POLITIK
Medizinische Schutzausrüstung: Unübersichtliche Situation


Obwohl die Hersteller medizinischer Schutzausrüstung rund um die Uhr produzieren, übersteigt die Nachfrage weiterhin deutlich das Angebot. Weltweit gestaltet sich die Beschaffung von geeignetem Material deshalb zu einem der größten Probleme bei der Bekämpfung von SARS-CoV-2.
Die Not ist groß. Während die Zahl der COVID-19-Patienten in Deutschland täglich steigt, geht die Schutzausrüstung in den Krankenhäusern und Arztpraxen, den Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten Tag für Tag weiter zur Neige. Bereits am 25. März schrieb die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister der Stadt, Michael Müller (SPD): „Wir fordern Sie auf, dafür zu sorgen, dass die Praxen in Berlin mit ausreichend Schutzausrüstung ausgestattet werden. Nur dann sind die Vertragsärzte in der Lage, die ambulante Versorgung weiterhin aufrechtzuerhalten.“
Frühzeitig war der Engpass abzusehen. Deshalb hat der Krisenstab von Bundesgesundheits- und Bundesinnenministerium am 4. März entschieden, den Export von medizinischer Schutzausrüstung zu verbieten – dieses Verbot ist mittlerweile wieder aufgehoben – und eine zentrale Beschaffung durch den Bund einzurichten. Seither sind die vier Zentralen Beschaffungsstellen des Bundes damit befasst, medizinische Schutzausrüstung überall auf der Welt einzukaufen und nach Deutschland zu bringen. Um welche Artikel es sich dabei handelt, ist in der Anordnung zu dem Exportverbot aufgeführt: Schutzbrillen, Gesichtsschutzbrillen, Mund-Nasen-Schutz-Produkte, Filtering-Face-Pieses (FFP-) Masken der Schutzklassen 2 und 3, Schutzkittel, Schutzanzüge und Handschuhe.
Tropfen auf den heißen Stein
Am 3. April präsentierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Zwischenergebnis dieser Bemühungen. Es sei gelungen, 37 Millionen Atemschutzmasken und 25 Millionen Paar Handschuhe über den Bund zu verteilen, sagte Spahn bei einem Besuch des zentralen Umschlaglagers für die vom Bund beschaffte Ausrüstung im thüringischen Apfelstädt. Das sei eine Entlastung, reiche jedoch nicht abschließend aus. Das bestätigte die KV Brandenburg (KVBB) am 6. April, die die eingetroffenen Schutzartikel jetzt an die Praxen im Land verteilt: „Jede Praxis erhält zehn FFP2-Masken sowie 50 Mund-Nasen-Schutzmasken.“ Das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
So versucht die Bundesregierung, dem Mangel auch mit anderen Strategien zu begegnen. Zum einen verstärkt sie die Bemühungen, medizinische Schutzausrüstung in Deutschland produzieren zu lassen. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) habe Lieferanten angeschrieben, die bereits angeboten hätten, in Deutschland gefertigte persönliche Schutzausrüstung wie Atemmasken, OP-Masken oder Schutzkittel zu liefern, und um Angebote gebeten, heißt es aus dem Ministerium. Voraussetzungen seien, dass der Produktionsstandort in Deutschland liege, dass bestimmte wöchentliche Mindestmengen eingehalten würden und dass die erste Lieferung bis zum 15. August 2020 erfolgen könne. Dafür bietet das BMG eine Abnahmegarantie.
Zudem haben das Bundesgesundheits- und das Bundesarbeitsministerium die Möglichkeit beschrieben, wie man FFP2- und FFP3-Masken erhitzen und danach wiederverwenden kann. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. med. Heidrun Gitter, kritisierte diesen Vorschlag jedoch als „Zumutung“ (siehe „Drei Fragen an ...“).
Dezentrale Beschaffung
Neben dem Bund verstärken auch die anderen Akteure des Gesundheitswesens ihre Bemühungen, Schutzausrüstung im Ausland zu organisieren. „In der Beschaffung fährt die KVBB dreigleisig“, erklärt zum Beispiel die KV Brandenburg. „Es wurde Bedarf auf Bundesebene angemeldet und über das Brandenburger Gesundheitsministerium bestellte Schutzmasken wurden von der KVBB finanziert. Darüber hinaus sondieren vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit Angebote, prüfen Anbieter auf Seriosität und tätigen eigene Bestellungen.“
Ähnlich ist es auch in den Krankenhäusern, wie der stellvertretende Abteilungsleiter Health Care Logistics am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik in Dortmund, Thomas Bredehorn, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt: „Die Krankenhäuser versuchen weiterhin, die Lieferketten zu nutzen, über die sie auch normalerweise Medizinprodukte bestellen.“ Nachdem einige Zeit keine Ware mehr geliefert worden sei, komme jetzt wieder Schutzausrüstung in den Krankenhäusern an. Denn „die Hersteller beliefern auch jetzt in der Krise zunächst die Krankenhäuser, mit denen sie Lieferverträge abgeschlossen haben“, so Bredehorn.
Es sei jedoch nicht abzusehen, wie sich die weitere Versorgung mit medizinischer Schutzausrüstung entwickle. Das hänge damit zusammen, welche Länder gerade stark vom Coronavirus betroffen seien und dadurch mehr Schutzausrüstung bestellten. „Zurzeit ist die Nachfrage zum Beispiel in den USA stark angestiegen“, sagt Bredehorn. „Das kann auch wieder Auswirkungen auf die Situation in Deutschland haben.“
Die Situation auf dem Markt sei derzeit sehr unübersichtlich. „Es gibt unseriöse Angebote, bei denen nicht zertifizierte Ware zu Fantasiepreisen angeboten wird“, erklärt Bredehorn. „Dabei ist zertifizierte Ware auch jetzt in der Krisenzeit wichtig, denn Krankenhäuser können haftbar gemacht werden, wenn es durch gefälschte Schutzausrüstung zu einem Schaden kommt.“ Viele Krankenhäuser müssten zurzeit abwägen, welches Risiko größer sei: möglicherweise ohne Schutzausrüstung dazustehen oder Schutzausrüstung einzusetzen, die gegebenenfalls nicht zertifiziert sei.
„Unübersichtlich ist die Situation im Moment, weil auch viele nicht originäre Händler am Markt aktiv sind, von denen einige unter anderem auch versuchen, gefälschte Waren zu verkaufen“, so der Logistikexperte. „Man sollte sich deshalb, wenn möglich, auch jetzt an den Händler seines Vertrauens halten. Da hat man eine gewisse Sicherheit.“
Rund um die Uhr
Unübersichtlich ist die Lage zudem, weil weder klar ist, wieviel Schutzausrüstung benötigt wird noch, wie groß die Produktion ist. „Einen Gesamtüberblick über die Produktion haben auch wir derzeit nicht“, sagt der Pressesprecher des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed), Manfred Beeres, dem DÄ. „Wir hören allerdings von unseren Mitgliedern, dass die Produktion in China jetzt wieder anläuft.“ Und auch die Logistik komme langsam wieder in Gang.
In jedem Fall hätten die Hersteller medizinischer Schutzausrüstung ihre Produktion hochgefahren. „Sie arbeiten in Sonderschichten rund um die Uhr“, so Beeres. „Doch auch auf diese Weise kann man die Produktion maximal um 30 bis 40 Prozent erweitern. Wenn die Pandemie insbesondere in den großen Nationen erst richtig losgeht, kann es zu weiteren Engpässen kommen.“
Falk Osterloh
Fünf Fragen an Thomas Bredehorn, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik:
www.aerzteblatt.de/n111770
3 Fragen an . . .
Dr. med. Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer
Wie ist derzeit die Situation in den Arztpraxen und Krankenhäusern?
Derzeit sind die Reserven nahezu aufgebraucht. In etlichen Praxen ist kein Schutzmaterial – vor allem geeignete Masken – mehr vorhanden. Problematisch ist die Lage insbesondere bei zertifizierten Mund-Nasen-Masken und FFP2-Masken, aber auch Schutzkittel zum Beispiel für OPs werden knapp.
Wie sollen sich niedergelassene Ärzte verhalten, wenn sie keine Schutzausrüstung mehr in ihrer Praxis haben?
Gut wäre es, mit Kolleginnen und Kollegen einer Region eine zentralisierte Versorgung der Infektionspatienten abzusprechen, um Ressourcen an Schutzausrüstung zu sparen, wo es geht, und um Patientenwege konsequent zu trennen. Das wird vielerorts schon gemacht und gut organisiert. Schutzschilde vor Mund, Nase und Augen könnten eine Behelfslösung sein, vor allem in der Versorgung von Patienten ohne dringenden Verdacht einer SARS-CoV-2-Infektion.
Wie bewerten Sie die am 1. April veröffentlichten Empfehlungen, Schutzmasken nach einer Hitzebehandlung erneut zu verwenden?
Ich hätte es gerne als einen Aprilscherz betrachtet.
Denn ich halte es für eine Zumutung, dass nun Standards immer weiter herabgesetzt werden, ohne dass klar ist, ob die notwendige Sicherheit noch besteht. Das betrifft weniger die Tatsache, dass eine ausreichende Hitze die Viren abtöten kann, sondern die Problematik, dass schon die komplexen Vorgänge des personalisierten Sammelns und Aufbereitens der Masken eine sichere Wiederverwendung gefährden. Zudem sind diese Vorgänge ihrerseits zeit- und personalaufwendig.