

In Zeiten der Coronakrise gerät die Videosprechstunde als ein mögliches Instrument zur Risikominimierung und Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie in den Blick.
Patientinnen und Patienten mit Virussymptomen sollten den Gang zum Arzt wegen der hohen Ansteckungsgefahr im Wartezimmer möglichst vermeiden. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) empfiehlt die telefonische Kontaktaufnahme mit der Arztpraxis. Effektiver wäre in vielen Fällen nach Meinung von Experten jedoch die Konsultation per Video, weil sie eine risikofreie Ersteinschätzung sowie im Anschluss daran eine individuelle Fernbehandlung ermöglicht. Vor dem Hintergrund der weiteren Ausbreitung des Coronavirus haben Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband die Begrenzungsregelungen für die Videosprechstunde zunächst für das zweite Quartal aufgehoben. Fallzahl und Leistungsmenge sind für diesen Zeitraum somit nicht limitiert.
Einsatz von Telemedizin
Im Regelfall dürfen Ärzte und Psychotherapeuten pro Quartal maximal jeden fünften Patienten ausschließlich online behandeln. Zudem darf die Menge der online erbrachten Leistungen 20 Prozent nicht überschreiten. Für den Rest ist ein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt erforderlich. Auch ärztliche und psychologische Psychotherapeuten dürfen seit Herbst 2019 bestimmte Leistungen der Richtlinien-Psychotherapie per Videokonsultation durchführen und abrechnen. Voraussetzung ist jedoch ein vorhergehender persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt für die Eingangsdiagnostik und Indikationsstellung.Das sieht das psychotherapeutische Berufsrecht und die Psychotherapie-Vereinbarung vor.
KBV und Krankenkassen werden spätestens zum 31. Mai prüfen, ob eine Verlängerung über das zweite Quartal hinaus notwendig ist. Für das laufende erste Quartal erfolge keine Aussetzung, da davon auszugehen sei, dass die 20-Prozent-Marke nicht erreicht wird, teilte die KBV mit.
„Wir sind erleichtert, dass diese Beschränkung für das zweite Quartal aufgehoben wurde“, erklärte Dr. rer. nat. Heike Winter, Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hessen, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Dafür habe sich die Psychotherapeutenkammer Hessen seit Wochen starkgemacht. „Nun ist gesichert, dass auch im zweiten Quartal keine Behandlungen abgebrochen werden müssen, weil sich Patienten noch in Quarantäne befinden oder aus anderen Gründen nicht persönlich in die Praxis kommen können.“
Winter fordert zudem, dass für die aktuelle Sondersituation auch der Erstkontakt mit Patienten sowie die Akutbehandlung als Videosprechstunden angeboten werden dürfen. Zudem sollten Psychotherapien für häufig hochbelastete Patienten auch telefonisch durchgeführt werden können, da nicht alle Patienten über die notwendigen technischen Voraussetzungen für eine Videosprechstunde verfügten. Generell empfiehlt sie: „Wir raten derzeit allen, die Videosprechstunden möglich machen können, diese Technik auch einzusetzen.“ Voraussetzung sei natürlich die Einwilligung der Patienten. Diese könnten die Videosprechstunde auch per Smartphone nutzen.
Bislang nehmen vergleichsweise wenige Ärzte und auch Patienten die Möglichkeit der ärztlichen Videokonsultation in Anspruch. Das liegt unter anderem daran, dass das elektronische Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht umgesetzt sind und entsprechende Videodienste teilweise nicht in die Praxis-IT der Ärzte integriert sind.
Viele Telemedizinanbieter nutzen daher jetzt die Coronakrise, um stärker auf dem Markt Fuß zu fassen und weitere Nutzer sowohl auf Ärzte- als auch Patientenseite zu gewinnen, oftmals indem sie ihre Produkte für eine begrenzte Zeit kostenfrei zur Verfügung stellen.
Viele kostenfreie Angebote
„Die Videosprechstunde kann die Verbreitung des Virus verlangsamen und schützt andere Patient*innen – insbesondere chronisch und ernsthaft Erkrankte – und das medizinische Personal vor einem unnötigen Infektionsrisiko“, schreibt etwa der Health Innovation Hub, der digitale Think Tank des BMG in Berlin. Er hat daher auf seiner Webseite eine Liste mit Anbietern zusammengestellt, die für die nächsten Monate einen kostenfreien Zugang zu ihren Lösungen anbieten.
Darüber hinaus zertifiziert die KBV bereits seit Längerem Anbieter, die Ärzten eine Abrechnung ihrer Videosprechstunde ermöglichen. Denn Ärzte oder Psychotherapeuten können Leistungen im Rahmen der Videosprechstunde erst dann abrechnen, wenn sie ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zuvor angezeigt haben, einen zertifizierten Dienstanbieter zu nutzen. Die zertifizierten Dienste sind laut KBV zumeist ohne große Vorkenntnisse, Hardware-Investitionen oder sonstiges technisches Know-how in den Praxisalltag zu integrieren.
Integrierte Lösungen
Inzwischen verzeichnen die Hersteller von Praxissoftware seitens der Arztpraxen ein zunehmendes Interesse an integrierten Lösungen für die Onlinesprechstunde. Im Rahmen der Coronaepidemie hat etwa die CompuGroup Medical (CGM) entschieden, die eigene Videosprechstundenlösung „Clickdoc“ bis auf Weiteres kostenfrei für alle Ärzte zur Verfügung zu stellen. Seit Beginn der Aktion haben sich bereits rund 7 000 Ärzte für diese KBV-zertifizierte Videosprechstunde registriert, berichtete CGM.
Auch das Arztsoftwarehaus medatixx hat mit „x.onvid powered by Patientus“ eine Videosprechstundenlösung mit KBV-Zertifikat im Portfolio. Das Unternehmen bietet das Modul für die Videosprechstunde ab sofort kostenfrei für einen Zeitraum von sechs Monaten an. Nach Ablauf der sechs Monate kann die Praxis dann entscheiden, ob sie x.onvid weiter nutzen will. Seit Beginn der Aktion verzeichnet das Unternehmen nach eigenen Angaben „einen deutlichen Anstieg sowohl bei Anfragen als auch bei Bestellungen um rund 60 Prozent“. Die Anlage eines Termins und der Aufruf der Videokonferenz sind direkt aus der Praxissoftware heraus möglich. Der Patient loggt sich online über eine TAN per PC/Laptop oder Smartphone in die Videosprechstunde ein.
Das Interesse vieler Ärzte an Telemedizinlösungen sei in den vergangenen Tagen sprunghaft gestiegen, berichtete auch das deutschlandweite Ärztenetzwerk NeuroTransData (NTD). Vor allem die Rezeptbestellung und die Videosprechstunde seien gefragt. Das Netzwerk nutzt die Therapiemanagementplattform Patient Plus. Innerhalb eines Tages hätten sich circa 40 Pneumologen des Gesundheitsnetzes Süd eG in Baden-Württemberg an die Videosprechstunde der Plattform angebunden, um die Patientenströme besser zu steuern. Die gemeinsam mit der Deutschen Arzt AG von vitabook entwickelte Lösung ist jetzt bundesweit für alle Ärzte verfügbar und in den nächsten drei Monaten für alle Ärzte kostenfrei nutzbar.
Die Handhabung: Der Patient hält seine Gesundheitskarte in die Kamera und wird so identifiziert. Im Anschluss an die Behandlung kann der Arzt das Rezept erstellen und die vom Patienten benannte Apotheke auswählen. Die Apotheke beschafft sich im Nachgang das Rezept und kann die Medikamente direkt an den Patienten liefern.
Arztkonsultation.de gehört ebenfalls zu den Anbietern, die eine stark wachsende Nachfrage im Zuge der Epidemie verzeichnen. „Wir erleben gerade eine Offenheit für die Videosprechstunde, die in diesem Ausmaß neu ist“, so ein Sprecher des Unternehmens. Das betreffe nicht nur Ärzte, sondern auch Psychotherapeuten. „Aktuell gehen 200 bis 300 Prozent mehr Anfragen ein als vor dem Ausbruch der Epidemie.“ Der zertifizierte Anbieter stellt seine Software für die Dauer der Krise allen Haus- und Fachärzten, die den Dienst noch nicht nutzen, kostenfrei zur Verfügung.
Privat und gesetzlich
Das Münchner Unternehmen TeleClinic war bislang vor allem im Bereich der privaten Krankenversicherung mit seiner Videosprechstunde vertreten, hat zuletzt jedoch auch in Baden-Württemberg in einem Telemedizinprojekt mit der dortigen KV Erfahrungen im GKV-Bereich gesammelt. Für das Jahr 2020 erwartet das Unternehmen eine Verfünffachung der Onlineberatungsgespräche. Es stellt inzwischen bis Mitte April das direkte Videogespräch mit einem Arzt des Anbieters kostenfrei zur Verfügung (beschränkt auf ein Gespräch pro Person). Krankschreibungen und Rezepte können nach Auskunft des Unternehmens ebenfalls ausgestellt werden.
Ab dem Sommer will TeleClinic nach der Zertifizierung durch die KBV zudem auch bundesweit für gesetzlich Versicherte verfügbar sein. Knackpunkt ist dabei die Integration der Onlinesprechstunde in die Praxisverwaltungssoftware, denn bei Nutzung der TeleClinic wie auch vieler anderer Videosprechstundenlösungen müssen die Ärzte parallel zur herkömmlichen Praxissoftware dokumentieren.
Auch jameda, ein Unternehmen der Hubert Burda Media und nach eigenen Angaben Marktführer für Onlinearzttermine, bietet niedergelassenen Allgemeinmedizinern die KBV-zertifizierte Videosprechstunde für einen Zeitraum von sechs Monaten ab sofort zur kostenfreien Nutzung an. Heike Krüger-Brand
Vergütungsregelung
Seit 1. Oktober 2019 erfolgt die Vergütung der Videosprechstunde über die jeweilige Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale. Die Pauschale nebst Zuschlägen wird in voller Höhe gezahlt, wenn im selben Quartal noch ein persönlicher Kontakt erfolgt. Erfolgt der Kontakt ausschließlich per Video, werden die Pauschale und gegebenenfalls die sich darauf beziehenden Zuschläge gekürzt.
Auch Leistungen für Gespräche, die per Videosprechstunde erfolgen, können abgerechnet werden. Darüber hinaus gibt es eine Technikpauschale zur Finanzierung der Kosten und einen Zuschlag für den Mehraufwand bei der Authentifizierung neuer Patienten in der Videosprechstunde. Eine Vergütungsübersicht stellt die Kassenärztliche Bundesvereinigung bereit. kk
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