ArchivMedizin studieren1/2020Krankenhauskultur: Chefärzte müssen umdenken

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Krankenhauskultur: Chefärzte müssen umdenken

Schmitt-Sausen, Nora

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Auf Klinikfluren trifft heute die Generation Babyboomer auf die Generation Y. Beim Stichwort Arbeitseinstellung prallen dabei oft Welten aufeinander. Dies verlangt eine neue Art der Führungskultur.

Verschiedene Generationen treffen mit vielfältigen Vorstellungen ihrer Arbeitsorganisation im Krankenhaus aufeinander. Foto: Robert Kneschke/stock.adobe.com
Verschiedene Generationen treffen mit vielfältigen Vorstellungen ihrer Arbeitsorganisation im Krankenhaus aufeinander. Foto: Robert Kneschke/stock.adobe.com

Haben Sie denn auch ein nettes Team?“ „Können Sie mir einen Kitaplatz besorgen?“ „Wie werden Überstunden ausgeglichen?“ „Kann ich immer donnerstags zum Yoga gehen?“ Inzwischen häufen sich solche Fragen in einem Bewerbungsgespräch um eine Arztstelle an einem Krankenhaus. Noch vor einigen Jahren fiel die Antwort klar und deutlich aus: wohl kaum. Wer hätte in der Babyboomer-Generation, die heute in den Krankenhäusern in den Spitzenpositionen angekommen ist, als junger Arzt so etwas gewagt zu fragen?

Heute reiben sich eben jene Ärzte in verantwortlicher Position verwundert die Augen, wenn sie solche Fragen – und die damit verbundenen Forderungen – in Gesprächen mit der Medizinergeneration von morgen zu hören bekommen. Der ein oder andere der älteren Ärztegarde ist vielleicht sprachlos ob dieses Wunschkonzertes, das da selbstbewusst vorgetragen wird. Doch Fakt ist: Junge Ärztinnen und Ärzte ticken heute anders als die Chefs, die ihnen gegenübersitzen.

Dieses „unterschiedlich ticken“, es birgt Konflikte, weiß Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen, Chefarzt an der Klinik für Kinder und Jugendliche der Städtischen Kliniken Mönchengladbach, der kürzlich auf der Tagung des Verbandes Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD) einen Vortrag zum Thema hielt. Mit seinen Ausführungen zum Clash der Generationen in den Krankenhäusern sprach er wohl vielen der anwesenden 120 Chefarztkollegen aus der Seele – und regte mit seiner Analyse zum Nachdenken an.

Rückblick in das Jahr 2000: Was waren das noch für Zeiten für Chefärzte an deutschen Kliniken. War eine Stelle ausgeschrieben, flatterten zahlreiche Bewerbungen herein. Die Mappen stapelten sich auf den Schreibtischen in den ärztlichen Arbeitszimmern.

Und im Jahr 2019? „Da kann ich froh sein, wenn mir noch eine Bewerbung auf den Tisch kommt“, sagt Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen und veranschaulicht in einer Bilderserie, was wohl vielen Chefs dieser Tage widerfährt: Von Jahr zu Jahr werden die Stapel mit den Bewerbungsmappen kleiner.

Jeder weiß es: Qualifizierte medizinische Fachkräfte sind rar geworden im Land. Und die Folge ist: Um Ärzte von der eigenen Klinik zu überzeugen, müssen sich die Häuser und ihre Chefs einiges einfallen lassen – und sich einiges anhören.

Denn, so erfahren Führungskräfte branchenübergreifend: Die Vorstellungen zum beruflichen Alltag sind heute anders definiert, als einst. Es zählt in der Medizin nicht mehr allein der große Wunsch, als Arzt tätig sein zu wollen und gut zu verdienen. Andere Dinge sind in den Vordergrund gerückt. Geregelte Arbeitszeiten. Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Möglichkeit der Kinderbetreuung während der Arbeitszeit. Das Ausüben einer abwechslungsreichen Tätigkeit. Lebensglück.

Für Kliniken, die im Wettbewerb bestehen wollen, heißt das: Sie müssen ein gutes Arbeitsklima bieten. Soziale Einbindung möglich machen. Freizeit sichern. Und Familienzeit gewährleisten. Schlicht: Sie müssen ein überzeugendes Komplettpaket abliefern. „All das muss man heute bringen, um gute Leute zu bekommen“, macht Kölfen unmissverständlich deutlich. Und diese Signale müssten die Häuser möglichst auch schon in ihrer Außendarstellung – etwa via Social-Media-Kanäle – versenden. Doch der Referent warnt gleichzeitig: falsche Versprechungen?! Besser nicht.

Denn: Nicht nur das Gewinnen junger Ärzte ist heute ein Problem, sondern auch sie in der Klinik zu halten. Die jungen Kollegen sind wechselbereiter. Und gehen, wenn das Stimmungsbarometer in der Klinik zu viele Ausschläge in die falsche Richtung gibt.

Um den Blickwinkel der jungen Arztgeneration zu untermauern, greift Kölfen in seinem Vortrag auf Ergebnisse einer Umfrage zurück, die er bei einem Kongress für Assistenzärzte aus der Kinder- und Jugendmedizin durchgeführt hat. Sie zeigt, dass in den Köpfen der jungen Mediziner einiges vorgeht – und sie Probleme mit den gängigen Strukturen und Gepflogenheiten haben. Die Kommunikation mit dem Chefarzt wird von mehr als jedem Zweiten bemängelt. Ein Mangel an Mitbestimmung. Eine fehlende Work-Life-Balance. Eine nicht ausreichende Wertschätzung. Und so weiter. Und so weiter.

Das Resultat dieser Unzufriedenheit, das weder Chefärzte noch Klinikleitungen glücklich machen kann: Auf die Frage „Haben Sie in letzter Zeit überlegt, die Klinik zu wechseln?“ antworteten 67 Prozent der Befragten mit Ja.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich verändert. So viel ist klar. Und damit können die Jungen anders auftreten als zu Zeiten, wo Arztstellen keine Mangelware, sondern heiß begehrt waren. Sie können Ansprüche stellen. Freiräume einfordern. Fehlende Wertschätzung lautstark monieren. Aber erklärt dies allein, was auf deutschen Krankenhausfluren los ist? Nein, analysiert Kölfen in Berlin, versucht die junge Generation zu verstehen und wagt einen Erklärungsversuch. Er sagt: Das Auftreten von jungen Ärzten habe sich nicht nur verändert, weil sie es sich aktuell leisten können. Sondern auch, weil ihnen selbstbewusst, forsch und anspruchsvoll zu sein bereits in die Wiege gelegt worden ist. „Sie sind anders geprägt und sozialisiert als zum Beispiel die Babyboomer“, sagt Kölfen. Und dies wirke sich eben auf ihr Verhalten aus. Zur Veranschaulichung nimmt Kölfen die Zuhörer mit auf eine Zeitreise zu den Generationen, die sich heute auf Deutschlands Krankenhausfluren treffen.

Generation Babyboomer, 50 bis 65 Jahre. Diese Generation war mit prägenden Erlebnissen wie dem Ende des Wirtschaftswunders konfrontiert, der Ölkrise, Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, aber auch Phasen des Lebensgenusses und der Selbstentfaltung. Typische Merkmale dieser Generation seien Durchsetzungskraft, Teamfähigkeit, Konfliktstärke, ein hohes Pflichtgefühl, aber eben auch starkes Konkurrenzdenken. Und verankerte Ansichten wie: Es geht nicht ohne uns. Arbeit geht nur so, wie wir sie kennen. Arbeit ist das Zentrum unseres Lebens. Die Jugend taugt nicht als Nachfolger, sie sollen aufhören rumzuheulen.

Generation X, heute 35 bis 50 Jahre.
Vietnamkrieg, atomare Auf- und Abrüstung, Fall der Berliner Mauer – dies sind die historischen Meilensteine, die diese Generation durchlebte. Wenig Klarheit, wenig Halt, wenig Orientierung prägte das Aufwachsen. Sie gilt als die Generation Praktikum, die kaum berufliche Perspektiven geboten bekommen hat. Mit der Folge: Diese Generation weiß, was eine unsichere Zukunft bedeutet, ist entsprechend karriereorientiert, erprobt im Konkurrenzkampf, denkt pragmatisch und stellt Emotionales – wie etwa die Familienplanung – hinten an. Beim Stichwort Arbeitseinstellung ist sie von den Babyboomern nicht allzu weit weg.

Doch dann ist da eben auch die Generation Y, die heute 20- bis 35-Jährigen, die bereits als Assistenzärzte und Krankenschwestern in Kliniken unterwegs sind oder dort den Berufseinstieg suchen. Sie sind in einer Online-Welt aufgewachsen, einer zunehmend globalisierten, offenen Multikulti-Welt, geprägt von Krisen wie den Angriffen auf das World Trade Center, der Fukushima-Katastrophe, der Bedrohung durch die Erderwärmung und die Unsicherheit der Rente. Sie haben gelernt: Das Leben ist nicht planbar, schöpfen sich aus dem „Dschungel an Optionen“, wie es Kölfen nennt, das Beste heraus, halten sich „möglichst lange möglichst viele Wege offen und lösen Probleme nicht selten durch Ausstieg“.

Ihr Credo lautet: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt – auch im Job. Im Vordergrund stehen für sie: Spaß. Freude. Selbstverwirklichung. Harmonie. Wohlbefinden. Viel Sinn für Freizeit und Familie. Geld lockt sie nicht mehr. Den Ausfall eines Kollegen sehen sie als „nicht mein Problem“ an. Das Pflichtgefühl gegenüber Klinik, Kollegen und Patienten ist weniger stark ausgeprägt als in den Vorgängergenerationen.

Dass diese unterschiedlichen Haltungen der Generationen „zu Spannungen führen können, ist relativ klar“, sagt Kölfen. Und räumt aus eigener, jahrelanger Erfahrung ein, dass diese neue Arbeitshaltung mit den hohen Anforderungen des „hochsensiblen Arbeitsplatzes Krankenhaus“ nicht ganz so leicht vereinbar ist.

Doch: Was tun nun mit diesen Erkenntnissen? Die Antwort lautet: Konsequenzen ziehen – und diese heißen laut Kölfen in erster Linie: Die Führungskultur in deutschen Krankenhäusern muss sich ändern – ob das den Babyboomer-Ärzten gefällt oder nicht. „Wenn wir nicht alleine arbeiten wollen, müssen wir umdenken“, macht Kölfen seine Position klar. Der Clash der Generationen sei anders nicht zu bewältigen.

Doch was heißt das konkret? Wie kann Führung da überhaupt noch funktionieren?

Zunächst einmal, indem sich die Chefs bewusst machen, dass sich die Anforderungen an Führung verändert haben. Die Generation Y hat andere Erwartungen an ihren Vorgesetzten als einst. Und das gilt es für Chefs zu bedienen. Eine klare Kommunikation. Das Eingehen auf private Belange. Anerkennung vermitteln. Viel Feedback geben. Bei der beruflichen Entwicklung unterstützen. Das ist gefragt.

Kölfen gibt den Chefs im Auditorium Lösungsanregungen an die Hand, die sicher für den ein oder anderen etwas befremdlich klingen mögen. Er rät: Ändert Euer Verhalten. Hört mit dem Jammern auf. Lasst Euch auf die Spielart der Jungen ein. Akzeptiert den Wunsch nach Work-Life-Balance. Versteht, dass Geld kein Lockmittel mehr ist. Zeigt Euch flexibel bei Arbeitszeit und Urlaubswünschen. Übt Zurückhaltung beim Einfordern von Mehrarbeit. Gebt Struktur. Stellt klare Verhaltensregeln auf. Definiert gemeinsame Ziele. Sucht den Dialog. Fördert fachlich und menschlich. Gebt den Kümmerer. Seid positiv. Denn: „Wir werden die junge Generation nicht umerziehen können.“

Dass der Weg zur Erkenntnis für die Chefarztgarde der Generation Babyboomer nicht einfach sein wird, weiß Kölfen. „Ich muss zunächst in den Dialog mit mir selbst eintreten, um auf diese Veränderungen reagieren zu können.“ Doch das Ziel sei unmissverständlich definiert: Statt Autorität und Hierarchie müssten Kooperation und Vertrauen die neuen Schlagworte im ärztlichen Miteinander sein.

Kölfen sieht keinen Grund, dass die Babyboomer-Chefs die Köpfe hängen lassen und ob der Entwicklung frustriert sind. Denn: Was die alte und die junge Generation eine, seien wichtige gemeinsame Werte. „Wir verkaufen keine Pizzas oder Autos, wir haben kranke Patienten und wollen gute Medizin machen. Das verbindet uns“, ruft er in Erinnerung.

Es gelte, diese Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und zu betonen – und nicht die Gegensätze der Generationen. Aspekte wie Werteorientiertheit, Vertrauen, Respekt und Gerechtigkeit seien für alle Mediziner von Bedeutung – ungeachtet ihres Alters. Dies sei eine „Riesenchance“, um im Führungsverhalten neu anzusetzen.

Der Referent entdeckt im Zusammensein der unterschiedlichen Denkweisen gar ein Plus für die Babyboomer selbst. Diese könnten sich die Stärke der Generation Y etwa durch ein selbstbewussteres Auftreten vor der Klinikverwaltung zunutze machen. Das Zusammentun von Etablierten und Nachwuchskräften könne viel bewirken, meint Kölfen. Kooperation und Vertrauen sei das Heute, Autorität und Hierarchie das Gestern.

In der Ferne sieht der Referent bereits ein neues Wölkchen aufziehen. Er glaubt: Wenn die „von der Generation Y ausgelegte Droge“ mit so wohlklingenden Namen wie Teilzeit, Freizeit, Auszeit oder Totalausstieg auf die Babyboomer-Generation übergreift, wenn also auch die älteren Mediziner ein lauteres Ja zum Leben und ein leiseres Nein zur Arbeit sagen, wird sich die Personallage in Deutschlands Krankenhäusern noch weiter verschärfen. Doch Kölfen glaubt auch das: Dem ein oder anderen Babyboomer könnte es sicher gut tun, sich „die Karten noch einmal neu zu legen und zu überlegen, was im Leben wichtig ist.“

Studierenden-Sicht

Die Zukunft der medizinischen Versorgung kann aus Sicht der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) nur sichergestellt werden, wenn Gesundheitsberufe und Klinikmanagement gemeinschaftlich agieren. Ein Wandel der Arbeitskultur in der Krankenversorgung – hin zu einer menschlichen Medizin und einem gesunden Arbeitsklima – sei die Basis dafür, Patienten eine gute medizinische Versorgung zu ermöglichen und gleichsam auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter im Gesundheitswesen einzugehen. Grundlage hierfür sei ein Paradigmenwechsel, weg von einem traditionell formellen, hin zu einem kompetenzorientierten, integrierenden Organisationsverständnis, schreibt die bvmd 2019 in ihrer Stellungnahme zu „Medizin und Ökonomie“ .

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