater Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Andreas Kruse, Ethikratsmitglied und Sprecher der Arbeitsgruppe „Robotik und Pflege“, verwies darauf, dass Pflege als „soziales Interaktionsgeschehen“ zu definieren sei. „Roboter sollen diese unmittelbare Interaktion zwischen Personen nicht ersetzen“, betonte er, sondern vielmehr durch Entlastung und Unterstützung diese Interaktion fördern.
Bedenken ernst nehmen
So können neuen Untersuchungen zufolge soziale Roboter bei Demenzpatienten beruhigend wirken und Stressabbau fördern (siehe Deutsches Ärzteblatt, Heft 9). Aus Sicht des Ethikrates wäre es jedoch „äußerst fragwürdig, wenn pflegebedürftige Menschen soziale und emotionale Bedürfnisse zukünftig überwiegend im Umgang mit Begleitrobotern stillen würden, die Gefühle lediglich simulieren“, betonte Kuhlmey. Denn: „Berührung kann man nicht durch Plastik ersetzen.“ Auch im Fall anderer Arten von Robotern (Kasten) könnte sich das unabhängige Leben in vertrauter Umgebung durchaus als ein Leben in sozialer Isolation erweisen, warnen die Experten.
Aufseiten der Pflegekräfte seien Ängste vor Überforderung durch die anspruchsvolle Bedienung komplizierter Robotertechnik ernst zu nehmen. Anstatt Raum für beziehungsorientierte Pflege zu schaffen, könnte die Unterstützung durch Robotik auch die Arbeitsdichte verstärken. Darüber hinaus gibt es die Sorge, dass die hohen Kosten für die Einführung von Assistenzsystemen zu Mittelkürzungen im Personalwesen führen könnten.
Insgesamt jedoch setzt der Ethikrat darauf, dass Robotertechniken für die Pflege von großem Nutzen sein können – vorausgesetzt, die Entwicklungs- und Implementierungsprozesse werden partizipativ und verantwortlich gestaltet. Der Ethikrat gibt hierfür eine Reihe von Empfehlungen, die sowohl auf individueller als auch auf institutioneller und politisch-systemischer Ebene ansetzen.
Ausgangspunkt jedes Entwicklungs- und Implementierungsprozesses muss danach die pflegebedürftige Person selbst sein. „Das Wohl der zu pflegenden Person in ihrer Individualität sollte stets im Zentrum der Pflege stehen, auch wenn der Einsatz von Technik die Standardisierung und Schematisierung von Prozessen erforderlich macht“, fordert der Ethikrat.
Sicherheitsstandards und Haftungsregelungen sollten überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, um einer „Erosion von Verantwortung“ im Umgang mit Robotertechniken vorzubeugen. Der Ethikrat empfiehlt zudem, Pflegekräfte sowohl in der Ausbildung als auch in der Fort- und Weiterbildung gezielt im Umgang mit Robotertechniken zu schulen.
Robotertechnische Elemente, die dazu beitragen, eine gute Pflege zu leisten, müssten zudem allen Menschen zugutekommen, betonte Kruse. Durch die Einführung der Technik dürfe eine soziale Spaltung nicht noch verstärkt werden, forderte er. Auch müssten sowohl Menschen mit Assistenz- oder Pflegebedarf als auch (professionell) Pflegende in die Entwicklung robotischer Systeme einbezogen werden.
Konkrete Kriterien entwickeln
Aus Sicht der Grünen eröffnet die Pflegerobotik viele Möglichkeiten, Menschen mit Einschränkungen und älteren Menschen das Leben zu erleichtern und das Pflegepersonal zu entlasten. Sie fordern einen Innovationsfonds für die Pflege, eine sektorenübergreifende Versorgung und Finanzierung sowie einen Digitalpakt für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
Durch den Einsatz von Robotik ergäben sich neue Arbeitsfelder für Pflegekräfte, auf die diese sich zusätzlich einstellen müssten, kommentierte Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Linken. Die Bundesregierung müsse zudem dafür sorgen, dass der Einsatz von Robotik Menschen mit Pflegebedarf nicht zusätzlich finanziell belaste.
Die Caritas hält es für erforderlich, Kriterien für den guten Einsatz von Robotern in der Pflege zu entwickeln. Roboter könnten dann die Situation von pflegebedürftigen Menschen verbessern, „wenn sie Zeit und Raum für menschliche Beziehungen eröffnen“, meinte Verbandspräsident Dr. Peter Neher. Zudem müsse die Anwendung robotischer Systeme „von den Gepflegten und den Pflegenden gewollt sein, damit sie eine wirkliche Hilfe darstellt“. Neher verwies auf das Projekt „BeBeRobot“ (Begründungs- und Bewertungsmaßstäbe von Robotik für die Pflege), in dem ein ethischer Kriterienkatalog für den Einsatz von Pflegerobotern erstellt werde. Heike E. Krüger-Brand
Arten robotischer Systeme
Der Deutsche Ethikrat unterscheidet in seiner Studie verschiedene Arten robotischer Technik, die für den Pflegebereich relevant sind:
- Assistenzroboter unterstützen Pflegende und Gepflegte bei alltäglichen Verrichtungen. Sie entlasten Pflegekräfte bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten oder können die Angewiesenheit auf stationäre Pflege bei Menschen mit steigendem Pflegebedarf hinauszögern. Beispiele: intelligentes Bett, Exoskelett zur Fortbewegung.
- Monitoring-Techniken können ein selbstbestimmtes Leben im heimischen Umfeld unterstützen, indem sie etwa Körperfunktionen, wie Puls, Zuckerspiegel oder Blutdruck, sensorbasiert aus der Ferne überwachen oder rasche Hilfe im Notfall, etwa bei einem Sturz, gewährleisten.
- Soziale Begleitroboter, etwa in Gestalt von Kuscheltieren wie die Robbe „Paro“, assistieren bei zwischenmenschlichen Interaktionen oder dienen selbst als Interaktionspartner und sollen vor allem kommunikative und emotionale Bedürfnisse erfüllen.