ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2020Coronavirus: Gegen die Angst
Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS

Meiner Meinung nach entsteht in der Bevölkerung gerade ein falscher oder zumindest verzerrter Eindruck über die Gefährlichkeit des Virus. Ich selbst sehe junge Patienten, die Angst haben zu sterben, obwohl die Symptomatik keinesfalls dafür spricht. … Viele sind verstört und vertrauen deshalb blind auf die politischen Entscheidungen. Und auch wenn es vereinzelt ein paar Beiträge in den Medien zur Aufklärung gibt, gehen diese unter.

Was kann man dann tun gegen diese Hysterie und Angst? Eine Allgemeinantwort gibt es hierfür sicher nicht … Ich nehme die Lage ausgesprochen ernst und beschäftige mich täglich mit der Fachliteratur, hinterfrage mich auch immer wieder aufʼs Neue, eben was ich als Arzt auch unter normalen Umständen tun würde. …

Nach der bestehenden Datenlage … halte ich das Angebot einer Kontaktsperre zum Schutz der Risikokohorten für medizinisch absolut sinnvoll und vertretbar. Damit geht selbstverständlich auch die Aufklärung über die Infektionsrisiken einher und wie diese … minimiert werden können. Ich sehe es als meine Verpflichtung an, darüber aufzuklären, dass es bei einer COVID-19-Infektion sehr wohl einige schockierend schwere Verläufe gibt, diese in der Anzahl auch steigen werden, auch bei anscheinend Gesunden und jüngeren Altersgruppen. Aber verglichen mit der Gesamtanzahl von milden Fällen oder sogar subklinischen Verläufen sind das schwindend geringe Zahlen … .

Selbstverständlich hat der Einzelne ein Risiko entsprechend seines Risikoprofils. Vielleicht erkranke auch ich als Risikoperson (relativ viel Kontakt mit positiv Getesteten mit entsprechender Symptomatik) und erleide einen schweren Verlauf, aber das ist nach wie vor äußerst unwahrscheinlich und ich mache mir darüber wenig Sorgen. Aber ich bin Arzt. Laien haben keine Ahnung von der Medizin und vertrauen deshalb Ärzten, Wissenschaftlern und Politikern.

Mittlerweile kann ich die Erkrankung, behaupte ich, mit Anamnese, Untersuchung und Labor mit einer einigermaßen guten Treffsicherheit diagnostizieren. … Aber das ist nur meine sehr begrenzte klinische Erfahrung … . Es ist neu und wir kennen uns noch nicht damit aus. Viele Fälle verlaufen subklinisch und genau diese Zahlen fehlen auch in den aktuellen Analysen. ....

Durch die getroffenen Maßnahmen weltweit wird das Leben von Menschen, deren Familien, deren Angehörigen, deren Kinder, deren Existenzen, die über Jahren hinweg aufgebaut wurden, komplett vernichtet. Das wird dann als „Geld“ oder als „wirtschaftliche Folgen“ bezeichnet. Ich erlaube mir zu behaupten, dass daraus auch durchaus medizinische Folgen resultieren werden. Das sind auch Menschen und keine Zahlen. Wo bleibt für diese Menschen die Empathie? … Ich möchte … nicht dazu beitragen, dass die Lebensgrundlage anderer zerstört wird.

Als Wissenschaftler und Mediziner habe ich für mich entschieden. Ich mache, was ich kann, um für wissenschaftliche und medizinische Aufklärung zu sorgen, ohne die Gefahren zu bagatellisieren. Das ist mein persönlicher ethischer, moralischer und menschlicher Ansatz und ich hoffe, mit diesem Ansatz auch andere Kollegen anzusprechen.

Dr. med. Edward Martin, 81541 München

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Stellenangebote